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Neuer Streit um Suizidhilfe – vernünftige Regelungsvorschläge

Nach wie vor müssen Ärzte damit rechnen, aufgrund eines über 30 Jahre alten Beschlusses des Bundesgerichtshofs wegen unterlassener Hilfeleistung im Zusammenhang mit einem nicht gehinderten Suizid angeklagt zu werden. Dies haben ein Prozess im Dezember 2017 in Hamburg sowie ein weiterer im Januar 2018 in Berlin deutlich gemacht. In beiden Fällen beziehen sich die Staatsanwaltschaften auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs von 1987 als oberster Strafrechtsinstanz. Demzufolge sollen Ärzte immer noch – auch gegen den heute ja anerkannten Patientenwillen – grundsätzlich als "Garanten" für den Lebensschutz gelten. Ihre unterlassene Hilfeleistung wird dann juristisch zum Tatbestand einer Tötung durch Unterlassen.

Gegenwärtig hat sich vor dem Berliner Landgericht  der Arzt Dr. Christoph Turowski diesbezüglich zu verantworten. Gegenüber den Richtern führte er laut Tagesspiegel sehr gefasst aus:

"Als Arzt bin ich nicht berechtigt, eine Zwangsbehandlung gegen den Willen eines Patienten durchzuführen." Die Suizidentin, die bei ihm jahrelang in Behandlung war, wollte ohne jeden Zweifel sterben und dies habe er befolgt. Er habe sich "in ethischer und moralischer Hinsicht richtig verhalten".

Statt noch jahrelang auf die eventuelle Revidierung eines BGH-Beschlusses aus dem vorigen Jahrhundert zu warten, hatte der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) schon vor vielen Jahren ein entschiedenes Umdenken gefordert. Statt mit einem neuen Strafrechtsparagrafen 217 eine bisher nicht vorhandene Bestrafung im Umfeld der Selbsttötung einzuführen, müsse die Straflosigkeit der Nichthinderung eines freiverantwortlichen Suizids normiert werden.

Regelungsvorschlag des HVD zur Nicht-Hinderung eines Suizids

In ihrer Broschüre Am Ende des Weges – Humanistische Positionen und Argumente zur Debatte um den assistierten Suizid aus dem Jahre 2014 schlagen die Humanist_innen eine gesetzliche Klarstellung als Gesetzestext vor:

(1) Wer einem anderen bei der Selbsttötung hilft oder wer es unterlässt, ihn nach einem Selbsttötungsversuch zu retten, handelt nicht rechtswidrig, wenn die Selbsttötung auf einer freiverantwortlichen und ernstlichen, ausdrücklich erklärten oder aus den Umständen erkennbaren Entscheidung beruht. …

(2) …

(3) Absatz 1 gilt auch für Personen in einer Garantenstellung

Unter (2) werden im HVD-Vorschlag verschiedene Bedingungen genannt, unter denen von einer solchen Straffreiheit nicht ausgegangen werden kann, darunter wird Minderjährigkeit von Suizidenten aufgeführt sowie Fremdbeeinflussung.

Zugang zu Natrium-Pentobarbital als Suizidmittel

Der HVD hatte im März vorigen Jahres das Leipziger Urteil über die "Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung" ausdrücklich begrüßt. In diesem sind auch drei vorauszusetzende Sorgfaltskriterien für die Vergabe benannt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2017 damit aus verfassungsrechtlicher Sicht einen von den Humanist_innen unterbreiteten Vorschlag bestätigt. In der Broschüre hatte der Verband zudem formuliert:

"Zwar gibt es auch grundsätzlich geeignete Kombinationsmöglichkeiten anderer Stoffe, um einen Suizid herbeizuführen – diese sind aber in ihrer Wirkung weit weniger gut erforscht als Natrium-Pentobarbital. Dieses sollte deshalb durch eine Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) zur ärztlichen Suizidbegleitung in der Humanmedizin zugelassen werden…

Bei der Genehmigung der Gabe von Natrium- Pentobarbital wären an geeigneter Stelle Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Darin sollten, da dieses Mittel – wie sonst kein anderes – ausschließlich zum Ziele der ärztlich assistierten Selbsttötung verordnet wird, strenge Sorgfaltskriterien festgelegt werden… Vom behandelnden Arzt soll nachgewiesen werden müssen, dass er einen ärztlichen Kollegen konsultiert hat und dass eine anerkannte Suizidkonfliktberatungsstelle mitgewirkt hat."

Die Einführung von Suizidkonfliktberatung

Die qualifizierte Suizidkonfliktberatung ist ein Kernanliegen des HVD. In Am Ende des Weges heißt es dazu:

"Suizidprophylaxe bei einem bereits auftretenden Suizidwunsch kann nur geleistet werden, wenn dieser nicht tabuisiert bleibt, sondern der Betroffene in seiner Not angenommen und offen mit ihm darüber gesprochen wird. Eine solche verantwortungsvolle Gesprächskultur, die auch gegensätzliche Gefühle und Gedaken aushält und eine – im Prinzip – ergebnisoffene Beratung beinhaltet, halten wir für unverzichtbar."

Ebendiese Ansätze mussten jedoch im HVD aufgegeben werden. Denn nach Inkrafttreten des Strafrechtsparagrafen 217 wären die entsprechenden Mitarbeiter_innen der Gefahr ausgesetzt, sich in ergebnisoffenen Gesprächen der Förderung der Selbsttötung schuldig zu machen.

Positionen des HVD im Überblick

Es geht dem HVD um eine humane und an Selbstbestimmung orientierte Regelung der Selbsttötung. Eine Änderung des Strafrechtsparagrafen 216 (Tötung auf Verlangen) hat der Verband hingegen nie gefordert – dies würde auf eine Regelung wie in den Benelux-Staaten hinauslaufen, wo die ärztliche "aktive" Tötung, etwa mittels einer Spritze, unter bestimmten Umständen erlaubt ist.

Die Vorschläge für einen verantwortlichen Umgang mit der Suizidhilfeproblematik und seiner Regelung aus einem Guss lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen:

  • Wiedereinführung der Rechtslage von Dezember 2015, d.h. der straffreien Hilfe zum freiverantwortlichen Suizid durch Abschaffung des Strafrechtsparagrafen 217
  • Gesetzliche Klarstellung der straffreien Nicht-Hinderung eines Suizids unter bestimmten Voraussetzungen auch für Ärzt_innen als sogenannte Garanten
  • Beibehaltung des Strafrechtsparagrafen 216, das heißt der Tötung auf Verlangen, ohne diesen als "Tötung durch Unterlassen" zur Suizidhilfebestrafung nutzen zu können.
  • Zulassung der Abgabe von Natrium-Pentobarbital durch suizidhilfewillige Ärzt_innen gemäß strenger Sorgfaltskriterien
  • Einführung von Modellprojekten zur qualifizierten, ergebnisoffenen Suizidkonfliktberatung.

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Gita Neumann
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung