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Demokratie als Lebensform

Den Hauptvortrag hielt Julian Nida-Rümelin, Philosoph an der Ludwig-Maximilian-Universität München und ehemaliger Staatssekretär für Kultur (Kabinett Schröder 1998-2002). Er ist seit Jahren der einzige prominente Intellektuelle in Deutschland, der kontinuierlich und unerschrocken mit der Vokabel "Humanismus" operiert: "Humanismus als Leitkultur", "Philosophie einer humanen Bildung".[1] Auf der Tagung stellte er den Gästen einige demokratietheoretische Überlegungen vor: Angesichts aktueller Herausforderungen reiche es nicht aus, eine gemeinsame politische – republikanische – Identität aller Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln, vielmehr bedürfe es zusätzlich einer couragierten Kultur des Respekts.

Der Gedanke einer solchen politischen Identität zielt darauf ab, den unterschiedlichen kulturellen und religiösen Identitäten einer pluralistischen Gesellschaft durch die Partizipation aller an der Gestaltung der Lebensverhältnisse eine gemeinsame Grundlage von Werten, Prozessen und Institutionen zu geben. Diese Forderung allein erscheint schon schwierig genug, setzt sie doch eine politische Haltung voraus, die die je eigenen Interessen zugunsten der allen gemeinsamen Interessen zu übersteigen vermag. Dagegen steht aber ein heute allgemein verbreitetes Verständnis von Politik als Interessensvertretung – als Lobbyismus, das fatalerweise der populistischen Losung "was das Volk wirklich will" nicht ganz unähnlich ist: Auch damit will man gerne die partikularen Ansichten einer Gruppe für alle verbindlich machen.

Weil aber – so Nida-Rümelin – die Politik keineswegs neutral sei gegenüber der Kultur, sondern ihre Normativität auch Auswirkungen auf die Kultur haben müsse, Demokratie also nicht nur Regierungsform, sondern auch Lebensform sei, deshalb bedürfe es zusätzlich einer Kultur des Respekts: Selbstverständlich sei es moralisch gefordert, dass wir bei Diskriminierungen im Alltag nicht einfach zuschauten, sondern für eine würdevolle Behandlung aller unabhängig von Kultur, Ethnizität, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Alter usw. eintreten.