Wehrhafter Humanismus
Auf der Tagung oblag es Frieder Otto Wolf, ehemaliger Europa-Abgeordneter der Grünen und seit einigen Jahren Präsident der Humanistischen Akademie, ebenfalls eine ähnlich überraschende Stoßrichtung anzubieten. Er bezog den forschen und eher etwas peinlichen Ausspruch "dann gibt es auf die Fresse", den die neue Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Andrea Nahles, in einem anderen Zusammenhang geäußert hatte, auf die Fragestellung der Tagung: Humanismus sei keinesfalls wehrlos gegen Leute, die sich über wechselseitiges Verstehen und Dialog doch nur kaputtlachen würden; wenn Demokratie und Menschenrechte von ihren Feinden bedroht seien, dann müsse man sich im Extremfall eben auch anders als nur mit Worten zu wehren wissen.
Ohne historische Vorläufer ist das nicht: Thomas Mann schrieb 1936: "Was heute nottäte, wäre ein militanter Humanismus, von der Einsicht erfüllt, daß das Prinzip der Freiheit, der Duldsamkeit und des Zweifels sich nicht von einem Fanatismus, der ohne Scham und ohne Zweifel ist, ausbeuten und überrennen lassen darf; von der Einsicht, daß er das Recht nicht nur, sondern auch die Pflicht hat, sich zu wehren."[4] Sein politisch etwas anders aufgelegter Bruder Heinrich sekundierte im selben Jahr: "Humanisten taugen erst dann etwas, wenn sie, anstatt nur zu denken, auch zuschlagen."[5] Und auch Siegfried Marck (1889-1957), Philosoph, Pazifist und Sozialdemokrat, verstand seinen "sozialistischen Neuhumanismus" als politisch, der unter Bedingungen politischer Kämpfe auch militant sein müsse.[6]