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Seit vier Jahren lebt Lutz Bald auf der Straße. Genauer: In einem Zelt, das das Ordnungsamt bisher noch nicht entdeckt hat – sonst hätte man ihn wohl längst vertrieben. Nachts mit dem Fahrrad durch Berlin fahren und Pfandflaschen sammeln, sich tagsüber im Zelt ausruhen und abends wieder los, so sah sein Alltag zuletzt aus. Dabei würde er gerne wieder in einem Bett schlafen. Und am Abend von der Arbeit erledigt sein, nicht vom Rumsitzen. Unser TagesTreff für Wohnungslose und Bedürftige unterstützt ihn dabei, dieses Ziel zu erreichen.

Essen, duschen, Wäsche waschen, zum (Zahn-)Arzt gehen – das können wohnungslose Menschen wie Lutz Bald schon jetzt kostenfrei im TagesTreff an der Weitlingstraße, gleich gegenüber vom Bahnhof Lichtenberg. Auch eine Sozialberatung wird hier angeboten. "Das Besondere an unserem Haus ist der ganzheitliche Ansatz", sagt Katrin Schwabow, die in unserem Verband für den Bereich Wohnungslosenhilfe zuständig ist. "Oft kommen Leute nur her, um Mittag zu essen oder zu duschen. Wenn sie aber in einem sichtbar schlechten gesundheitlichen Zustand sind, versuchen wir sie zu motivieren, hoch zu unserem Arzt zu gehen. Wir ermuntern unsere Klient_innen dazu, nicht nur die niedrigschwelligen Hilfen in Anspruch zu nehmen, sondern sich auch mal beraten zu lassen, um mittel- bis langfristig vielleicht den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft zu finden."

So war es auch bei Lutz Bald. Der gelernte Schlosser wurde 2014 nach acht Jahren Beziehung plötzlich von seiner Partnerin verlassen. Ein Bruch in seiner Biografie, der – anders als Zeiten der Arbeitslosigkeit oder der Abbruch des Kontakts zu seiner Familie einige Jahre zuvor – extreme Folgen hatte. "Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen", sagt er. Er habe einfach alles hingeschmissen, sei nicht mehr zur Arbeit gegangen, habe seine Miete nicht mehr bezahlt. Stattdessen griff er zum Alkohol. Eines Tages setzte der Vermieter ihn schließlich vor die Tür. Zunächst kam er bei Freunden unter, dann zog er ins Zelt. Mit nichts als ein paar Kleidungsstücken, einem Schlafsack, einer Zahnbürste und den wichtigsten Unterlagen.

Wohnungslosigkeit und Hilfsbedürftigkeit sind keine Probleme bestimmter Bevölkerungsgruppen, macht die TagesTreff-Leiterin Maria Richter deutlich: "Grundsätzlich kann es jedem passieren, die Wohnung zu verlieren oder in eine soziale Schieflage zu geraten, so dass man auf Tafelessen und Kleiderkammern angewiesen ist."

"Wenn ich ein kleines Einkommen oder eine kleine Rente habe, kann ich mir vielleicht nach einer Sanierung oder bei einer Neuvermietung die Miete nicht mehr leisten", gibt Katrin Schwabow ein Beispiel. "Wenn ich dann auf den Wohnungsmarkt gespült werde, wird es schwierig. Bei Besichtigungsterminen gibt es lange Schlangen. Da werden dann die Bewerber_innen mit den besten Voraussetzungen genommen. Ich muss kein_e Hartz IV-Empfänger_in sein, um schlechte Chancen zu haben. Einen kleinen Kredit aufgenommen zu haben reicht, um meine Zahlungsfähigkeit infrage zu stellen."

Und so stammen die Klient_innen des TagesTreffs aus allen sozialen Schichten – Menschen aus dem Handwerk sind ebenso darunter wie gescheiterte Unternehmer_innen. Es kommen mehr Obdachlose als sozial Bedürftige, mehr Männer als Frauen. Aber die Biografien sind vielfältig. Die Probleme, die mit der Wohnungs- oder Obdachlosigkeit oft einhergehen, sind es ebenfalls: "Wir haben es mit psychischen Symptomatiken zu tun, mit Suchtphänomenen, mit körperlichen Verwahrlosungstendenzen, mit psychischen Erkrankungen und Straffälligkeit", berichtet Katrin Schwabow.