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Humanismus in Zeiten von Corona

Eine Betrachtung von Johannes Schwill

 

! O Corona ! ! velut Luna ! ! statu vari-a-bili--s,
! semper crescis ! ! aut decrescis; ! ! vita dete-sta-bili—s,
(Corona, wie der Mond dort oben, so veränderlich bist Du,
wächst Du immer oder schwindest! –Schmählich ist das Leben hier!)

 

So könnte man den bekannten Eingangschor "O Fortuna" aus den "Carmina Burana" von Carl Orff aus aktuellem Anlass umtexten. Wuchtig wie das Schicksalsrad schlägt die Krise zu und stürzt die Gesellschaft in einen Stresstest von bislang unbekannten Dimensionen.
Die Virologen sagen uns, dass face-to-face-Kontakte und damit das öffentliche Leben radikal heruntergefahren werden müssen, um die Infektionsketten zu verlangsamen. Und die Politik handelt entsprechend.
Gleichzeitig wachsen die Sorgen, dass man durch diese Radikalschnitte den Infektionsteufel, der vor allem die Älteren bedroht, mit dem ökonomischen und sozialen Beelzebub austreibt: komplette Wirtschaftszweige implodieren, die freie Kultur droht zu vertrocknen, und das gute Miteinander und der soziale Kitt scheinen zu zerbröseln. Manche Kommentatoren im Feuilleton sehen schon Fundamentales wie die Bürgerrechte und den Generationenvertrag in Gefahr; für Europa sei die Coronakrise ein weiterer, vielleicht entscheidender Sargnagel. Und religiöse Hardliner sprechen erwartungsgemäß von einer "Strafe Gottes".
Was können wir Humanist*innen in diesen Zeiten tun? Natürlich den wissenschaftlichen Ratschlägen folgen. Nachbarn unterstützen. Kontakte auf den elektronischen Weg verlagern und pflegen. Liegengebliebenes aufarbeiten. Möglichst gelassen bleiben und auf Hölderlin hören, der sagte: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Die Politik ermahnen, Augenmaß zu bewahren. Die ökologischen Chancen der Situation sehen. Und den optimistischen Glauben an die Lernfähigkeit der Menschen nicht verlieren, den Johann Gottfried Herder – der noch an einen Schöpfergott, nicht aber an einen in die Geschichte eingreifenden Gott glaubte - so formulierte:
 "Der Mensch sei Mensch, er bilde sich seinen Zustand nach dem, was er für das Beste erkennt". Und weiter: "Je schneller er seine Fehler erkennen lernt, mit je rüstigerer Kraft er darauf geht, sie zu bessern, desto weiter kommt er, desto mehr bildet sich seine Humanität; und er muss sie ausbilden oder Jahrhunderte durch unter der Last eigner Schulden ächzen." (aus: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit)