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Uwe-Johnson-Preis 2006 geht an Joochen Laabs für seinen Roman "Späte Reise"

Begründung der Jury

Der in Berlin und Mecklenburg lebende Autor setzt in seinem Roman ostdeutsche Erinnerung von der Zerstörung Dresdens über die 50er Jahre bis zum Ende der DDR einer schonungslosen Befragung durch eine amerikanische "Wirklichkeit" der 1990er Jahre aus. Durch den Wechsel von Vergangenheits- und Gegenwartsebene wie durch den spielerischen Umgang mit den Erfahrungen seiner Protagonisten bietet er einen neuen Zugang zu medial abgenutzten oder überzeichneten Bildern von DDR-Geschichte.

Wie schon Uwe Johnsons "Jahrestage" zeigt er, auf welche Weise es Literatur gelingen kann, über unterschiedliche Gesellschaften hinweg der eigenen Identität auf die Spur zu kommen. Damit bezeugt Laabs eindrücklich, "dass Literatur als ‘Gedächtnis’ funktioniert und die Chance hat, gebrochene Biografien mit den Mitteln des Erzählens entdeckend wieder entstehen" zu lassen.

Zum Buch

Seinen Aufbruch zu neuen Horizonten hatte sich der junge Mann anders vorgestellt. Etwas mit Geographie wollte er werden und bringt es erst einmal zum Straßenbahnfahrer. Später wird er Ingenieur in Dresden und kommt dienstlich herum in der DDR und dem Ostblock: als Entwickler der "Zahlbox", eines Kassiersystems für öffentliche Verkehrsmittel. Dann fällt die Grenze, und der zum Zeitzeugen mutierte Ost-Mensch wird eingeladen, an amerikanischen Universitäten vom Alltag und Empfinden der Deutschen hinter der einstigen Mauer zu berichten.

Joochen Laabs erzählt in seinem Roman "Späte Reise" von Lebens-Räumen und Landschaften: Hier wird ein ganzes Leben im eigentlichen Wortsinn "erfahren": mit dem Rad auf dem Weg zur Schule; mit der Straßenbahn samt ihrer "Bodenhaftung und Linientreue"; im Auto beim Transport der hart erkämpften Schrankwand in die neue Dreiraumwohnung und durch die gewaltige Weite der Vereinigten Staaten. Laabs entfaltet ein eindrucksvolles Panorama von der Existenz in zweierlei Systemen und der Suche nach dem eigenen Mittelpunkt. Sein Held betritt frohgemut und furchtlos jedes Neuland und setzt dabei spielerisch neue und alte Erfahrungen in Beziehung zueinander. Ein ruhiger Erzählfluß und ein heiter-gelassener Ton prägen diese Geschichte von einem, der auszieht, sich gegen allerhand Widerstände seine Welt zu erschließen.

Joochen Laabs: Späte Reise. Steidl Verlag. 608 S.

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Zum Autor

Joochen Laabs wurde am 3. Juli 1937 in Dresden geboren. Noch vor der Bombardierung wurde er 1944 zu den Großeltern in die Niederlausitz "verschickt", verbrachte dort seine Kindheit und machte in Cottbus das Abitur. Nach einer Zeit als Straßenbahnfahrer studierte er von 1956 bis 1961 an der Dresdner Verkehrshochschule und arbeitete bis 1975 als Diplomingenieur an einem verkehrstechnischen Institut. Seine Existenz als freier Autor begann 1976; bis 1978 war er Redakteur der Literaturzeitschrift "Temperamente".

Gastdozenturen führten ihn 1986, 1991 und 1997 in die USA. Als Mitglied des Deutschen P.E.N.- Zentrums war Laabs 1993 bis 1998 Generalsekretär (Ost) und 1997 bis 2000 Vizepräsident der Schriftstellervereinigung. Neben den Romanen "Das Grashaus oder Die Aufteilung von 35 000 Frauen auf zwei Mann", "Der Ausbruch, Roman einer Verführung" sowie "Der Schattenfänger. Roman eines Irrtums" nehmen Erzählungen in seinem Werk breiten Raum ein. Das Rundfunkfeature "Winnetous Enkel" oder der Essay "Verpfuschte Ankunft" blieben eher Abstecher in andere Gattungen.