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Feministisch Religion humanisieren?

Die Menschenrechte beanspruchen universelle Geltung. Sie seien jedoch "keine ewige Idee", wie Georg Lohmann (Philosoph und Professor an der Arbeitsstelle für Menschenrechte an der Universität Magdeburg) in seinem Vortrag deutlich machte, "sie werden nicht entdeckt, sondern gemacht". Sie seien "historische Antworten auf gravierende Unrechtserfahrungen und Gefährdungen des einzelnen Menschen". Wie verhalten sich nun aber universelle Menschenrechte zu partikularen Lebensformen und Kulturen? Kulturen verstanden als "offene, intern plurale und umstrittene gemeinsame Wertungspraxen", also Systeme, die nicht abgeschlossen sind und dem Wandel unterliegen. Lohmann verdeutlichte insbesondere, dass ein Mensch "niemals nur Mitglied einer kulturellen Gemeinschaft" sei, sondern unterschiedliche Mitgliedschaften und kulturelle Zugehörigkeiten habe. Als Mitglied übernehme er/sie bestimmte gemeinsame Wertüberzeugungen, die ihre/seine Identität bestimmen, könne sich aber auch von ihnen trennen, seine/ihre kulturellen Überzeugungen und Praxen verändern etc. Er unterschied kulturelle Gemeinschaften, in die werden wir geboren werden und andere, die wir (mehr oder weniger) freiwillig wählen. Kulturen können, so Lohmann, menschenrechts-konform oder nicht menschenrechts-konform sein. Aus seiner Sicht sind Kulturen menschenrechts-konform, wenn sie "im äußerem Verhalten der Mitglieder die Menschenrechte beachten" und selbst hierarchisch und autoritär strukturierte Gemeinschaften müssen seiner Einschätzung nach von den Menschenrechten aus gesehen toleriert werden, "wenn sie auf Freiwilligkeit beruhen und basale Menschenrechte nicht verletzen und freien Austritt gestatten."

Nun seien aber nicht per se alle Kulturen mit den Menschenrechten vereinbar. Die Menschenrechte hätten sich, so Lohmann "nicht harmonisch aus den europäischen Kulturen entwickelt, sondern sind gegen herrschende kulturelle/religiöse Praxen, Wertungen und Institutionen erkämpft worden." Sie hätten dabei erst nach und nach Kulturen mit umgestaltet und seien immer noch Anlass für kulturelle Veränderungen. Die von autoritären Regimen vorgebrachte These, dass die Menschenrechte "westlich" und "kulturimperialistisch" seien und nicht mit z.B. asiatischen, islamischen, afrikanischen Kulturen und Traditionen vereinbar sind, sei falsch, wie Lohmann mit dem Hinweis darauf ausführte, dass auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte maßgeblich auf Impulsen auch aus Indien oder Südamerika aufbaue. Aber die Menschenrechte forderten "eine menschenrechts-konforme Öffnung und Veränderung von Kulturen."

Was seien im Spannungsfeld Universalismus-Partikularismus strittige Fragen, fragte Lohmann weiter. Zum Beispiel die These, dass individuelle Rechte Vorrang vor Gemeinschaftsverpflichtungen haben, was in stärker kollektivistisch geprägten Kulturen anders eingeschätzt werden dürfte als in individualistisch geprägten Kulturen. Oder die Frage, ob alle Individuen unabhängig von ihrer Mitgliedschaft einen gleichen Wert und Status (Menschenwürde) haben. Denn es gebe Kulturen, die nach innen sehr wohl menschenrechtskonform agierten, nur eben nicht gegenüber Kultur-Fremden. Wie stehe es außerdem um die Diskriminierungsverbote der Menschenrechte, z.B.: zwischen Männern und Frauen, Gläubigen und Ungläubigen, in Bezug auf Abstammung, Gender etc.?

Lohmanns Fazit: Das universelle Menschenrechtsregime sei nicht mit allen Kulturen vereinbar, es fordere vielmehr, dass Kulturen sich so ändern, so dass sie mit den Menschenrechten kompatibel sind. Gleichzeitig ermögliche das Menschenrechtsregime auf Basis der Anerkennung der rechtlichen Gleichwertigkeit aller Menschen das Zusammenleben einer Vielfalt von unterschiedlichen Kulturen und könne letztlich auch nur äußerliches Verhalten rechtlich regeln, nicht Überzeugungen und Wertmeinungen.

Der anschließende Workshop erörterte diese theoretischen Grundfragen exemplarisch am Islamischen Feminismus. Islam und Menschenrechte, geht das zusammen? Insbesondere die "Stellung der Frau im Islam" ist ein kontroverses Dauerthema in den Medien, der Politik und in islamischen Communities. Die Diskriminierung von Frauen, insbesondere der muslimischen Frauen, ist auch bei uns weit verbreitet. Sie sind vielen Vorurteilen ausgesetzt und werden aufgrund der ihnen zugeschriebenen Zugehörigkeit oft stigmatisiert. Häufig wird ihnen vermittelt, dass sie sich nur emanzipieren können, wenn sie auf Distanz zu ihrer Religion gehen, das Kopftuch ablegen und westliche Werte übernehmen. Islamische Feminist/innen gehen da einen anderen Weg. Lale Özisik (Pädagogin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bielefeld) und Arnd Richter (Pädagoge, Sozialwissenschaftler und Lehrbeauftragter an der Universität Bielefeld) versuchten dem interessierten, wenngleich kritischen Publikum im zweiten Teil der Tagung näher zu bringen, was Islamischer Feminismus eigentlich ist, was er für Ziele hat, vor welchen Herausforderungen er steht und ob er ein Weg sein kann, die Kultur des Islam mit dem universellen Menschenrechtsregime in Einklang zu bringen.

Özisik und Richter machten zunächst in einer begrifflichen Einführung deutlich, dass es einen Unterschied zwischen muslimischem und islamischem Feminismus gebe. Während muslimische Feminist/innen sich zwar als Muslim/innen sehen, ihren Feminismus aber nicht islamisch begründeten, rechtfertigten islamische Feminist/innen ihren Feminismus direkt auf Grundlage ihrer Religion. Dieser Umstand forderte das religionskritische Publikum besonders heraus, weil für viele Teilnehmer/innen die offensichtliche Frauenfeindlichkeit einzelner Koranverse im krassen Widerspruch zum feministischen Anspruch auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung stehe. Für islamische Feministinnen scheinen diese Widersprüche aber zumindest nicht unüberbrückbar, wie die Referent/innen deutlich machten, auch wenn sie gleichfalls feststellten, dass sich diese Vereinbarkeit natürlich nicht beweisen ließe, wie sich keine objektiv richtige Lesart eines historischen Textes "beweisen" lässt. Vielmehr stand für Özisik und Richter die Selbsteinschätzung der Betroffenen im Vordergrund, eine poststrukturalistisch-konstruktivistische Sicht, die ebenfalls Widerstand mehrerer Teilnehmer/innen in dem eher positivistisch orientierten Publikum auslöste. Umstritten war in diesem Zusammenhang beispielsweise unter den Teilnehmer/innen, ob man bei Frauen, die den Koran nur selektiv lesen und Teile der Schrift einfach ausblendeten oder ablehnten, noch von Musliminnen sprechen könne oder wie frei sich einzelne vermeintlich frauenfeindliche Stellen im Koran in Abgrenzung zu einer verbreiteten patriarchalen Lesart einfach feministisch umdeuten ließen. Einzelne Strömungen innerhalb des islamischen Feminismus tun das, interpretierten die Schrift neu oder grenzen sich gar von ihr ab und verstehen sich offenbar trotzdem im Einklang mit ihrer Religion, wie Özisik und Richter betonten.

Darüber hinaus stand die Frage im Raum, welche Ziele der islamische Feminismus verfolge und warum es einen ,eigenen‘ islamischen Feminismus brauche. Die Referent/innen erläuterten kurz, dass sich islamische Feministinnen beispielsweise rückbesinnen auf Kämpfe von Frauen für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung in frühen islamischen Gesellschaften, sie dem eurozentrischen und kolonialen Feminismus kritisch gegenüber ständen und sich dadurch oftmals nicht repräsentiert fühlten. Gleichzeitig würden sie vielfach Kritik an einem politischen und fundamentalistischen Islam üben. Islamische Feminist/innen ständen aus Sicht der Workshopleiter/innen vor zweierlei Herausforderungen: Zum einen müssten sie sich von patriarchal-dominanten Lesarten innerhalb des islamischen Diskurses befreien. Zum anderen müssen sie sich der hiesigen Mehrheitsgesellschaft gegenüber rechtfertigen, wie sie Religion und Feminismus vereinbaren und werden dafür kritisiert, dass ihre Forderungen nicht weit genug gingen.

Kampf an zwei Fronten also, Widerstand von mehreren Seiten, aber wie wichtig für die Stärkung von Menschenrechtskonformität innerhalb der islamischen Kultur, dass es Frauen und Männer gibt, die sich als islamische Feminist/innen verstehen und ihre Religion humanisieren und sich in ihr emanzipieren wollen. Diese Bewegungen wertzuschätzen und zu unterstützen ist eine Aufgabe, die sich Humanist/innen künftig noch stärker stellen sollten. Dafür konnte dieser Workshop – der viel zu kurz war, für die vielen Fragen, die sich dabei stellen – nur ein Anfang sein.

 

Tina Bär

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Tina Bär
Projektkoordinatorin Humanistische Akademie

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