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  • Lars Plougmann (CC BY-SA 2.0)

Schwerstkranken wird Zugang zu Suizidmitteln als letzte Chance verwehrt

Im März des vergangenen Jahres hatte das Leipziger Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass schwerstkranke, sterbewillige Menschen in Deutschland eine tödliche Dosis Betäubungsmittel (Natrium-Pentobarbital) zum Suizid erhalten können. In den Leitsätzen des Urteils heißt es, der Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung sei zwar grundsätzlich nicht erlaubnisfähig, das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse jedoch "auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln." Im Hinblick auf dieses Grundrecht sei der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes "ausnahmsweise vereinbar […], wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet".

Nun hat das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgefordert, bei Schwerstkranken den Erwerb von Medikamenten zur Selbsttötung auch in Extremfällen nicht zu erlauben. Das geht aus einem Schreiben vom 29. Juni 2018 hervor, das mehreren Medien vorliegt. Danach könne es nicht Aufgabe des Staats sein, "Selbsttötungshandlungen durch die behördliche, verwaltungsaktmäßige Erteilung von Erlaubnissen zum Erwerb des konkreten Suizidmittels aktiv zu unterstützen" – entsprechende Anträge sollten abgewiesen werden.

Gita Neumann, als Mitglied des Präsidiums des Humanistischen Verbandes Deutschland zuständig für Humanes Sterben, sagt: "Das Gesundheitsministerium will schwerstkranken, tödlich Erkrankten die letzte Chance für ein legales und humanes Mittel zur Selbsttötung verwehren. Der Zugang war vom höchsten Verwaltungsgericht Deutschlands in extremen Fällen unerträglichen Leidens ausdrücklich eingeräumt worden. Für die skandalöse Missachtung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keine weltanschaulich neutralen Gründe. Schon der Förderung der Suizidhilfe laut § 217 Strafgesetzbuch liegt die rigorose Tendenz zugrunde, keinerlei Ausnahmen etwa für Ärzte vorzusehen, die ihren aussichtslos erkrankten Patienten auch nur Unterstützung bei der Selbsttötung gewähren."

Gita Neumann ist Mitglied des HVD-Präsidiums, Dipl.-Psychologin, Sozialpädagogin und Philosophin. Mitglied der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM, Göttingen). Publikationen, Stellungnahmen in Gesetzgebungsverfahren und Medienauftritte zu Patientenautonomie am Lebensende, Hospiz- und Palliativversorgung, Weltanschauungsfragen, Lebens- und Sterbehilfe. Foto: © Die Hoffotografen
Gita Neumann ist Mitglied des HVD-Präsidiums, Dipl.-Psychologin, Sozialpädagogin und Philosophin. Mitglied der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM, Göttingen). Publikationen, Stellungnahmen in Gesetzgebungsverfahren und Medienauftritte zu Patientenautonomie am Lebensende, Hospiz- und Palliativversorgung, Weltanschauungsfragen, Lebens- und Sterbehilfe. Foto: © Die Hoffotografen

Seit dem Urteil im März 2017 sind bereits mehr als hundert Anträge auf die Herausgabe von Natrium-Pentobarbital beim BfArM gestellt worden – alle diese Anträge sind jedoch noch offen (Stand 26.04.2018).  Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage an den Bundestag hervor. Für die Antragsteller bedeutet das Schreiben des Gesundheitsministeriums nun zumindest Klarheit: Als nachgeordnete Behörde muss sich das BfArM an die Vorgabe des Bundesministeriums halten.

Fakt ist: Ein Großteil der Deutschen befürwortet, dass es in Deutschland bei einer schweren, unheilbaren Krankheit ein "Recht auf eine Beihilfe zur Selbsttötung" geben solle. Das heißt, das politische Handeln steht hier nicht nur im Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, sondern auch im Widerspruch zum Willen des Großteils der Bevölkerung.

"Wir fordern die Bundesregierung auf, eklatante Widersprüche im Sinne der Bevölkerungsmehrheit zu harmonisieren", so Gita Neumann. "Dazu gehört der § 217 Strafgesetzbuch dringend auf den Prüfstand, statt ein Bundesinstitut zum Rechtsbruch gegen ein höchstrichterliches Urteil aufzufordern."

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Lydia Skrabania
Bundesreferentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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