Mehr als 65.000 Schüler_innen besuchen unseren Humanistischen Lebenskundeunterricht. Jetzt haben wir ein eigenes Schulbuch gestaltet. Das Buch ermöglicht den Kindern auf spielerische Weise den ersten Kontakt zu unserer humanistischen Weltanschauung. Und lädt dazu ein, sich mit Fragen über sich und die Welt zu beschäftigen.
"Die Praxismappe, die es vorher gab, war einfach überholt", sagt Patricia Block. "Nicht nur inhaltlich, sondern auch didaktisch." Block, 58, gehört zum fünfköpfigen Redaktionsteam des neuen Schulbuches und leitet unsere Lebenskunde-Bibliothek sowie den Bereich Unterrichtsmaterialien. Bei ihr leihen sich unsere Lehrkräfte Arbeitsblätter, Bücher, Spiele oder Filme für den Unterricht aus. Die alte Praxismappe steht noch bei ihr in der Bibliothek. Drei Ordner füllen die Arbeitsblätter und Unterrichtsanregungen, die seit Anfang der 90er Jahre von Lebenskundelehrer_innen und Bildungsreferent_innen erstellt wurden.
Das neue Schulbuch dagegen umfasst 80 Seiten. Gedacht ist es vorrangig für die Klassenstufen 1 und 2. Entsprechend wenig Text müssen die Kinder bewältigen, stattdessen gibt es großformatige Illustrationen und Aufgaben, die für die Schüler_innen leicht verständlich sind: Beschreibe, was du siehst. Und: Wie ist das bei dir? Thematisch ist das Buch in sechs Kapitel gegliedert: "Ich bin Teil der Natur", "Ich und die anderen", "Alle anders – alle gleich", "Selbst entscheiden", "Die Welt verstehen" und "Das Leben gestalten". "Die Kapitel orientieren sich an den Postulaten, also den Oberbegriffen des Rahmenlehrplans für den Humanistischen Lebenskundeunterricht", erklärt Patricia Block. "Naturzugehörigkeit, Verbundenheit, Gleichheit, Freiheit, Vernunft und Weltlichkeit."
Mehr als zwei Jahre hat die Arbeit am Schulbuch gedauert. "Die Idee dazu gab es gefühlt schon 20 Jahre", erzählt Block. Zwischendurch sei auch eine Kooperation mit einem bekannten Schulbuchverlag angedacht worden, dann aber nicht zustande gekommen. "Für den Verlag lohnte es sich nicht, ein Buch nur für Kinder aus Berlin und Brandenburg zu machen. Deshalb haben wir es nun in Eigenregie umgesetzt." Unser Verband hat eine fünfstellige Summe in das Projekt investiert.
Die erste Herausforderung: den Aufbau festlegen. Zwar gefiel der Vorschlag, das Buch nach den Postulaten zu gliedern, schnell allen Beteiligten, "aber so ein Begriff wie Weltlichkeit ist für Erst- und Zweitklässler_innen schon auch sehr anspruchsvoll", sagt Patricia Block. Zudem stehen die Postulate zwar im Rahmenlehrplan – die verschiedenen Unterrichtsthemen sind ihnen allerdings nicht zugeordnet. Das Redaktionsteam versuchte sich also an einer Zuordnung. Und musste erst einmal überlegen: Welche Themen sollen überhaupt ins Buch? "Es hätten auch 100 andere sein können – die Auswahl ist groß", so Block.
Das Redaktionsteam saß mindestens einmal im Monat zusammen, entwickelte Ideen, tauschte sich aus. "Wir haben viel diskutiert", erzählt Patricia Block. Die Protokolle der Sitzungen bekam Illustratorin Anja von der Ahé. "Sie ist selbst Lebenskundelehrerin. Das war unheimlich wertvoll. Jemand anderem hätten wir vermutlich erstmal erklären müssen, was Humanismus und Humanistische Lebenskunde sind. Sie kennt außerdem die Altersgruppe und konnte sich gut in die Perspektive der Kinder hineindenken. Teilweise hatten wir ganz konkrete Vorstellungen. Zum Teil hat sie aber auch nur Stichpunkte von uns bekommen", erinnert sich Block.
Der Humanistische Lebenskundeunterricht knüpft grundsätzlich an das an, was die Kinder mitbringen. Und das ist ganz unterschiedlich: "Du kannst in Marzahn nicht genau den gleichen Unterricht machen wie in Britz oder in Steglitz. In Mitte können Schulklassen regelmäßig ins Museum gehen, da gibt es ja auch diverse – in anderen Bezirken sind die Rahmenbedingungen aber wieder anders", sagt Patricia Block. Das Buch sei darauf ausgerichtet, dass es für alle passt. Es liefere Ansätze. Und biete auch für die Eltern mehr Gelegenheit, mitzukriegen, was im Unterricht passiert, und mit ihren Kindern darüber ins Gespräch zu kommen. Die Lehrkräfte – vor allem die langjährigen – seien zunächst etwas skeptisch gewesen. Unsicher, ob nun in allen Schulen der Stadt zur gleichen Zeit der gleiche Unterricht gemacht werden müsse – unabhängig von der Schülerschaft. "Mit dem Ergebnis sind bisher aber alle zufrieden. Die Rückmeldungen sind sehr positiv."
Darüber freut sich nicht nur Patricia Block, sondern auch ihre Kollegin Anne Gastmann. Die Kommunikationswirtin ist für Herstellung, Marketing und Vertrieb des Schulbuches zuständig, das zunächst in einer Auflage von 15.000 Stück produziert wurde. "Den Humanistischen Lebenskundeunterricht macht das Buch professioneller und nach außen sichtbarer", glaubt sie.
Eingeführt wird "Humanistische Lebenskunde, Band I" zum Schuljahr 2019/20 – und damit ein Jahr später als ursprünglich geplant. Patricia Block: "Nachdem der Berliner Senat angekündigt und im April 2018 dann auch beschlossen hatte, die Lernmittelfreiheit einzuführen, haben wir uns entschieden, nichts zu überstürzen. Denn ursprünglich sollte das Buch verkauft werden. Dann wäre unser freiwilliges Unterrichtsfach das einzige gewesen, das einen Buchkauf verpflichtend gemacht hätte." Nun haben alle Lehrer_innen der ersten und zweiten Klassen einen Klassensatz an Büchern für ihre Schüler_innen erhalten. "Auch einige Lehrkräfte, die dritte und vierte Klassen unterrichten, waren so begeistert davon, dass sie es bereits einsetzen", berichtet Anne Gastmann. "Kaufen müssen die Schüler_innen das Buch nicht", betont die 38-Jährige. "Wir haben allerdings ein Pilotprojekt gestartet, bei dem einige Lehrer_innen an ihren Schulen dafür werben, dass die ganze Klasse möglichst eigene Bücher hat. Weil das einfach viele Vorteile hat. Und es ein klasse Buch ist. Es wird aber definitiv niemand vom Humanistischen Lebenskundeunterricht ausgeschlossen, weil er oder sie sich kein eigenes Buch anschafft. Wir haben reichlich Leihexemplare. Eltern können das Buch auch direkt bei uns bestellen."
An dem Buch "gebastelt" wurde bis kurz vor Andruck. Das fertige Exemplar hielten die Macher_innen erst drei Tage vor den Dienstversammlungen mit mehr als 400 Lehrkräften Anfang 2019 in den Händen. "Ich habe mich erst gar nicht getraut, reinzugucken", gesteht Patricia Block. "Du weißt ja nicht, was dich erwartet. Stimmen die Farben? Ist es falschherum von hinten nach vorne gebunden? Da ist schon viel Nervosität dabei. Du denkst, du hast jetzt alles richtig gemacht – aber vielleicht ist dir doch ein Fehler unterlaufen und morgen kommen nun 15.000 Bücher, die du wieder zurückschicken kannst."
Doch alle Ängste waren unbegründet. Und den Schüler_innen gefällt’s auch: "Einige Kolleg_innen haben uns die ersten Rückmeldungen der Kinder zukommen lassen. Und zwar wörtlich, so, wie sie von den Kindern kamen. Die haben wir mit einem breiten Grinsen gelesen", sagt Anne Gastmann. "Das war nicht immer unbedingt das, was wir uns ursprünglich dabei gedacht haben. Aber das spielt dann auch keine Rolle mehr", ergänzt Patricia Block, die glücklich ist über das tolle Feedback. "Wenn es nach mir geht, fangen wir ganz schnell mit dem nächsten Buch an."
Zunächst ist aber eine umfassende Evaluation geplant. Denn Block, Gastmann und ihre Kolleg_innen wollen wissen, wie das Buch tatsächlich ankommt und wie es im Unterricht genutzt wird.