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Foto: Konstantin Börner
Foto: Konstantin Börner

Eine wissenschaftliche Tagung der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg und des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg KdöR

Mehr als 50 Gäste wollten inmitten des bedrückenden Corona-Wahnsinns am 19. und 20. November wissen, was Humanistik ist und wofür man das braucht. Referent*innen und Gäste gaben auf der digitalen Tagung der Humanistischen Akademie und des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg KdöR eine Reihe überzeugender Antworten.

Humanistik ist die Bezeichnung für eine in den Niederlanden und Belgien etablierte transdisziplinäre Wissenschaft, die Humanismus beforscht und humanistische Praktiker*innen ausbildet. Sie steht dort gleichberechtigt neben theologischen Studiengängen. Wiel Veugelers von der Universität für Humanistik in Utrecht stellte ein eindrucksvoll vielseitiges Forschungsprogramm vor und verwies auf die vielen Einsatzmöglichkeiten der Absolvent*innen in Schulen, Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen. In den Niederlanden habe die Humanistik zu einer akademischen Professionalisierung pädagogischer und sozialer Berufe beigetragen, nicht zuletzt durch die erweiterten Möglichkeiten, Praxis mit Forschung zu verbinden.  

In Deutschland gibt es das trotz der hohen Anzahl nichtreligiöser Menschen bislang nicht. Theologie ist an deutschen Hochschulen verankert, Humanistik aber nicht. Dies will der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg KdöR ändern. In Gründung befindet sich die von ihm betriebene Humanistische Hochschule Berlin. Verläuft der Gründungsprozess erfolgreich, so könnten ab dem WS 2022/2023 in Berlin Lehrkräfte, Sozialarbeiter_innen, ethische Fachkräfte und weitere Berufsgruppen ausgebildet werden. Mittelfristig wird aber nicht nur eine Stadt wie Berlin auch Humanistik-Lehrstühle an den Universitäten einrichten müssen, um einer einseitigen Bevorzugung religiöser Menschen und Institutionen entgegenzuwirken.

Julian Nida-Rümelin, Philosoph und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, hob die Bedeutung der Menschenrechte als erfolgreichstes Projekt humanistischen Denkens und humanistischer Ethik hervor. Sie hätten eine wohlbegründete universelle Geltung und seien das normative Fundament der Weltgesellschaft, wenngleich allzu oft nicht eingelöst. Ohne dass der ehemalige Kulturstaatsminister sich auf Humanistik bezog, zeigten doch gerade seine Ausführungen zu (auch) europäischen Irrwegen wie Kolonialismus, Rassismus und Sexismus sowie zu den gegenwärtigen antihumanistischen Tendenzen – Querdenkerei, Antidemokratie, Neoliberalismus, Identitätspolitik, Teile der KI-Forschung – eine deutliche Nähe zu einem Kernanliegen der Humanistik. Denn diese will kein Elfenbeinturm sein, sondern in die Gesellschaft hineinwirken, beitragen zur Gestaltung gemeinsamer politischer Rahmenbedingungen und zu einem gelingenden Zusammenleben der vielen Verschiedenen. 

Dass Humanistik auch ein Sinnangebot bei existenziellen Fragen und in menschlichen Nöten sein kann, deutete Tatjana Schnell an. Die Professorin für Religionspsychologie und existenzielle Psychologie in Innsbruck und Oslo präsentierte den Gästen die Ergebnisse ihrer empirischen Studie zum Sinnerleben nichtreligiöser Menschen: Jene, die sich selbst primär als Humanist*innen bezeichnen, empfänden aufgrund ihrer Weltanschauung ihr Leben tendenziell sinnerfüllter als solche, die sich primär selbst als Atheist*innen und Agnostiker*innen bezeichnen. Auch die Korrelation mit seelischer Gesundheit falle nach Selbstauskunft der Befragten bei Humanist*innen höher aus.