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Begründung der Jury

Jan Koneffke entwirft in seinem Roman "Ein Sonntagskind" ein deutsches Panorama, das vom Zweiten Weltkrieg über das Jahr 1989 bis in die Gegenwart führt. Der "Versuch, einen Vater zu finden" (Uwe Johnson) führt den Erzähler zur Näherung an eine bislang unbekannte Lebensgeschichte.

Eng an die Perspektive der Vaterfigur gebunden, wird der Leser mit einem Geflecht von Schuld, Verdrängung, Selbstbetrug und Schweigen konfrontiert. Der Fund von Briefen des damals jungen Wehrmachtssoldaten stört den recherchierenden Sohn in hohem Maße auf und lässt die Figur des Vaters in einem anderen Licht erscheinen.

Wie bei Uwe Johnson wird offenkundig, auf welche Weise der Einzelne im 20. Jahrhundert in die gesellschaftlichen Zeitläufte hineingezogen wurde und es zu Brüchen in der Biographie gekommen ist. So zeigt Jan Koneffke, wie erschreckend widerstandslos sich der spätere linksliberale Philosophieprofessor als Landser im Zweiten Weltkrieg eingeordnet hat und zum Handlanger eines unmenschlichen Systems wurde. Dennoch wird – wie bei Uwe Johnson – die kathartische Entdeckung von Schuld und Verstrickung nicht zur Projektionsfläche für moralische Aburteilung durch die Nachgeborenen, sondern zum Ausgangspunkt für (selbst)kritische Fragen nach dem Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen.

Jan Koneffke zieht mit seiner Romantrilogie einen faszinierenden Bogen, der mit der Vertreibung aus Pommern einsetzt ("Eine nie vergessene Geschichte"), über den Zweiten Weltkrieg von Berlin nach Bukarest führt ("Die sieben Leben des Felix Kannmacher") und mit "Ein Sonntagskind" in einer historischen Gegenwart ankommt.