Wie haben Sie die Diagnose ALS erlebt und wie hat sich Ihr Leben seither verändert?
Erste Symptome spürte ich im Juni 2023. Es fing damit an, dass ich im linken Arm immer weniger Kraft hatte und die Feinmotorik nachließ. Zum Beispiel konnte ich Hemdknöpfe nicht mehr richtig zu machen und beim Sportkurs im Fitnessstudio weniger Gewicht heben. Nach einem entscheidenden Hinweis meiner Physiotherapeutin erfolgte im September 2023 eine umfassende Diagnostik im Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum. Am Ende der Untersuchung stand dann am 29. September 2023 die erschütternde Diagnose ALS.
Seitdem ist das Leben anders. Es dreht sich sehr viel um die Krankheit. Eine große Herausforderung war: Wie sage ich es Verwandtschaft und Freunden? Ich wollte von Anfang an offen damit umgehen. Meine Frau Claudia und ich haben nach und nach unsere Freund*innen informiert. Meine Kolleg*innen konnte ich in einem eigens dafür organisierten Meeting die Diagnose eröffnen und erklären. Gerade auch für die Unterstützung durch meinen Arbeitgeber bin ich sehr dankbar.
Bei mir verläuft die Krankheit leider besonders schnell. Eine Ärztin sagte mir: „Sie fahren mit 240 km/h, durchschnittliche ALS-Patient*innen mit 80km/h.“ Noch einige Jahre mit ALS zu leben, kann ich mir nicht vorstellen. Inzwischen ist die Krankheit so weit vorangeschritten, dass ich innerhalb der nächsten drei Monate plane in ein Hospiz zu gehen und schließlich mein Leben selbstbestimmt durch Sterbefasten beenden möchte. Mir ist es sehr wichtig, dass ich selbst darüber entscheiden kann, wann, wo und wie ich sterbe.
Warum haben Sie sich an VISITE gewendet?
Der Wunsch nach hospizdienstlicher Begleitung kam tatsächlich nicht von mir, sondern von meiner Frau Claudia. Sie hat im April dieses Jahres Kontakt mit VISITE aufgenommen. Wir beide wussten am Anfang nicht, was uns erwartet. Ehrlich gesagt habe ich zunächst nur der Begleitung durch VISITE zugestimmt, weil ich dachte, dass es Claudia hilft. Ich dachte erst, ich brauche das gar nicht. Sehr schnell habe ich gemerkt, dass VISITE nicht nur Claudia, sondern auch mir enorm hilft, mit der Situation umzugehen. Ich bin extrem dankbar, meine Begleiterinnen Ingrid und Sabine zu haben. Sie sind beide einfach tolle Menschen.
Wie erleben Sie die Betreuung durch VISITE?
Die Begleitung durch VISITE kann man gar nicht mit Gold aufwiegen. Ingrid und Sabine schaffen es, eine gewisse Normalität herzustellen. Es bedeutet mir viel, dass sie mir nicht mit Mitleid, sondern auf Augenhöhe begegnen. Ich kann mit ihnen auch über alle möglichen praktischen Fragen rund um das Thema Sterben sprechen, die sonst als tabubehaftet gelten.
Allein zu wissen, dass jemand da ist, gibt mir unglaublich viel Sicherheit und Selbstbestimmung. Ich kann zum Beispiel im Nebenzimmer ausruhen und weiß: Da ist ein Mensch, der ist da, und wenn etwas ist, dann kommt er sofort und hilft. Man kann sich einfach fallen lassen.
Einmal kam Claudia abends nach Hause, als Ingrid gerade da war und mir Essen gemacht hat. „Du hast ja auch Hunger“, sagte Ingrid zu Claudia. Dann hat Ingrid mal eben für uns beide einen süddeutschen Kartoffelsalat gezaubert. Damit hat sie uns beide total glücklich gemacht, besonders mich als Franken. Ein anderes Mal war ich abends beim zu Bett gehen total unruhig. Dann hat Ingrid vorgeschlagen, spontan eine Runde mit mir im Rollstuhl spazieren zu gehen. Sie hat mir eine Jacke über das Schlafzeug gelegt und wir haben in Ruhe eine Runde durchs Wohnviertel gedreht. Dabei konnte ich wieder runterkommen und mich beruhigen. Es sind diese kleinen Gesten, die mir unheimlich viel bedeuten.
Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, was wir ohne Ingrid und Sabine tun würden. Sie können beide eine Wellenlänge herstellen, mit der man sich einfach wohlfühlt. Wie erwähnt war ich anfangs skeptisch, ob mir eine Sterbebegleitung überhaupt hilft. Jetzt kann ich sagen: Ich kann die Begleitung nur jedem empfehlen, der in so einer Situation ist. Ich habe keine Angst mehr, mit meiner Situation allein zu sein. Auch für Claudia ist die Begleitung eine große Entlastung.
Was gibt Ihnen in dieser Phase Ihres Lebens Kraft?
Claudia und ich haben den Sommer noch sehr genossen. Jetzt kommt der Herbst und viel Zeit bleibt mir leider nicht mehr. Kraft geben mir vor allem schöne Momente mit Freund*innen und Ausflüge in die Natur. In der Natur kann ich aufatmen und abschalten.
Eine Bucket List mit Dingen, die ich vor meinem Tod noch machen möchte, habe ich nicht. Aber früher habe ich sehr gerne Paragliding gemacht und ich wollte sehr gerne noch einmal das Gefühl erfahren, in der Luft zu sein. Diesen Wunsch hat mir Claudia im Juni erfüllt und mir einen Tandemsprung geschenkt. Das war wirklich ein tolles Erlebnis, das mir viel bedeutet.
Einen letzten Wunsch habe ich noch: Ich bin ein großer Fan von Markus Krebs, einem Stand-up-Comedian aus dem Ruhrgebiet. Seine Witze sind genau mein Humor. Am liebsten würde ich ihn noch einmal live erleben.
Lieber Herr Korous, herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jan Cacek, Referent Öffentlichkeitsarbeit.