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Problembeschreibung

Unter den geflüchteten Menschen, die in Deutschland Schutz suchen und Asyl beantragen, finden sich auch viele Menschen, die Opfer religiöser Verfolgung sind. Insbesondere im Bereich islamischer Staaten werden nicht nur Angehörige anderer Religionen, wie Christen oder Hindus verfolgt, sondern insbesondere Menschen, die keiner Religion (mehr) angehören. Bekanntestes Beispiel war und ist wohl die Verfolgung atheistischer Blogger in Bangladesch, von denen bereits etliche einer islamistischen, vom Staat kaum verfolgten Mordserie zum Opfer gefallen sind. Weitere stehen auf Todeslisten.

Die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religion als Fluchtgrund spielt jedoch in dem vom BAMF verantworteten Aufnahmeverfahren und der Erstaufnahme keine ausreichende Rolle. So führt die einfache Verteilung von Schutzsuchenden nach Herkunftsland bzw. Herkunftsregion oftmals dazu, dass z. B. strenggläubige Muslime mit "Ungläubigen" zusammen untergebracht werden, wodurch neue Verfolgungs- und Bedrohungsszenarien heraufbeschworen werden.

In Deutschland wird Menschen, die wegen ihres Glaubens oder Nichtglaubens verfolgt oder bedroht sind, der Schutz häufig mit der Begründung verweigert, sie bräuchten ihren Glauben oder ihre Weltanschauung im Heimatland nicht öffentlich werden zu lassen. Dies widerspricht klar den Bestimmungen in Artikel 10 der EU-Richtlinie 2011/95.

Wir wollten wissen:

Teilfrage a. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass im Rahmen der Tätigkeiten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für Schutzsuchende relevante weltanschauliche Auffassungen und Bekenntnisse erfasst werden und solche, auch im Sinne des nicht nachrangigen Rechts auf negative Religionsfreiheit, bei der Frage der Unterbringung berücksichtigt werden?

Teilfrage b. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass neben der Verfolgung religiöser Minderheiten auch die Verfolgung von religionslosen oder atheistischen Menschen aus Herkunftsländern wie bspw. Bangladesch, Pakistan, Iran oder Saudi-Arabien als legitimer Asylgrund wahrgenommen und in der Praxis anerkannt wird?

Teilfrage c. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass dabei nicht, wie in Deutschland noch vielfach üblich, nur diejenigen Schutz erhalten, die bereits in ihrem Heimatland wegen öffentlicher Darlegung ihrer Weltanschauung bedroht und verfolgt worden sind?

(Die Reihenfolge der Antworten bestimmt sich nach Eingangsdatum, zuerst eingegangene Antworten werden zuerst aufgeführt.)

Antwort | DIE LINKE

Teilfrage a – Die Erfassung relevanter weltanschaulicher Auffassungen und Bekenntnisse durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnen wir aus Gründen des Datenschutzes ab. Die Bundesrepublik Deutschland muss generell anders sicherstellen, dass niemand seiner Auffassungen und Bekenntnisse wegen verfolgt wird. Das gilt in noch höherem Maße, wenn sie für die Unterbringung verantwortlich ist.

Teilfrage b – Ja, diese Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland schließt selbstverständlich den Schutz areligiöser und atheistischer Menschen ein.

Teilfrage c – Das Asylrecht muss vollständig wieder hergestellt werden. Das schließt die Einzelfallprüfung mit ein, bei der alle relevanten Sachverhalte gehört werden müssen. Die Neuregelung mit angeblich sicheren Dritt- oder Herkunftsstaaten haben wir als einzige Partei im Bundestag und Bundesrat abgelehnt.

Antwort | CDU/CSU

Teilfrage a – Nach unserer Kenntnis wird die Religionszugehörigkeit vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei formeller Asylantragstellung nach eigenen Angaben des Antragstellers – auf freiwilliger Basis – erfasst. Die Unterbringung der Antragsteller erfolgt in der Regel zeitlich bereits vorher und fällt in die Zuständigkeit der Länder und Kommunen.

Teilfrage b – Nach den Vorschriften des Asylgesetzes umfasst der Begriff der Religion "insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind". Damit ist ein weiter Religionsbegriff vorgegeben, der auch Atheismus beinhaltet. Dies ist folglich auch in der Asylpraxis von Relevanz.

Teilfrage c – Die in der Antwort der Teilfrage b) genannte Definition zeigt, dass es bei der Prüfung von Flüchtlingsschutz nicht darauf ankommt, ob die öffentliche Religionsausübung oder die innere, allenfalls im privaten Kreis gelebte religiöse Überzeugung betroffen ist. Ob eine Flüchtlingsschutz auslösende Verfolgungshandlung vorliegt, wird in jedem Einzelfall geprüft. Dabei kommt es darauf an, ob eine Verfolgungshandlung vorliegt oder droht, die an die Religion des Betreffenden als Verfolgungsgrund anknüpft. Als relevante Verfolgungshandlungen sind solche Handlungen anzusehen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Dazu zählen vor allem Eingriffe in Leib, Leben und Freiheit.

Antwort | Bündnis 90/Die Grünen

Teilfrage a – Die Unterbringung liegt in der Zuständigkeit der Bundesländer und Kommunen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Zeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen möglichst kurz ist und die Geflüchteten schnell in "normalen" Wohnungen untergebracht werden. Auch Geflüchtete brauchen Privatsphäre, gerade auch hinsichtlich des Schutzes vor etwaigen Übergriffen wirkt diese Unterbringungsform präventiv. Daneben wollen wir verbindliche Schutzstandards für Aufnahmeeinrichtungen einführen, so dass Menschen mit einem besonderen Schutzbedarf dort auch sicher und ohne Angst leben können

Aufnahmeeinrichtungen müssen grundsätzlich Schutz für alle bieten – und wenn nötig auch durchsetzen. Hierzu gehört auch, dass das dort eingesetzte Personal besonders gut geschult sein muss: sowohl im Erkennen ggf. auch von Problemlagen, die mit Fragen der Religion oder Weltanschauung verknüpft sind, als auch darin, Anfeindungen frühzeitig zu verhindern und Konflikte möglichst gewaltfrei aufzulösen.

Teilfrage b – Ja. Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention wird auch für Flüchtlinge gewährleistet, die aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt werden. Da zur Religionsfreiheit auch das Recht gehört, gleichberechtigt ohne Glauben oder Weltanschauung leben zu können (negative Religionsfreiheit) sollte sich das auch in der Anerkennungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dort widerspiegeln, wo dies für die Frage einer Schutzgewährung relevant ist.

Teilfrage c – Wir wollen faire Asylverfahren. Eine Anerkennung als Schutzberechtigte aufgrund von Nachfluchttatbeständen ist nach geltendem Recht möglich. Dazu zählt auch eine in der Heimat drohende Verfolgung aufgrund der Religion oder Weltanschauung. Wie beim Asylverfahren insgesamt ist es aus unserer Sicht auch hier notwendig, dass die AntragstellerInnen zunächst eine unabhängige Rechtsberatung erhalten und dass die zuständigen EntscheiderInnen auch in dieser Frage geschult und sensibilisiert werden.

Antwort | SPD

Wir halten daran fest, dass Abschiebungen in Länder nicht erfolgen, in denen für die Menschen die unmittelbare Gefahr besteht, Opfer eines Krieges oder eines bewaffneten Konfliktes zu werden. Wir werden keine Menschen in Perspektivlosigkeit und Lebensgefahr abschieben. Wer bei Rückkehr Gefahr läuft, Opfer einer Menschenrechtsverletzung zu werden, bei dem liegen Fluchtgründe vor.

§ 3b Asylgesetz definiert als Verfolgungsgrund der Religion, "der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind". Hier sind expressis verbis religionslose bzw. atheistische Menschen erfasst. Hinsichtlich der Unterbringung von Geflüchteten muss darauf geachtet werden, dass eine geschlechtergerechte Unterbringung erfolgt. Alleinreisende Frauen, Schwangere und Frauen mit Kindern wollen wir schützen. Das gilt auch für alleinreisende Kinder und Jugendliche sowie schutzsuchende queere Menschen.

Antwort | FDP

Teilfrage a – Nein. Die Unterbringung ist Aufgabe der Länder. Wir Freien Demokraten setzen uns für Gewaltschutzkonzepte für Frauen, Kinder und LSBTI* ein. Eine getrennte Unterbringung nach Religionen ist nicht geplant.

Teilfrage b – Wenn religionslose oder atheistische Menschen wegen ihres Glaubens politisch verfolgt werden, sollten sie genauso eingestuft werden wie diejenigen, die wegen eines anderen Glaubens politisch verfolgt werden.

Teilfrage c – Nachfluchtgründe sollten so restriktiv wie möglich ausgelegt werden, damit diese nicht allein zum Zwecke der Aufenthaltsverlängerung von der betroffenen Person überhaupt erst geschaffen werden.