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Warum ist es möglich, dass so viele Patientenverfügungen ungültig sind?

Ich würde es eher so formulieren: warum werden so viele Patientenverfügungen von Ärzte für nicht geeignet betrachtet? Die Gültigkeit einer Patientenverfügung setzt nach dem "Patientenverfügungsgesetz" (§ 1901a BGB) formal nur die Schriftlichkeit mit Datum und Unterschrift voraus, die darin formulierten Festlegungen sind für Ärzte unmittelbar verbindlich. Es ist jedoch erforderlich, dass aus der Patientenverfügung der Wille für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation hervorgeht (§ 1901a BGB). Da hier jeder Mensch andere Vorstellungen hat, wäre ein individueller Text mit differenzierten Situationsbeschreibungen optimal. Die meisten verwenden jedoch Standardformulare, die wenig differenziert sind und aus denen selten der Patientenwunsch in der konkreten Behandlungssituation hervorgeht. Diese Patientenverfügungen sind also nicht ungültig, sondern einfach nicht hinreichend aussagekräftig für die konkrete Situation. Viele Menschen haben Angst, dass sich Ärzte absichtlich über ihre Patientenverfügung hinwegsetzen. Tatsächlich kommt das kaum vor. Ärzte müssen aber jede Situation gesondert betrachten und fühlen sich im Zweifelsfall dem Erhalt des Lebens verpflichtet.

Warum ist es so wichtig, penibel auf Formulierungen und Situationen in einer Patientenverfügung zu achten?

Orientieren wir uns an Ihrer Fallgeschichte: Es reicht hier nicht aus, für den Fall eines schweren Dauerschadens des Gehirns generalisiert lebensverlängernde Maßnahmen abzulehnen. Ebenso allgemeine Formulierungen wie "Ich möchte keine Apparatemedizin" oder "Wenn mein Leben nicht mehr lebenswert ist, möchte ich nicht unwürdig dahinsiechen" sind zu unkonkret, da sie zu viel Interpretationsspielraum zulassen. Denn wer soll entscheiden, ob die Situation für den Einzelnen lebenswert ist oder nicht, ob sie einem "Dahinsiechen" im Sinne des Patienten entspricht oder nicht? Der Arzt kann das nicht wissen. Deshalb müssen die abzulehnenden Maßnahmen möglichst detailliert aufgezählt werden. So sollte es besser heißen "Verzicht auf Wiederbelebungsversuche unter allen Umständen", "Verzicht auf künstliche Ernährung durch Sonden im Fall von Wachkoma", "unter keinen Umständen maschinelle beziehungsweise künstliche Beatmung insbesondere über Luftröhrenschnitt und Beatmungsschlauch". Auch Dialyse, Amputationen, belastende Chemotherapien oder Bluttransfusionen muss man konkret ausschließen, indem man in der Patientenverfügung formuliert, dass diese Behandlungsmethoden unter keinen Umständen angewandt werden sollen. Sie sehen, das Thema ist sehr komplex. Wenn wir die konkreten Behandlungssituationen noch berücksichtigen – es mag etwa sein, dass eine Bluttransfusion unter bestimmten Umständen ausgeschlossen wird, unter anderen jedoch nicht –, steigt der Grad der Komplexität. In der Zentralstelle Patientenverfügung im Humanistischen Verband raten wir deshalb davon ab, eine Patientenverfügung ohne Beratung zu Hause selbst zu erstellen.

Woher wissen wir denn, wann genau eine Patientenverfügung gültig ist.

Machen Sie die Probe aufs Exempel bei einer Ihnen vorliegenden Patientenverfügung: Angenommen, Sie sind nach einem Schlaganfall, der Sie schluck- und bewegungsunfähig gemacht hat, nicht mehr einwilligungsfähig. Gibt Ihre Patientenverfügung darüber Auskunft, ob und gegebenfalls wie lange Sie nun künstlich ernährt werden wollen? Wenn Sie das nicht der Verfügung entnehmen können, werden es andere später auch nicht wissen! Die Frage ist also nicht, ob das Dokument gültig ist, sondern ob es konkret und aussagekräftig genug ist.

Können wir sie überprüfen lassen? Was kostet das?

Es existieren diverse Anbieter (Ärzte, Notare, Patientenverfügungsdienstleister), die eine bestehende Patientenverfügung überprüfen. In der Regel geschieht dies gegen eine Gebühr, deren Höhe variabel ist. Erfahrungsgemäß ist es wenig ratsam, die Überprüfung durch Notare oder Juristen vornehmen zu lassen, die kein (palliativ-)medizinisches Fachwissen haben. Wenn jemand zum Beispiel nicht zwischen verschiedenen Formen der Hirnschädigung unterscheiden kann, ist es ihm kaum möglich, eine qualifizierte Patientenverfügung zu erstellen oder eine bestehende Patientenverfügung hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu überprüfen. Ärzten fehlt es im Praxisalltag häufig an der Zeit für eine ausführliche Beratung. In der Zentralstelle Patientenverfügung bieten wir selbstverständlich die Überprüfung und Aktualisierung einer von uns ausgestellten und bei uns hinterlegten Patientenverfügung kostenfrei an.

Wo lauert das Fehlerpotential?

Wie schon beschrieben, liegen die häufigsten "Fehler" in der pauschalen Abfassung. In der Regel werden keine individuellen Haltungen beigefügt, die Auskunft darüber geben, wann der Verfasser der Patientenverfügung eine Situation als "lebenswert" oder als "aussichtslos" betrachtet. In der konkreten Situation stellt sich dann die Frage, ob es nicht doch noch Entwicklungspotential gibt und der Betroffene bei einer mehr oder weniger wahrscheinlichen Besserungsaussicht einer Behandlung zustimmen würde. Wenn etwa jemand formuliert, dass er im Fall, dass eine Verbesserung der Situation ausgeschlossen ist, keine Behandlung wünscht, dann wird er in der Regel behandelt werden. Denn kein Arzt kann mit einhundertprozentiger Sicherheit ausschließen, dass nicht irgendwann doch eine Besserung eintritt? Auch in der Medizin geschehen immer wieder überraschende Dinge, etwa wenn Menschen nach 15 Jahren Wachkoma aufwachen. Der Interpretationsspielraum bei einer solchen Formulierung ist beträchtlich, dieser muss ausgeschlossen werden.