Sehr geehrte_r Hengameh Yaghoobifarah,
Sehr geehrte_r Bahar Sheikh,
Sehr geehrte taz-Redaktion,
wir sind – sagen wir es mal positiv – überrascht von Ihrer Perspektive auf den CSD, aber jeder Mensch darf seine Perspektive haben, und das ist gut so, um mal einen queeren Promi zu zitieren. Aber weil das so ist, würden wir gern unsere Perspektive als eine von vielen dagegensetzen. Sie beklagen im Wesentlichen das Fehlen politischer Botschaften, die Unterrepräsentanz von schwarzen Queers und allgemein den Partygedanken, dem offenbar hauptsächlich Heten folgen.
Uns verwundert die eilfertige Beurteilung, was als politische Botschaft gilt. Nach welchem Maßstab bewerten Sie das? Sicherlich kann man darüber streiten, ob das Motto "Fickt Euch" von Die Partei so gelungen ist, aber geschenkt. Wir alle wissen, dass Sonneborn & Co. mit Ironie arbeiten. Und wem das Motto galt, ob tatsächlich in ganz direkter Form dem geneigten CSD-Volk oder eher denjenigen, die gegen queere Lebensformen wettern – entscheiden Sie selbst. Und klar, man kann über BVG, Polizei, Bundeswehr, Evangelische Kirche und selbst über uns, den Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg, schimpfen, die hier versuchen, Menschen zu erreichen, die sie sonst nicht in dem Maße erreichen. Oder sich über den Kommerz von PayPal, Deutsche Bank, Ebay und Zalando aufregen, die hier ihr Image aufpolieren wollen. Aber macht das die taz nicht auch, etwa wenn Sie mit dem taz lab das eigene "Festival des Zuhörens" organisiert und dabei u.a. mit Bild-Chef Julian Reichelt smarten Small-Talk führt, statt ihn mit dem Populismus des eigenen Blattes zu konfrontieren?
Aber kommen wir zurück zum Charakter des politischen Protests und Ihrer Kritik. Unser Truck fuhr mit dem Aufdruck "Es ist scheißegal, wen Du liebst" durch die Straßen, für den uns viele queere und nicht-queere Menschen auf die Schultern klopften. Sicherlich mag es auch einige gegeben haben, die sich gefragt haben, was das soll, aber für uns geht es beim CSD um das Prinzip der Selbstbestimmung. Jede_r soll selbst entscheiden können und dürfen, für wen er_sie sich entscheidet. Da hat sich niemand einzumischen. Oder um es mit unserer Vorstandsvorsitzenden Katrin Raczynski zu sagen: "Die Freiheit von queeren Menschen, selbstbestimmt zu lieben und zu leben, ist unser aller Freiheit." So hatten wir unseren Auftritt auch den Redaktionen am Donnerstag mitgeteilt, auch Ihrer. Und in diesem Sinne haben nicht nur wir uns präsentiert, sondern auch viele andere. Ist Ihnen dieses Anliegen für Grund- und Menschenrechte tatsächlich nicht politisch genug?
Ihre Kritik gilt auch denjenigen, die da am Samstag auf Trucks und Straßen unterwegs waren. "Während die Schwarzen trans Frauen, die damals den Stonewall Riot auslösten, vor allem Sexarbeiter_innen und aus der Arbeiterklasse waren, wird das Event fünfzig Jahre später komplett von weißen Bürgis dominiert", schreiben Sie. Ja, hier legen Sie den Finger in eine Wunde, mit der wir uns alle befassen sollten. Aber lassen Sie uns auch ehrlich sein: Wie groß (oder eher klein) ist denn die Community schwarzer Trans-Frauen in Berlin, die Sie hier prominent präsentieren wollten. Und gehörte die nicht zu allererst auf den Wagen des CSD Berlin, der dieses Motto ausgerufen hat? So wichtig, wie ihre Kritik hier ist, genauso zielt sie an der Wirklichkeit vorbei.
Dazu vielleicht ein kurzer Exkurs, wie die rund 60 Plätze auf unserem Truck vergeben wurden (für andere Trucks kann ich nicht sprechen, aber das Prinzip schien uns auch auf anderen Wagen angewandt). Zunächst hat unser verbandsinterner Arbeitskreis Queer*Human Tickets bekommen, dann wurde ein Kontingent für Repräsentant_innen, Mitglieder und Angestellte unseres Verbandes verteilt und zehn Mal zwei Karten verlosten wir über Facebook. Eine Auswahl nach Einkommen, Gender, Hautfarbe, persönlicher Identität oder Ähnliches fand nicht statt. Unser Wagen war bunt, von politischen Repräsentant_innen bis hin zu queeren Flüchtlingen, von Ü65 bis U16 hatten wir Menschen mit bei uns an Bord. Sie alle feierten die queere Lebenskultur, weil sie sie als Teil der Normalität schätzen. Als etwas, das uns alle bereichert.
Apropos feiern: Sie waren auf der Love-Parade, und alles, was Sie bekamen, waren Regenbogenfahnen. Was genau wollen Sie denn mit diesem Satz sagen? Das ein politischer Protest nur bierernst sein darf? Was machen wir denn dann mit dem #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz im vergangenen Jahr, der #unteilbar-Demo hier in Berlin und den #unteilbar-Veranstaltungen, die in den kommenden Wochen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, die in den nächsten Wochen stattfinden? Und schickt die taz demnächst die "Lachpolizei" zu den Fridays-for-Future-Protesten, um daran zu messen, ob die Protestierenden es wirklich ernst meinen?
Viel früher vergleichen Sie den CSD mit einer WM-Fanmeile, weil Ihnen offenbar Deutschland-Figuren über den Weg gelaufen sind. Ja, das finden auch wir befremdlich, aber wir wissen auch nicht, was Menschen dazu bewegt, so herumzulaufen. Wir wollen das auch gar nicht bewerten, zumindest nicht, ohne die Menschen gefragt zu haben. Vielleicht kommt der Träger des T-Shirts "Ich liebe dich, Deutschland! Ich liebe Dich, Axel!" aus einem Land, in dem es mit queeren Rechten nicht so weit her ist. Vielleicht hat er einen Fluchthintergrund? Wir wissen es nicht. Es wäre aber Ihre Aufgabe gewesen, das herauszufinden, wenn Sie sich schon aus Ihrer Komfortzone begeben, so wie Sie das eingangs behaupten. Aber genau das haben Sie eben nicht gemacht. Sie blieben, diesen Eindruck hinterlässt ihr allein auf Beobachtung basierender und deshalb im Wortsinne oberflächlicher Beitrag, offenbar leider nur in der kleinen Blase ihrer "Freund_innengruppe, die natürlich nur ironisch mitfeierte". Ihr Beitrag ist der verlängerte Arm dieser Ironie, ausreichend selbstgerecht, perspektivisch eindimensional und leider nur selten sinnvoll kritisch.
Last but not least: "Hauptsache die Heten haben Spaß." Das schreiben Sie ernsthaft, nachdem Sie sich auf den Schiedsrichterstuhl zurückgezogen und "das Elend" des bunten Trosses angeschaut haben. Woher Sie wissen, dass da vorrangig "Heten" Spaß hatten, das wissen Sie nur selbst. Ich zumindest kann es nicht am visuellen Erscheinungsbild und Auftreten festmachen. Und wer am Samstag wen küsst, ob genderübergreifend oder nicht, das ist uns reichlich egal. Denn im Sinne unser aller Freiheit ist es uns nicht nur egal, wer wen liebt, sondern auch, wer mit wem tanzt, küsst oder schläft. Die Liebe ist vielfältig, genau das wurde am Samstag von Hunderttausenden, queeren und nicht-queeren Menschen, gefeiert.
Nachtrag: Wenn Sie Lust haben, sich auf ein Experiment einzulassen, dann sind Sie herzlich eingeladen, im nächsten Jahr auf unserem Truck mitzufahren, mit Menschen auf, an und neben unserem Wagen über ihre Motive, am CSD teilzunehmen, zu sprechen und unser Engagement kritisch zu durchleuchten. Bei Interesse schreiben Sie an t.hummitzsch@hvd-bb.de.