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Ende des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche in Aussicht

Kaum jemand dürfte gewusst haben, dass es im deutschen Strafrecht einen Paragrafen 219a überhaupt gibt. Dieser richtet sich gegen die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Er führte ein Schattendasein bis zur Verurteilung der Gynäkologin Dr. Kristina Hänel. Diese löste bundesweit Resonanz und Empörung aus.

Dr. Hänel hat auf ihrer Internetseite darüber informiert, dass zu ihrem ärztlichen Leistungsspektrum neben allgemeinmedizinischen Verfahren auf ihrem Spezialgebiet der Frauengesundheit auch der Schwangerschaftsabbruch gehört und dass sie auf Anfrage nähere Informationen dazu anbietet. Aufgrund dieses Hinweises wurde sie wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot zum Schwangerschaftsabbruch im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Grundlage ist der Paragraf 219a.

Dieser richtet sich, um das deutlich zu machen, gegen Hinweise, die sich eines "Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise" auf die Möglichkeit von Abtreibungen beziehen. Der genaue Wortlaut des Paragrafen macht deutlich, dass es sich hier im Grunde um ein Informationsverbot handelt. Denn im Kern heißt es dort:

Wer öffentlich "Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Im Fall Dr. Hänel ging es um in einer PDF-Datei enthaltene Sachinformationen wie diesen:

"Beim chirurgischen Abbruch mit Vollnarkose dürfen Sie 6 Stunden vorher auf keinen Fall essen, trinken oder rauchen."

Oder um Erklärungen des Unterschieds zwischen medikamentösem und chirurgischem Schwangerschaftsbruch mit den jeweiligen Nebenwirkungen.

Anstößige Werbung – Parallele zum § 217 StGB

Bei der strafbaren Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch handelt es sich um ein sogenanntes Vorfelddelikt. Hier besteht die direkte Parallele zur seit 2015 verbotenen "Förderung von Selbsttötungen" gemäß § 217 StGB, welcher sich indirekt auf eine an sich straffreie, aber als unerwünscht und "anormal" geltende Haupttat bezieht. Radikale Lebenssschützer beschwören in beiden Fällen das Szenario der "reißerischen Werbung" – für allenfalls geduldete, aber gleichwohl als unsittlich und prinzipiell rechtswidrig angesehene ärztliche Handlungen.

So erklärt etwa Elisabeth Wincelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion anläßlich der neu entfachten Debatte um den Paragrafen 219a:

"Es darf kein Geschäftsmodell gefördert werden, das auf der Tötung ungeborenen Lebens beruht. Wer den Paragrafen 219a StGB ersatzlos aufhe­ben möchte, muss in Zukunft mit offener Werbung im Internet und Fernsehen, in Zeitschriften etc. für Abtreibungen rechnen."

Dem schloss sich im Geiste die Vorsitzende Richterin des Gießener Landgerichts in der mündlichen Urteilsbegründung an mit den Worten:

"Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache."

Der Bundesverband Lebensrecht und die katholische Kirche hatten den Richterspruch und die Verurteilung der Ärztin ausdrücklich begrüßt.

  Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen, 2001 bis 2005 Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft), Foto: Stephan Röhl (CC BY-SA 2.0)
Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen, 2001 bis 2005 Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft), Foto: Stephan Röhl (CC BY-SA 2.0)

Was gegen den Paragrafen 219 a unternommen wird

Dabei erweist sich das Schüren von Angst als unbegründet und abwegig: Reklame, die in schrillen Farben und Tönen die besonderen Vorzüge eines ärztlichen Schwangerschaftsabbruchs für möglichst kinderlose Frauenemanzipation oder dergleichen anpreist, ist hierzulande kaum vorstellbar – erst Recht nicht für Mediziner_innen. Denn diesen ist Werbung bezüglich aller Leistungen durch die Berufsordnung verboten. Die Regelung betrifft die "Vermeidung einer dem Selbstverständnis der Ärztin oder des Arztes zuwiderlaufende Kommerzialisierung des Arztberufs". Somit sei eine "anpreisende" Werbung berufswidrig, hingegen sachliche und berufsbezogene Information selbstverständlich gestattet.

Und weil diese sachliche Information gestattet  sein muss, kündigte Dr. Hänel nicht nur an, dass sie in Berufung gehen und notfalls auch vor dem Bundesverfassungsgericht klagen werde, sondern rief zugleich auch eine Petition ins Leben, die schnell schon 150.000 Unterstützer_innen fand.

Renate Künast von den Bündnis 90/Die Grünen pflichtete der Ärztin bei:

"Es kann nicht sein, dass wir Regeln schaffen, nach denen Schwangerschaftsabbrüche straf­frei sind – und dann dürfen Ärztinnen und Ärzte, die die ­Eingriffe vornehmen, nicht darüber informieren".

Die derzeitige Situation, so Künast weiter, sei "geradezu ein Stück aus Absurdistan". Mit dieser Einschätzung ist sie und sind die Grünen nicht allein. Inzwischen hat die SPD-Fraktion angekündigt, gemeinsam vorzugehen – sofort und unabhängig von jeglicher Regierungsbildung – außen vor blieben nur Union und AfD. So soll es einen überparteilichen Zusammenschluss mit den Linken geben, die schon seit langem eine Gesetzesinitiative gegen den Paragrafen 219a vorbereitet hatten, sowie mit der FDP, die sich zunächst nur für eine Entschärfung des Werbeverbots ausgesprochen hatte, aber auch eine Abschaffung nicht mehr ausschließt.

Die politische Entschiedenheit ist ebenso bemerkenswert wie es ein schnelles Ergebnis wäre. Denn an den strafrechtlichen Regelungen rund um das Thema Abtreibung wurde in Deutschland seit dem Kompromiss Mitte der 1990er Jahren nicht mehr gerührt. Der Gang zum Bundesverfassungsgericht dürfte Dr. Hänel erspart bleiben – anders als ihren Kolleg_innen, die hoffen, auf diesem Weg das Verbot der Förderung geschäftsmäßiger Suizidhilfe im nächsten Jahr zu kippen.

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Gita Neumann
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung

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