BERLIN taz Im Koalitionsvertrag ist sie versprochen, doch ihr Start verzögerte sich immer wieder: An diesem Freitag nun tritt erstmals die Expert*innenkommission zusammen, die sich im Auftrag der Bundesregierung mit der Zukunft des deutschen Abtreibungsverbots beschäftigen soll.
Die Rechtslage ist diese: Ungewollt Schwangere in Deutschland sind grundsätzlich verpflichtet, die Schwangerschaft auszutragen. Entscheiden sie sich für eine Abtreibung, begehen sie nach Paragraf 218 Strafgesetzbuch eine Straftat, für die sie lediglich unter bestimmten Bedingungen nicht bestraft werden: Wenn der Abbruch in den ersten 12 Wochen nach Befruchtung stattfindet, die Schwangere vorher in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle war und eine dreitägige Wartefrist hat verstreichen lassen.
Laut Koalitionsvertrag sollen die Sachverständigen nun sowohl „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ als auch „Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft“ prüfen. Grüne und SPD drängen vor allem auf Ersteres; sie haben eine Abschaffung von Paragraf 218 auch in ihren Wahlprogrammen versprochen. Die FDP wiederum drängt auf Liberalisierungen im Bereich der Reproduktionstechnologien. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte, ihm sei bewusst, dass man eine „emotionsgeladene Debatte“ anstoße. Man wolle dabei „alle Seiten mitnehmen“.
In zwei Arbeitsgruppen mit je neun Mitgliedern beginnt nun die Arbeit. Zu denen, die sich mit Paragraf 218 beschäftigen, gehören die Sexualwissenschaftlerin Maika Böhm und die Gesundheitswissenschaftlerin und ehemalige Pro-Familia-Vorsitzende Daphne Hahn. Beide sind an der vom Gesundheitsministerium geförderten Elsa-Studie beteiligt, die die Situation und Versorgung ungewollt Schwangerer untersucht – Daten, die bisher fehlen und von Feminist*innen dringlich erwartet werden.
Auch dabei in der Kommission ist die Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf, die 2020 in einem Gutachten dem inzwischen gestrichenen Paragrafen 219a beschied, verfassungswidrig zu sein. Dieser hatte es Ärzt*innen bis vergangenes Jahr verboten, öffentlich darüber zu informieren, dass und wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Die heutige Rechtslage basiert auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Die Richter*innen maßen damals dem „Schutz des ungeborenen Lebens“ gegenüber der Selbstbestimmung der Schwangeren einen hohen Stellenwert bei. Spannend ist, was Völkerrechtlerin Paulina Starski dazu zu sagen hat, die ebenfalls mit in der Kommission sitzt. Denn seither hat sich mit Blick auf reproduktive Rechte viel getan – die freie Entscheidung für oder gegen Kinder ist heute international als Menschenrecht verbrieft. Der UN-Frauenrechtsausschuss etwa rügte Deutschland in der Vergangenheit wegen seiner restriktiven Abtreibungsgesetze.
Im Dezember 2022 hatte der Deutsche Juristinnenbund (DJB) einen detaillierten Vorschlag erarbeitet, wie Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafrechts geregelt werden könnten: mit einer Fristenregelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz. DJB-Präsidentin Maria Wersig ist ebenfalls Teil der Kommission. Mit dabei sind auch die Strafrechtlerinnen Liane Wörner, die zur Frage von Widersprüchen beim „strafrechtlichen Lebensschutz“ habilitiert hat, und Bettina Weißer von der Uni Köln.
Als praktizierende Medizinerin ist Stephanie Wallwiener in der Gruppe. Sie hat an den jüngst fertiggestellten medizinischen Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch mitgearbeitet und ist Oberärztin an der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg. Das Krankenhaus führt allerdings keine Schwangerschaftsabbrüche nach Beratungsregelung durch. Der ehemalige Klinikleiter begründete diese Entscheidung mit christlichen Werten.
Mit Christiane Woopen sitzt eine ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats in der Kommission. Woopen ist die Einzige, die sich im Vorfeld geäußert hat – und zwar eher zurückhaltend. Das verwundert nicht, immerhin war Woopen früher im Bundesvorstand von Donum Vitae. Die katholische Laienorganisation berät ungewollt Schwangere. Sie zielt dabei klar auf den Erhalt der Schwangerschaft, stellt aber bei Bedarf den für einen Abbruch nötigen Beratungsschein aus.
Die Ampel ist sich uneins
Die drei Ampelparteien sind sich, was die Zukunft des Abtreibungsverbots angeht, durchaus uneins. SPD und Grüne haben die Entkriminalisierung im Wahlkampf versprochen. Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) hatte zuletzt mehrfach betont, das Strafrecht sei der falsche Ort, um Schwangerschaftsabbrüche zu regeln. Die FDP hingegen bremst. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte schon vor einem Jahr den „historischen Kompromiss“ gelobt, den die aktuelle Rechtslage darstelle.
„Die Erzählung, der heutige Paragraf 218 sei ein schwer errungener Kompromiss, stimmt so nicht“, widerspricht Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Vielmehr gehe er zurück auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das eine liberalere Regelung seinerzeit kassierte. „Dem Rechtsgut der Selbstbestimmung der Frau wurde damals nicht genug Gewicht gegeben.“ Herausgekommen sei eine Austragungspflicht für Schwangere. „Es wird Zeit, diese Fragen noch einmal neu zu stellen.“
Ganz anders sieht das die Union. Nach Bekanntwerden der Kommissionsmitglieder erklärte der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Günter Krings, diese müssten „unabhängig von den überzogenen ideologischen Forderungen“ von Frauenministerin Paus arbeiten. „Nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Mütter, sondern auch das ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Lebensrecht und die Entwicklung des ungeborenen Kindes müssen dabei eine maßgebliche Rolle spielen.“
Ein Jahr lang soll die Kommission nun beraten. „Die Ampel darf sich jetzt nicht auf der Arbeit der Kommission ausruhen. Die Zivilgesellschaft muss in den Prozess einbezogen werden“, betont Heidi Reichinnek, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Sie verweist auf eine aktuelle repräsentative Umfrage, der zufolge mehr als die Hälfte der Bevölkerung für eine umfassende Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist – während gerade mal neun Prozent die aktuelle Regelung als Straftat beibehalten wollen.
„Dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland kriminalisiert und stigmatisiert sind, hat Folgen“, sagt Reichinnek. Seit Jahren nimmt die Zahl der Ärzt*innen, die sie durchführen, ab – gerade mal knapp über 1.000 sind es, bei rund 100.000 Abbrüchen im Jahr. Vielerorts werden sie und die entsprechenden Beratungsstellen zudem von Abtreibunsgegner*innen drangsaliert. Die Ampel hatte eigentlich schon für vergangenes Jahr ein Verbot solcher „Gehsteigbelästigungen“ angekündigt. Auf Nachfrage erklärt das Frauenministerium, man arbeite „mit Hochdruck an einem entsprechenden Referentenentwurf“.
Ende März 2024 soll die Kommission ihre Ergebnisse vorstellen. Was dann passiert, ist offen. Auf Nachfrage antwortet das Frauenministerium: „Ob und in welcher Form die Ergebnisse umgesetzt werden, kann aktuell noch nicht bewertet werden.“
Quelle: https://taz.de/Diskussion-um-Schwangerschaftsabbrueche/!5925179/