Unser Mitglied Helmut Becker-Behn hat den "Bericht eines Alt-68er Humanisten", rechtzeitig zu seinem 75. Geburtstag in 2020 fertiggestellt.
Überschrieben ist der Bericht mit "Out of Rosenheim", weil er sich 1967 aus der oberbayerischen Provinz in die große weite Welt der Westberliner Stadtgesellschaft aufgemacht hat.
Und das sah dann so aus:
"Als ich am Bahnhof Zoo ausstieg - das war damals der 'Hauptbahnhof' von Westberlin - empfing mich eine unübersehbare Menschenmenge, ein Lärm und Chaos, von dem ich zunächst gar nichts begriff. Viel Polizei, junge Leute, die Tomaten oder Ähnliches auf sie warfen, also da war erstmal kein Durchkommen.
Ingo, mein Freund aus der Volksschule in Aising, er aus Aisingerwies, ich aus Heilig Blut, beides bei Rosenheim am Inn, in dessen Mietwohnung auf der Willmsstraße in Berlin-Kreuzberg er mir ein Zimmer bot, berichtete mir später, es habe dort eine Demonstration gegen den Vietnamkrieg der USA gegeben, weil das Amerika-Haus direkt neben dem Bahnhof Zoo lag. So nichtsahnend war ich dort 1967 eingetroffen."
Helmut kam aus der "Provinz" in der Vieles anders war, die Welt scheinbar ihre Ordnung hatte.
"Obwohl ich 1963 im Jahr meines Vorabiturs zur Kriegsdienstverweigerung allein per Zugfahrt zum Landgericht in München fuhr, wo eine teils uniformierte Altherren-Riege mich in eine Art Kreuzverhör nahm. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung war nachträglich ins Grundgesetz aufgenommen worden und in den ersten Jahren danach mit einer hochnotpeinlichen 'Gewissensprüfung' verbunden. Ich wurde mit Notwehrsituationen konfrontiert, in denen ich mich doch sicher für meine Geschwister und sonstigen Familienangehörigen einsetzen würde, notfalls mit der Waffe in der Hand. Doch ich ließ mich nicht einschüchtern und fragte zurück, wessen Leben in einer solchen Szene denn nun wertvoller sei als das eines Anderen ? Schließlich und endlich wurde ich im ersten Anlauf 'aus ethisch-humanitären Gründen', wie es dann in dem amtlichen Schriftsatz hieß, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und verpflichtet, einen Wehrersatzdienst zu leisten.
Im Hochgefühl meines Erfolges fuhr ich zurück nach Rosenheim und berichtete begeistert meinen Eltern zuhause davon. Da poltert mein Vater Kurt los: 'Ja bist du denn von allen guten Geistern verlassen, ohne den Barras (ugs.für Militär) kannst du doch bei uns nichts werden !' Ich verstand nicht gleich, was er damit meinte, fühlte aber die tiefe Enttäuschung über seine fehlende Anerkennung meiner, wie ich fand, bravourös bestandenen Gewissensprüfung.
Religion kann auch helfen, wie Helmut in jungen Jahren erfuhr.
Ich hatte 1963 schon das dicke Buch von Karlheinz Deschner gelesen, mit dem Titel: "Abermals krähte der Hahn. Eine kritische Kirchengeschichte von den Anfängen bis zu Pius XII, das Ende 1962 erschienen war. Darin war auch die Rede von den schrecklichen Schulterschlüssen der christlichen Kirchen mit der Hitlerdiktatur, bei den Katholiken bis hin zu Pius XII und bei den Protestanten mit den "Deutschen Christen". Äußerer Anlass dieser Lektüre war, dass ich als Konfirmand beim langen Stehen in der Evangelischen Kirche...ohnmächtig umkippte, - ich war damals in einem sog. Wachstumsschub - das gab mir zu denken !
Offenbar war dies ein "Wink des Himmels", dass das mit dem Glauben und mit der Kirche doch eher nichts für mich war. Ich habe mich dann als Religionsmündiger und Ungläubiger vom Religionsunterricht abgemeldet und hatte im Vorabitur auch das Fach Religion abgewählt. Weil ich statt dessen Geschichte als Fach im Abitur nehmen sollte, bin ich zum Religionslehrer hin und bat ihn, trotzdem in Religion das Abitur ablegen zu dürfen. Das hat er mir gestattet, was dann dazu führte, dass ich meine einzige Note 1 im Fach Religion bekam. Der Grund dafür war das Abitur-Thema: "Mein Verhältnis zum Körper", was mich als pubertierendem Jugendlichen sehr beschäftigte und ich ihm gegenüber auch keine Hemmungen hatte, mich freimütig dazu zu äußern.