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    Fundamentalistische Abtreibungsgegnerinnen beim alljährlichen "Marsch für das Leben" in Berlin

Radikalisierte Abtreibungsgegner_innen – eine unterschätzte Gefahr

Angezeigt worden war Dr. Hänel von radikalen Abtreibungsgegner_innen aus dem Umfeld von www.babycaust.de, einer Seite, auf der unter anderem extreme Thesen wie "damals Holocaust – heute Babycaust" vertreten werden. Zu den zentralen Akteuren hinter der Seite gehört Günter Annen, Vorsitzender der Initiative Nie Wieder! e.V., die sowohl gegen Abtreibungen als auch gegen ärztliche Suizidhilfe vorgeht. Babycaust stellt mit abscheulichen Bildern und unfassbaren Nazivergleichen Ärzt_innen an den Pranger, die auch Abtreibungen vornehmen. Die ins Visier Genommenen werden als "Mörder" oder "Tötungsspezialisten" bezeichnet und mit den Adressen ihrer niedergelassenen Praxis oder Klinik (nicht selten auch mit Privatanschrift) auf der Internetseite genannt, eingeschüchtert und bedroht.

Anstößige Propaganda bezüglich Schwangerschaftsabbruch

Unmittel nach nach der Urteilsverkündung gegen Dr. Hänel gab Dr. Ines Scheibe vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) in einer Presseerklärung bekannt:

"Eine selbstbestimmte Familienplanung ist nicht möglich ohne den Zugang zu medizinisch und psychologisch qualifizierten sowie weltanschaulich neutralen Informationen über Möglichkeiten und Bedingungen der rechtzeitigen Beendigung ungewollter Schwangerschaften."

Scheibe ist Leiterin einer Schwangerenberatungsstelle des HVD Berlin-Brandenburg und u.a. im Koordinationskreis des vom HVD initiierten und mitgegründeten Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung. Dort war man sich der sehr konkreten Gefahr bewusst, dass, wie Scheibe sagte, der Strafrechtsparagraf 219a "eine Grundlage für inakzeptable Schikanen durch religiöse Fundamentalisten und andere radikale Abtreibungsgegner" bietet.

Wer nach Anstößigem sucht, kann es bei eben jenen Extremist_innen finden: in den widerwärtigen Bild- und Textbotschaften auf der Website www.babycaust.de. Doch der Paragraf 219a richtet sich nicht gegen diese fundamentalistischen selbst ernannten Lebensschützer_innen, sondern umgekehrt gegen Ärt_innen wie Frau Dr. Hänel. Ärzt_innen, die über die Möglichkeit eines Eingriff durch sie auch nur öffentlich aufklären, erfüllen den Straftatbestand durch die Tatsache, dass sie bei einem Eingriff ja Honorar erhalten. Dieser Tabubruch reicht dann auch schon für einen weit gefassten Begriff der Anstößigkeit.

Unterschätzte Gefahr fundamental-radikaler Tendenzen

Wie auch auf anderen Gebieten zu beobachten, wurden und werden fundamental-radikale, antiliberale Kräfte – aus Naivität oder Gleichgültigkeit – in unserer Gesellschaft häufig unterschätzt. Nach Angaben in der taz haben sich die von radikalisierten Abtreibungsgegner_innen angestoßenen Ermittlungsverfahren in den vergangenen Jahren nahezu verdreifacht: Wären es von 2010 bis 2014 jährlich zwei bis maximal 14 pro Jahr, läge die Zahl 2016 bei 35 Fällen, erklärte die Linken-Politikerin Cornelia Möhring in der linken Tageszeitung.

Nach eigenen Angabe von Babycaust richtete sich ihre "erste Strafanzeige am 16.10.2001 an die Staatsanwaltschaft Heilbronn, weil der dort ansässige Abtreibungsarzt Jürgen K. auf seiner Homepage gegen den § 219a StGB verstoßen hatte." Weiter heißt es auf deren Seite "Mittlerweile haben wir nachweislich etwa 400 Strafanzeigen erstellt."

Normalerweise stellen die Staatsanwaltschaften solche Fälle ein, weil sie zugunsten der Mediziner_innen annehmen, dass diese nicht wissen, dass sie sich mit bloßen Informationen auf ihrer Internetseite strafbar machen. Diese Regelung des "Verbotsirrtums" griff im Falle von Kristina Hänel nicht mehr. Ihr hat, so hieß es in der Anklageschrift, nunmehr die "Auslegung des Tatbestandes" bekannt sein müssen – denn es war bereits das dritte Mal, dass sie angezeigt wurde.

Dabei schrecken fundamentalistisch-religiöse Lebensschützer vor nichts mehr zurück, wie die Frankfurter Rundschau berichtet: Es sei sogar eine Anzeige erstattet worden, weil auf einer Webseite des Bistum Limburg auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, sich bei der Diakonie Hochtaunus den für einen Abbruch notwendigen Beratungsschein ausstellen zu lassen. Wie die Zeitung recherchiert hat, steckt hinter der Anzeige Gerhard Woitzik (90) von der katholische Zentrumspartei – einstmals ein politisches Schwergewicht, heute in der völligen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Woitzik soll auch einen in Bayern kursierenden Flyer verantworten, "der wie die Werbung einer Pizzeria aussieht – im Innenteil aber die Praxis eines Arztes als 'Kinderschlachthof' bezeichnet und Bilder von Pizzen belegt mit zerstückelten Föten abbildet".

Durch die Verurteilung von Dr. Kristina Hänel ist etwas Positives in Gang gekommen: Jetzt kann darüber, was wirklich anstößig und was demgegenüber ärztlich geboten ist, ganz normal geredet werden. Der Verein Donum Vitae, der als katholischer Träger auch Schwangerenkonfliktberatung durchführt, appelliert dennoch dringend, den "bestehenden Konsens" aufrechtzuerhalten. Moderate Abtreibungsgegner_innen sehen keine Gefahr durch radikalisierte Gruppierungen und sondern befürchten vielmehr zu recht, dass eine neue Grundsatzdebatte entfacht wird.

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Gita Neumann
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung

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