Problembeschreibung
Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung gewährt Religions- und Weltanschauungsgesellschaften das Recht zur selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten, jedoch "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Unter dem Deckmantel des Tendenzschutzes sind solche Schranken über die Jahrzehnte insbesondere im Arbeitsrecht gefallen.
Die christlichen Kirchen sind mit ihren Sozialdienstleistern Caritas und Diakonie, die sie in den Tendenzschutz ebenfalls einbeziehen, nach dem Öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland (ca. 1,3 Millionen Beschäftigte). Die Ausnehmung der Kirchen von der grundlegenden Forderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG § 9 Abs. 2) bedeutet, dass dieser Bereich des Arbeitsmarkts vielen Menschen verschlossen ist, die nicht einer Kirche angehören. Dies erlaubt den Kirchen unterschiedliche Behandlungen von Arbeitnehmer/innen wegen der Religion oder Weltanschauung. Dadurch werden vielfach andersgläubige oder konfessionsfreie Arbeitnehmer/innen von offensichtlich nicht-verkündigungsnahen Beschäftigungen ausgeschlossen, obwohl ein Großteil dieser Stellen fast vollständig oder vollständig aus Mitteln des Sozialstaates und den Entgelten der Leistungsempfänger/innen finanziert wird. Der von Kirchen und ihren Einrichtungen geltend gemachte besondere Tendenzschutz ist in seinem exzessiven Ausmaß nicht vereinbar mit den Festlegungen der Europäischen Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000), die ihrerseits auf der UN-Menschenrechtskonvention beruht.
Wann eine besondere weltanschauliche Anforderung "aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt", kann nicht alleine in das Belieben des jeweiligen Trägers gestellt werden, wie dies aber § 9 AGG zugrunde liegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn weltanschauliche Einrichtungen mehrheitlich oder vollständig staatlich finanziert werden.
Wir wollten wissen:
Teilfrage a. Wie stehen Sie zur Forderung nach der Begrenzung von Ausnahmen im Arbeitsrecht auf den im engsten Sinne verkündigungsnahen Bereich?
Teilfrage b. Wie stehen Sie zur Forderung nach der Streichung aller darüber hinausgehenden Sonderregelungen im Arbeitsrecht jenseits des legitimen Tendenzschutzes?
(Die Reihenfolge der Antworten bestimmt sich nach Eingangsdatum, zuerst eingegangene Antworten werden zuerst aufgeführt.)
Antwort | DIE LINKE
Teilfrage a – Ausnahmen für den verkündigungsnahen Bereich sollten die Religionsgemeinschaften und Kirchen selbst bestimmen, da der Staat sonst religiöse Fragen entscheiden und damit seine Neutralitätspflicht verletzen würde. Dennoch wollen wir auch bei diesen Ausnahmen die Arbeitnehmerrechte gegen die der Arbeitgeber stärken.
Teilfrage b – Nur die LINKE fordert, dass der § 118 des Betriebsverfassungsgesetzes mit Ausnahmen für Religionsgemeinschaften und Tendenzbetriebe gestrichen werden muss; für den verkündigungsnahen Bereich sollen Sonderregelungen gelten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz muss auch in kirchlichen Einrichtungen Anwendung finden. Das Arbeitsrecht muss sicherstellen, dass ein aus Sicht der Kirchen "fehlendes privates Wohlverhalten" nicht zur Grundlage von Kündigungen in kirchlichen Einrichtungen und Betrieben gemacht werden darf.
Antwort | CDU/CSU
Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht – auch im Hinblick auf die Ausgestaltung von Dienst- und Arbeitsverhältnissen im kirchlichen Raum – ist grundgesetzlich geschützt. Es ist Sache der Kirchen, aus ihrem theologischen Verständnis heraus zu regeln, wie sie ihre inneren Verhältnisse ordnen, welche Anforderungen an die Person eines Stelleninhabers zu stellen sind und welche Rechte und Pflichten mit der Stelle verbunden sind. Durch richterliche Entscheidungen wurde dieses Recht wiederholt bestätigt und konkret ausgelegt. CDU und CSU sehen in diesem Zusammenhang keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Antwort | Bündnis 90/Die Grünen
Teilfrage a – Das besondere Arbeitsrecht für Beschäftigte in Kirchen und Betrieben kirchlicher Träger enthält deutliche Beschränkungen der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Verhältnis zu den Rechtspositionen von Beschäftigten in Einrichtungen nichtkirchlicher Träger. Die persönlichen Loyalitätspflichten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern außerhalb des Bereichs der religiösen Verkündigung halten wir für unverhältnismäßig. Durch Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 9 Abs. 1 AGG) und der arbeitsrechtlichen EU-Antidiskriminierungsrichtlinie (Art. 4 Abs. 2) wollen wir die Ausnahmen für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften enger fassen und damit den individuellen Rechten deutlich mehr Geltung verschaffen.
Teilfrage b – Partizipation und Demokratie sind auch im Wirtschaftsleben wichtig. Das soll ebenso für die Kirchen, einen der größten Arbeitgeber im Land gelten. Koalitionsfreiheit und Streikrecht wollen wir als soziale Grundrechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in Betrieben in kirchlicher Trägerschaft gewährleisten. Sie sind unserer Überzeugung nach mit einem Tendenzschutz und dem kirchlichen Recht auf Selbstordnung und Selbstverwaltung vereinbar. Wir fordern daher die Überprüfung des Regelungsgehalts von § 112 Personalvertretungsgesetz und § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz mit dem Ziel, den generellen Ausschluss von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und von deren karitativen und sozialen Einrichtungen aus dem Wirkungsbereich dieser beiden Gesetze aufzuheben. Die berechtigten Belange religiöser und weltanschaulicher Einrichtungen werden dabei insofern gewährleistet, als sie dem spezifischen religiös-weltanschaulichen Tendenzschutz unterliegen.
Antwort | SPD
Die SPD respektiert das Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften und weltanschaulichen Vereinigungen, das sich aus Artikel 140 Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung ergibt. Allerdings hat die auch politisch gewollte Wettbewerbsorientierung im Bereich der sozialen Dienstleistungen dazu geführt, dass sich kirchliche Unternehmen wie gewöhnliche Unternehmen im Markt verhalten. Die Aushandlung von Arbeitsbedingungen und Entlohnung muss daher auch bei kirchlichen Unternehmen auf gleicher Augenhöhe zwischen Arbeitgeberseite und Arbeitnehmerseite erfolgen. Aus dem Sonderstatus der Arbeitnehmerrechte im kirchlichen Bereich darf keine Wettbewerbsverzerrung entstehen.
Das Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften und damit auch der Kirchen und ihrer Einrichtungen findet seine Schranken in den Grundrechten. Soweit die Kirchen und ihre Einrichtungen Arbeitgeber sind, muss die Grenze ihres Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts als Arbeitgeber deshalb von den Grundrechten ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer her bestimmt werden und nicht umgekehrt. Gleiche Arbeitnehmerrechte für Beschäftigte bei Kirchen sind aus unserer Sicht vereinbar mit dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht. Insbesondere das Streikrecht ist elementares Grundrecht aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und muss auch im kirchlichen Bereich gelten. Um der Zersplitterung der arbeitsrechtlichen Vereinbarungen und der Tarifabschlüsse zu begegnen, ist ein allgemeinverbindlicher Branchentarifvertrag Soziales notwendig.
Antwort | FDP
Für Freie Demokraten ist die grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit ein hohes Gut. Das Selbstbestimmungsrecht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften umfasst auch das Recht, bestimmte berufliche Anforderungen eigenständig festzulegen. Dieses Selbstbestimmungsrecht ist ebenfalls verfassungsrechtlich garantiert (Art.140 GG i.V.m. Art.137 Abs.3 WRV). Bei der Begrenzung von Ausnahmen außerhalb des Verkündungsbereiches setzen wir Freie Demokraten auf den Dialog mit Kirchen, Gewerkschaften und weiteren zivilgesellschaftlichen Akteuren, mit dem Ziel, dass die Interessen der Beschäftigten hinreichend berücksichtigt werden. Wir Freie Demokraten wollen insbesondere die Ausgrenzung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bestimmter Arbeitgeber aus der betrieblichen Mitbestimmung beenden. Betriebe für soziale Dienstleistungen sollen generell in das Betriebsverfassungsgesetz einbezogen werden.