Aus der anschließenden Diskussion mit dem Publikum ist besonders hervorzuheben, dass viele Gäste in ihren Redebeiträgen den Wunsch nach einem vehementeren Eintreten für die Werte der deutschen Verfassung bekundeten. Angesichts der offenen Dialogbereitschaft von deutschen Linksliberalen würden sich radikale Islamist_innen ins Fäustchen lachen. Gewünscht wurde u.a. auch ein resolutes humanistisches Bekenntnis zur Polizei.
Die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Nicole Immler von der Utrechter Universität für Humanistik berichtete zu Beginn des zweiten Panels von ihren Forschungen zu interkulturellen Diskursen in den Niederlanden. Unter dem Motto "Was der Pluralismus vom Humanismus lernen kann" vollzog sie anhand zweier praktischer Beispiele einen interessanten Perspektivwechsel weg von den Einwandernden hin zu den Einheimischen. Die öffentlichen kollektiven Feiern zum "schwarzen Piet" zeigten einen unterschwelligen Rassismus und die Debatten um z.B. Einwander_innen aus Indonesien entbehrten jeglicher Reflektion des eigenen kolonialen Erbes. Auch nach vielen Jahren der Einwanderung seien Einwandernde in den Niederlanden nach wie vor in vielen zentralen gesellschaftlichen Bereichen unsichtbar. Dies sei ein großes Hindernis für Austausch, für wirkliche Interkulturalität und gesellschaftlichen Pluralismus. Den Menschenrechten wies sie die Aufgabe zu, eine "gemeinsame neutrale Sprache" zu sein.
Dr. René Cuperus, Direktor der Wiardi Beckman-Stiftung Amsterdam, einem Think Tank der niederländischen Arbeiterpartei (PvdA), belebte die Diskussion mit seiner These, die Vertreter_innen multi- und interkultureller Konzepte seien "Brandstifter des europäischen Rechtspopulismus". Es handele sich um ein gefährliches Denken der intellektuellen Klasse mit "aggressiven Begriffen" für Eingesessene. Stattdessen plädierte er für eine Leitkultur und den Dreischritt von Assimilation, Partizipation und kultureller/religiöser Freiheit. An erster Stelle steht für ihn die notwendige Anpassung der Einwander_innen an die Grundregeln des demokratischen Rechtsstaates und die Einübung in Toleranz. Des Weiteren diagnostizierte Cuperus speziell in den Niederlanden einen Mangel an Respekt für Religion und Tradition, der im Zusammenhang stehe mit der Konfessionsfreiheit als gesellschaftlicher Mehrheit und der seinen Ausdruck auch in verbreiteter Islamophobie finde.
Arne Lietz, Mitglied der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, hob die Bedeutung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften für den Prozess der europäischen Einigung hervor. Er stellte dem Auditorium einen "Aufruf zum aktiven Handeln gegen die weltweite Verfolgung religiöser Minderheiten" vor, unterschrieben von Abgeordneten des Europäischen Parlamentes, die sich ganz unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen verbunden fühlen. Im Gegensatz zu vielen anderen öffentlichen Verlautbarungen zur Religionsfreiheit wird in diesem Aufruf erfreulicherweise auch auf den Schutz der Freiheit, keiner Religion anzugehören, hingewiesen. Ein Punkt, den Lietz auch mündlich nochmals besonders hervorhob.