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  • Ausschnitt von Statuengruppe „Gerechtigkeit“ von Balthasar Schmitt, bestehend aus Justitia mit Waage und Schwert, sowie Unschuld (links) und Laster (rechts), auf dem Südgiebel des Justizpalastes in München | Foto: wikimedia commons (CC BY-SA 3.0)
    Ausschnitt von Statuengruppe „Gerechtigkeit“ von Balthasar Schmitt, bestehend aus Justitia mit Waage und Schwert, sowie Unschuld (links) und Laster (rechts), auf dem Südgiebel des Justizpalastes in München | Foto: wikimedia commons (CC BY-SA 3.0)

Wann ist Suizidhilfe ein Tötungsdelikt?

Im Fall Dr. Spittler geht es nicht um den erst 2015 eingeführten Straftatbestand § 217 StGB. Dieser betrifft die geschäftsmäßige Förderung, das heißt  wiederholt durchgeführte Suizidhilfe bei freiwillensfähigen Patienten beziehungsweise Klienten von Suizidhilfeorganisationen. Es geht hier um die immer schon bestehende Strafbarkeit, wenn die Beihilfe zum Suizid einen in seiner Einsichtsfähigkeit eingeschränkten Menschen betrifft: Wer, so Putz, einem nicht freiverantwortlich und/oder nicht wohlerwogen handelnden Menschen zu dessen Suizid Beihilfe leistet, macht sich "in mittelbarer Täterschaft der Tötung" schuldig nach § 212 StGB (Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger bestraft). Das Strafmaß beträgt in dem Fall mindestens 5 Jahre Gefängnis.

Entscheidend: Wer hat die Tatherrschaft

Bei einer Suizidhilfe als Tötungsdelikt gemäß § 212 StGB wird davon ausgegangen, dass die verantwortliche (geistige) Tatherrschaft beim Suizidhelfer und nicht beim Suizidenten selbst liegt, obwohl dieser faktisch selbst "Hand an sich" gelegt hat: Der Täter würde mittels Tatherrschaft einen anderen instrumentalisieren und sich seiner bedienen, hier des Suizidenten selbst, der beispielsweise verwirrt, drogenabhängig oder akut stark depressiv ist. Der Tatbestand ist durch kausale Handlungen wie das Beschaffen und Zur-Verfügung-Stellen von entsprechenden Mitteln für einen nicht frei verantwortlichen Suizidenten erfüllt. Aber auch durch Nichthindern oder Nichtretten, dann spricht man von "Tötung durch Unterlassen".

Die Strafrechtsparagraphen  211 (Mord), 212 (Totschlag) und 216 (Tötung auf Verlangen) setzen die Tötung eines anderen Menschen voraus. Wer sich selbst tötet, verwirklicht demgegenüber keinen Straftatbestand. Nach strafrechtlicher Dogmatik ist dazu jede Form der Beihilfe ihrerseits nicht strafbar. Gäbe es zur Durchführung eines Suizids "nur freie und eigenverantwortliche Entscheidungen", so Putz, "wäre hiermit alles gesagt." Dem ist aber bekanntlich – vor allem bei Suizidversuchen – in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht so.

Unterlassene Hilfeleitung – Grenzen der Zumutbarkeit

Folgendes gilt, wenn jemand – ohne einen Suizidenten vor der Tathandlung unterstützt zu haben – diesen erst danach bewusstlos in lebensbedrohlicher Situation auffindet: Ohne Kenntnis der Vorgeschichte muss davon ausgegangen werden, dass der Auffindende zur Rettung verpflichtet ist, insbesondere wenn er als Arzt automatisch als Garant für die Lebenserhaltung gilt. Wer einen Suizidenten dann nicht zu retten versucht, kann sich der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323 c StGB schuldig machen. Dieser trifft dann genauso zu, als wenn es sich bei der "Auffindsituation" um einen Unglücksfall z. B. auf der Autobahn handeln würde.

Doch darf nicht übersehen werden, dass der Unterlassungstatbestand nach § 323c StGB voraussetzt, dass die zu leistende Hilfe dem Hinzukommenden auch zumutbar sein muss. Was jedoch, so fragt Putz, wenn "klar auf der Hand liegt, dass der Suizident am Selbsttötungswillen festhält, keine Rettung wünscht" und sich vermutlich "zur Wiederholung der Tat veranlasst sieht, falls man einen eigenverantwortlich ins Werk gesetzten Willen nicht respektiert"? Dann, so Putz, "ist die Zumutbarkeit von Rettungsmaßnahmen zu verneinen." Bedeutung habe dies insbesondere gegenüber "Leidenden, die mit ihrem Entschluss dem weiteren Krankheitsfall ein Ende setzen wollten" und ihre Patientenverfügung dahingehend aktualisiert haben, dass ein sie begleitender Arzt nur Garant der palliativen Versorgung, nicht aber der Lebensrettung zu sein hat.

Staatsanwaltschaft hält an überkommener Rechtsauffassung fest

Dies alles ist im Hamburger Suizidhilfefall des Dr. Spittler, wie durch seinen Freispruch in allen Punkten am 8.11.2017 bestätigt, nachweislich der Fall gewesen. Allerdings sieht sich die Hamburger Staatsanwaltschaft nicht daran gehindert, dagegen in Revision zu gehen. Sie hält weiter strikt am Tötungsvorwurf fest, den sie am 1. November 2017 in ihrem Plädoyer – mit Strafforderung nach einer siebenjährigen Haft – so begründet hatte:

Der Angeklagte war als psychiatrischer Gutachter tätig. Er hat zwei sterbewillige Damen (81 und 85) bei ihrem Freitod in der gemeinschaftlichen Wohnung begleitet, blieb anwesend bis zum Tod und benachrichtigte erst danach Feuerwehr und Polizei. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft liegt "kein Fall der Sterbehilfe vor, sondern des Totschlags". Von einer freien Entscheidung der beiden Seniorinnen könne nicht gesprochen werden. Im Gegenteil: Beide sollen sich nicht ganz sicher gewesen sein, dass sie sterben wollten, als ihnen der Arzt die Medikamente brachte. Sie hätten mit ihrer Entscheidung gehadert, dann aber doch die todbringenden Mittel eingenommen. Spittler soll die Frauen in seinem viele Monate zuvor erstellten Gutachten für den Verein SterbehilfeDeutschland auch über die "Freiverantwortlichkeit" und "Wohlerwogenheit" ihres Sterbewunsches getäuscht haben. Eine vollständige Aufklärung und Beratung über Lebensalternativen, z. B. die Übersiedlung in ein Pflegeheim, sei unterblieben.

Als Motiv kann Spittler nicht etwa eine Geldzahlung – die unstrittig gar nicht erfolgt ist – unterstellt werden. Stattdessen wird ihm vorgeworfen, anhand dieses Falles eine Grundsatzentscheidung darüber herbeigeführt haben zu wollen, ob die Patientenverfügung der Damen zum absoluten Reanimationsverbot bindend war oder demgegenüber die ärztlichen Garantenpflichten zur Lebensrettung immer noch Vorrang haben, wie dies im vorigen Jahrhundert galt. Damals konnte von einer inzwischen zivilrechtlich normierten Verbindlichkeit einer Patientenverfügung, in der jede Reanimation abgelehnt wird, noch nicht die Rede sein. Die Staatsanwaltschaft vertritt demgegenüber die Rechtsprechung, wie sie einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus den 1980er Jahren im "Fall Dr. Wittig" entspricht. Seitdem ist ein ärztlicher Suizidhilfefall nie mehr beim BGH verhandelt worden. Dies könnte sich nun ändern und damit eine zeitgemäße höchstrichterliche Entscheidung endlich Maßstab für die Rechtsauffassung und Rechtsprechung der Untergerichte werden.

Quelle: Wolfgang Putz, in: Suizidhilfe als Herausforderung, Hrsg: Gita Neumann (Humanistische Akademie Berlin Band 5), S. 50 ff

 

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Gita Neumann
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung