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Auf dem Podium im zweiten Teil der Tagung berichtete Jennifer Stange, Journalistin und Buchautorin[7], von aktuellen Erfahrungen, die an die historischen zu erinnern scheinen. In Sachsen seien derartige Diskussionsveranstaltungen mittlerweile unmöglich und sie habe leider lernen müssen, dass es Grenzen gäbe für wechselseitiges Verstehen und konstruktiven Dialog. Wenn z.B. die Ungleichheit von Mann und Frau derart offensiv vertreten werde, dann komme man mit Argumenten nicht weit, dann ginge es nicht um Belehrung oder Aufklärung, sondern schlichtweg um Abwehrkampf und klares "Dagegenhalten". Und manchmal sei dann nur noch ein "Jetzt haltet endlich die Fresse" angebracht.

Der kirchliche Vertreter auf dem Podium, Henning Flad, Projektleiter der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus, nahm das natürlich dankbar auf, um seinerseits den Versöhnungsgedanken stark zu machen: Man könne auch höflich bleiben und dabei deutlich widersprechen. Insgesamt schien dies aber gar nicht so sehr ein harter Dissens zu sein, sondern eher die Erkenntnis, dass es für unterschiedliche Situationen mit unterschiedlichen Menschen auch unterschiedliche Strategien gibt. Es war dabei aber erfrischend, feststellen zu können, dass die humanistische Praxis in extremen Situationen durchaus auch eine gewisse Wehrhaftigkeit umfasst. Ein Dissens zwischen diesen beiden Podiumsteilnehmenden hingegen zeichnete sich bei der Einschätzung ab, ob es bei den Kirchen in Deutschland ausreichend Distanz zu AfD und Co., insbesondere auch zu den Fundamentalisten in den eigenen Reihen gäbe, oder eben nicht.

Klare Kanten

Eingeleitet hatte das Podium Jana Faus, Meinungsforscherin bei der pollytix strategic research GmbH, mit einigen empirischen Daten. Das neue Erstarken des rechten Autoritarismus sei kein Rechtsruck, sondern die Manifestation einer jahrzehntealten Latenz. Erklärt werden müsse es weit weniger ökonomisch –  AfD-Wähler verfügten eher über mittlere bis höhere Einkommen –  als vielmehr kulturell: Dieses Spektrum hänge an spezifischen Wertvorstellungen einer sogenannten "deutschen Kultur", verbunden insbesondere mit der Ablehnung eines hedonistischen, an Selbstverwirklichung orientierten Lebensstils. Sheila Mysorekar, Vorsitzende bei Neue deutsche Medienmacher, und Susanne Kitschun, Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Sprecherin für "Strategien gegen rechts", plädierten beide dafür, dass Medien und Politik "klare Kante" zeigen müssten. Die Übernahme der Rede von den "besorgten Bürgern" sei nur ein Beispiel von vielen, wie schnell unhinterfragt rechte Diskursstrategien übernommen würden, in diesem Fall der rechte Code für "gegen Einwanderung sein".

Bei den Fragen aus dem Publikum zeigte sich einmal mehr, wie schwierig es bei solcherlei "klaren Kanten" sein kann, neben der eigenen Kritik am neuen völkischen Nationalismus und politischer Religion überhaupt noch andere Gedanken loszuwerden, die die Fragestellenden vielleicht darüber hinaus auch ernsthaft umtreiben: Wer nachfragt in Bezug auf die "schwierige Integration junger Männer" oder auf die befürchtete, religiös begründete Missachtung von Gesetzen, gerät schnell in Verdacht, selber rechts zu sein oder doch zumindest rechte Diskurstrategien zu übernehmen. Es ist natürlich sinnvoll, auch dem humanistisch Gesonnenen seine womöglich verleugneten potentiellen Vorurteile aufzudecken, doch darf dies nicht dazu führen, antiwestlichen Modernismus nicht mehr kritisch problematisieren zu dürfen. Hier wurde deutlich, dass es durchaus noch weiteren Bedarf an Differenzierung und damit auch an weiteren Tagungen zu diesen Themen bedarf. Eine vielgehörte Rückmeldung an diesem Abend war, dass die erlebte Veranstaltung aufgrund ihrer zwei Gesichter, konzeptionell-theoretisch im ersten Teil und praktisch-politisch im zweiten, sowie der je auf ihre Weise überzeugenden Referentinnen und Referenten den Besuch allemal wert war.

 

Ralf Schöppner

 

 

[1] Julian Nida-Rümelin: Humanismus als Leitkultur. Ein Perspektivwechsel. München 2006. – Julian Nida-Rümelin: Philosophie einer humanen Bildung. Hamburg 2013.

[2] Julian Nida-Rümelin: Über Grenzen denken. Eine Ethik der Migration. Hamburg 2017.

[3] Zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit dem Humanismus-Verständnis von Julian Nida-Rümelin siehe: Ralf Schöppner: Humanismus ist keine Weltanschauung? Eine Rezension von: Julian Nida-Rümelin: Humanistische Reflexionen, http://www.humanismus-aktuell.de/content/humanistische-reflexionen.

[4] Am 11. Juni 1936 in der Tageszeitung Pester Lloyd, einer deutschsprachigen Tageszeitung aus Budapest.

[5] Heinrich Mann: Ein denkwürdiger Sommer (1936). In: Heinrich Mann: Verteidigung der Kultur. Berlin/Weimar 1973, S. 141.

[6] Siegfried Marck: Der Neuhumanismus als politische Philosophie. Zürich 1938.

[7] Jennifer Stange: Evangelikale in Sachsen. Ein Bericht. Herausgegeben von Weiterdenken - Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Dresden 2014.

 

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