Urteilsfähigkeit stärken unter Bedingungen von Unbestimmbarkeit
Am Ende der Diskussion des ersten Tages hatte das Publikum eine Reihe von Antworten auf die Leitfrage – "was sollen Menschen für eine offene Gesellschaft lernen?" – vorliegen, sicherlich nicht sämtlich neu, aber doch jeweils mit besonderen und anregenden Akzentuierungen:
- Sinnfragen stellen (im Unterschied zu Fragen nach dem Funktionieren von etwas)
- mit Unbestimmbarkeit leben und Situationen des Sich-wunderns und Erstaunens kreieren
- weniger lernen mit mehr Zeit
- Urteilsfähigkeit neu kultivieren
- Denken lernen, vor allem auch im Sinne von "Imaginationsbereitschaft", sich anderes und neues vorstellen zu können.
Humanismus heute: Dezentrierung, Hinterfragung des Vokabulars, Komplexität akzeptieren
Mit Blick auf den zweiten Tagungstag und seinem Schwerpunkt Humanistische Bildung formulierten die Referent_innen zum Abschluss einige Aspekte zu deren Modernität:
- Dezentrierung: Ausgangspunkt könnten heute nicht mehr bloß der Mensch oder das Individuum sein, sondern nur die Menschen mit ihren ganzen "Drumherum": äußere Natur, andere Lebewesen, kulturelle und soziale Lebensbedingungen. Selbst "Inklusion" sei hier wenig hilfreich, solange man darunter verstehe, man müsse etwas von außen in ein beizubehaltendes Zentrum holen.
- Notwendig sei die vollständige Hinterfragung des etablierten Vokabulars und der Verzicht auf feste Anker oder Nullpunkte.
- Der Begriff "Humanismus" könne aufgrund seiner historischen Belastung nur noch sehr zurückhaltend verwendet werden. Entscheidend seien ein weiter Begriff von Bildung – sozial, ästhetisch, emotional, sprachlich, kognitiv – sowie der Bezug auf Menschenrechte und die Akzeptanz von Undurchsichtigkeit und Komplexität.
Diskussion: Was sollen Menschen für eine offene Gesellschaft lernen? C. Wulf, M. Rieger-Ladich, F. Macgilchrist