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Begründung der Jury

Im faszinierenden Werk von Uwe Johnson spielen die Koordinaten von Gedächtnis und Erinnerung ebenso eine Rolle wie Aspekte von Trauerarbeit und Spurensuche oder Heimatsuche und Heimatverlust.

An Arno Orzesseks Romandebüt "Schattauers Tochter" lassen sich Verbindungen zu Uwe Johnson herstellen. Auch für diesen Autor spielen die kulturgeschichtlich bedeutsamen Kategorien von Erinnerung und Gedächtnis eine gewichtige Rolle.
Arno Orzesseks Erzähler erinnert an Geschichte(n), selbst erlebte und von anderen überlieferte. Überzeugend gelingt es ihm dabei, ein Bild von den Widersprüchen deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert zu entwerfen. Wie Uwe Johnson versucht er "einfache Wahrheiten" zu vermeiden und den Anspruch umzusetzen, dass Erzählen ein "Prozess der Wahrheitsfindung" sein müsse.

Während Teile der jungen Autorengeneration mit Debüts Erfolg hatten, in denen sie sich ihrer eigenen Jugend versicherten und ihre Erinnerungen gewissermaßen poetisierten, schafft es Arno Orzessek, eine brillante Adoleszenz- beziehungsweise Schulgeschichte in einen großen Erzählkosmos einzubetten.
Indem er seine Figuren in vielfältige dramatische wie geschichtsträchtige Situationen stellt, wird der Leser dazu eingeladen, die angebotene "Version der Wirklichkeit" zu vergleichen mit jener, die er unterhält. Der Autor zeigt lebendig, in welchem Maße ästhetische Formung ungebrochen dieChancebesitzt, unter die "äussere Kruste des Gewesenen" (Uwe Johnson) zu gelangen und der "Wirklichkeit" auf die Spur zu kommen.