Problembeschreibung
In unserem Grundgesetz ist das Verhältnis des Staates zu Religionen und Weltanschauungen im Sinne kooperativer Laizität angelegt. Diese sieht einerseits vor, dass in der Bundesrepublik Deutschland keine Staatskirche besteht und dass es eine Trennung zwischen Staat und Religion bzw. Weltanschauung geben soll.
Andererseits eröffnen das Grundgesetz sowie einfachgesetzliche Regelungen die Kooperation zwischen staatlichen und weltanschaulichen/religiösen Institutionen, z.B. im Bereich der wertebildenden bekenntnisorientierten Schulfächer (Religionsunterricht, Humanistische Lebenskunde) und in diversen anderen Bereichen.
Unser Grundgesetz geht in Artikel 140 i.V.m. Artikel 137 der Weimarer Reichverfassung Absatz 7 von einer Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aus. Das Grundgesetz macht weiterhin deutlich, dass es keine Privilegierung oder Benachteiligung bestimmter Bekenntnisse und keine Ausgrenzung "Andersgläubiger" geben darf.
Diese Prämissen werden verletzt, wenn Kirchen z.B. Sonderstellungen im Erziehungs-, Kultur- und Wissenschaftsbereich eingeräumt werden, im Arbeitsrecht (soweit es nicht um Verkündigung geht), im subsidiären Bereich des Sozialwesens, oder in der Nähe zur Gesetzgebung.
Der Staat muss der gewachsenen gesellschaftlichen Pluralität Rechnung tragen, indem er Kirchen, Religionen und Weltanschauungen gleich behandelt. Dies kann geschehen durch Abbau von Privilegien einerseits oder durch Gewährung gleicher Rechte für alle Beteiligten.
Ein wenig Entwicklung gab es in den letzten Jahren gegenüber islamischen Religionsgemeinschaften und in einer geringen Zahl von Einzelfällen auch gegenüber säkularen Organisationen wie dem Humanistischen Verband Deutschlands. Renommierte Expert/innen zum Thema Religionspolitik sehen jedoch ebenso wie Konfessionsfreien-Organisationen einen weitaus höheren Handlungsbedarf angesichts der sich rasch wandelnden weltanschaulichen Landschaft.
Wir wollten wissen:
Teilfrage a. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass es auch auf Bundesebene konkrete Maßnahmen gibt, die sich religionspolitischen Reformen im Sinne der kooperativen Laizität, des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der weltanschaulich pluralen Gesellschaft widmen?
Teilfrage b. Wie stehen Sie zu der unter dem Begriff einer "offenen Religionspolitik" in den vergangenen Jahren geforderten "Deutschen Konferenz für Religionen und Weltanschauungen", die die Deutsche Islamkonferenz als alleiniges und konfessionell engführendes Dialogforum zwischen Bundesregierung und Muslim/innen bzw. Islam- Verbänden ablösen sollte?
Teilfrage c. Werden Sie als Partei den Dialog mit Organisationen/Verbänden konfessionsfreier Menschen ebenso ernsthaft wie mit den Vertretern der Religionsgemeinschaften führen?
(Die Reihenfolge der Antworten bestimmt sich nach Eingangsdatum, zuerst eingegangene Antworten werden zuerst aufgeführt.)
Antwort | DIE LINKE
Teilfrage a – Ja. Auf der Grundlage der Trennung von Staat und Kirche kann und muss sich der Staat neutral zu den verschiedenen Bekenntnissen bzw. Überzeugungen verhalten. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie Kirchen gleichberechtigt behandelt werden.
Teilfrage b – Das Neutralitätsgebot des Staates verbietet der Bevorzugung einzelner Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie Kirchen vor anderen. Darum setzen wir uns für ein gemeinsames Dialogforum aller ein.
Teilfrage c – Ja. Mit einer in diesem Jahr vom Parteivorstand der LINKEN beschlossenen Kommission Religionen, Weltanschauungen, Staat und Kirche werden wir dies in unserer Partei praktizieren, wie es auch gesellschaftspolitisch unser Ziel ist.
Antwort | CDU/CSU
Das Religionsverfassungsrecht in Deutschland hat sich bewährt. Es bietet umfangreiche Möglichkeiten, mit denen Religionsgemeinschaften ihre Aufgaben erfüllen können. Der K.d.ö.R.-Status ist kein Privileg der christlichen Kirchen, sondern steht allen Religionsgemeinschaften offen, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen.
Eine Vielzahl anderer Kooperationsformen, die das bewährte Religionsverfassungsrecht letztlich in Frage stellen würden, sehen wir kritisch.
Mit der Deutschen Islam Konferenz hat die unionsgeführte Bundesregierung bereits vor Jahren den Dialog mit den hier lebenden Muslimen und ihren Organisationen begonnen. Zugleich sind wir aber offen für weitere Foren und befürworten und unterstützen insbesondere den Dialog der Religionen. Dieser kann in besonderem Maß zu einem friedlichen Zusammenleben in unserer Gesellschaft und zu einer gelingenden Integration beitragen.
CDU und CSU sprechen sich auch für den Dialog mit allen gesellschaftlich wichtigen Gruppen aus. Als Volksparteien ist es uns wichtig, keine Klientelpolitik zu betreiben, sondern alle relevanten Interessenvertretungen und deren Anliegen zu berücksichtigen. Die Organisationen der so genannten Konfessionsfreien sind jedoch nicht nur von Größe und Mitgliederzahlen her mit den großen Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht vergleichbar. Sie stehen – über die Einigkeit in der Ablehnung jeden religiösen Bekenntnisses hinaus – in der Regel auch nicht für eine einheitliche Werteposition. Daher können sie als Ansprechpartner für Politik auch nicht das gleiche Gewicht haben wie die Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften.
Antwort | Bündnis 90/Die Grünen
Teilfrage a – In den letzten Jahrzehnten wurde unsere Gesellschaft offener und vielfältiger. Das hat ihr gut getan. Die Vielfalt ist ein Reichtum, der unser Land lebendig macht und wachsen lässt. Trotzdem gibt es noch viel zu tun auf dem Weg hin zu einer modernen und offenen Gesellschaft, die allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Deshalb treten wir für Reformen ein, die der gewachsenen Vielfalt, der Individualisierung und Pluralisierung der religiösen und weltanschaulichen Realität in Deutschland gerecht werden. Der säkulare und weltanschaulich neutrale Staat und eine konsequent an Grund- und Menschenrechten ausgerichtete Politik sind der sichere Rahmen für alle, die einer Religion oder Weltanschauung angehören und zugleich für alle, die keiner Religion angehören wollen.
Teilfrage b – Wir bejahen Pluralität. Der Schutz vor Diskriminierung und die Gewährleistung der Grundrechte aller ist das Fundament von Freiheit und der produktiven Entfaltung gesellschaftlicher Vielfalt. Wir stehen für eine offene, plurale Gesellschaft. Sie ist für uns ohne Alternative. Wir wollen das Vertrauen in die politische Kultur in Deutschland, Europa und der Welt stärken und zurückgewinnen. Wir stehen für faire Debatten, einen respektvollen Wettstreit um die besten Wege und eine erfolgreiche Suche nach Kompromissen. Voraussetzung für eine Kooperation zwischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und dem Staat ist die Anerkennung der fundamentalen Verfassungsgüter, der Grundrechte Dritter sowie der Grundprinzipien des freiheitlichen Religionsverfassungsrechts. Auf dieser Grundlagen wollen wir das Gespräch mit allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften fördern. Der Dialog sollte sich an inhaltlichen Fragestellungen unserer Gesellschaft orientieren. Ob dafür ein formales Gremium erforderlich ist, sehen wir eher zurückhaltend.
Teilfrage c – Ja. Die Zahl der Menschen ohne organisierte religiöse Bindung ist gestiegen. Nicht nur ihnen, auch der wachsenden Vielfalt der Bekenntnisse in Deutschland wollen wir gerecht werden. Wir wollen den Dialog zwischen den Religionen und auch denen, die religionsfrei sind, fördern und damit das gegenseitige Verständnis füreinander voranbringen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben 2016 einen Grundsatzbeschluss "Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der offenen Gesellschaft" gefasst (https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/BDK_2016_Muenster/RW-01_Religions-_und_Weltanschauungsfreiheit.pdf). In dem vorangegangen intensiven Konsultationsprozess haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Organisationen/Verbänden konfessionsfreier Menschen in gleicher Weise beteiligt wie die Vertreterinnen und Vertreter von Religionsgemeinschaften.
Antwort | SPD
Teilfrage a – Die SPD bejaht das kooperative Verhältnis zwischen Staat und Kirchen und Religionsgemeinschaften, wie es das Grundgesetz vorsieht, wie es die SPD in ihren Godesberger Grundsatzprogrammen von 1959 vertritt und zuletzt auch im Grundsatzprogramm von Hamburg 2007 bestätigt hat. Dies hat sich in der Praxis unseres Landes und im vertrauensvollen Miteinander zwischen Staat und Religionsgemeinschaften über Jahrzehnte bewährt. Das deutsche Modell der fördernden Neutralität des Staates in Bezug auf Kirchen und Religionsgemeinschaften als ein wegweisendes Modell für unsere Zukunft unterstützen wir. Denn dieses Modell ist aufnahmefähig für die Vielfalt der Religionen und Weltanschauungen. Es gilt für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleichermaßen, nicht nur für die christlichen Kirchen.
Wir unterstützen insbesondere die organisatorische Entwicklung von muslimischen Gemeinden und Organisationen, wenn sie sich in Deutschland nach deutschem Recht gründen und wenn sie die freiheitliche demokratische Grundordnung achten. Erfüllen sie die Voraussetzungen, dann stehen ihnen auch die Möglichkeiten unseres bewährten Religionsverfassungsrechts offen.
Teilfrage b – Unser kulturelles Leben ist einzigartig. Ebenso wie unsere Zivilgesellschaft mit ihren vielen unterschiedlichen Vereinen, Verbänden und Initiativen, den Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, in denen sich Millionen Menschen ehrenamtlich engagieren. Wir wollen ein modernes und weltoffenes Deutschland – mit einer Gesellschaft, die zusammenhält, und in der wir in Frieden und Freiheit zusammenleben – über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg. Das Forum der deutschen Islam Konferenz wollen wir auf neue Füße stellen. Es gibt keine bundesweit abgestimmte Position der SPD zu dem Vorschlang einer "Konferenz für Religionen und Weltanschauungen".
Teilfrage c – Die SPD sucht in Bund und Ländern regelmäßig den Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Akteure, auch mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Unabhängig von Religion, Konfession oder Konfessionslosigkeit unserer Dialogpartner nehmen wir diesen Austausch ernst.
Antwort | FDP
Teilfrage a – Wir Freie Demokraten setzen uns für die Religionsfreiheit und die Gleichbehandlung von Kirchen-, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein. Wir halten am geltenden Kooperationsprinzip fest, nach dem Staat und Religionsgemeinschaften je eigenständig und zugleich im Sinne des Gemeinwohles aufeinander bezogen sind. Die weltanschaulich-religiöse Neutralität und der Gleichbehandlungsgrundsatz sind Auftrag unserer Verfassung. Die Umsetzung obliegt dabei zuvörderst den Bundesländern, da sie die Kultushoheit innehaben.
Teilfrage b – Trotz der erreichten Fortschritte bleibt die Deutsche Islam Konferenz weit hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurück. Die Fragen, mit welchen muslimischen Verbänden kooperiert wird und mit welchen nicht, hat die Weiterentwicklung der deutschen Religionspolitik in Grundsatzfragen seit Jahren eingefroren - und viele Gemeinschaften wie Humanisten, Freikirchen und Buddhisten außen vor gelassen. Eine Deutsche Konferenz für Religion und Weltanschauung kann neue Bewegung in die deutsche Religionspolitik bringen, indem Vertreter der gesamten religiös-weltanschaulichen Vielfalt in Deutschland einschließlich der beiden großen Kirchen und der Nichtreligiösen gemeinsam über ein zeitgemäßes Verhältnis von Staat und Religion diskutieren.
Teilfrage c – Wir Freie Demokraten führen mit allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften einen ernsthaften Dialog. Zahlreiche Freie Demokraten sind konfessionsfrei oder Mitglied einer Weltanschauungsgemeinschaft.