Eine Reportage von TOBIAS EẞER
Wir schreiben das Jahr 2024. In Deutschland sitzt die rechtsextreme sogenannte Alternative für Deutschland (AfD) in nahezu allen Landesparlamenten und stellt außerdem die zweitgrößte Oppositionsfraktion im Bundestag. Die „Mitte-Studie“ der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass rechtsextreme Einstellungen in der Gesellschaft immer salonfähiger werden – 6,6 Prozent aller Deutschen befürworten demnach eine rechtsgerichtete Diktatur mit einer starken Führerfigur. Seit 2020 hat sich dieser Wert verdreifacht. Der gesellschaftliche Rechtsruck bringt neue Herausforderungen mit sich. Denn um die wehrhafte Demokratie zu verteidigen, muss mehr passieren, als sich einmal im Jahr auf einer Großdemonstration zu versammeln. Das weiß auch der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg.
Wir brauchen Diskurs
„Wir müssen uns anschauen, warum sich die Menschen der AfD zuwenden“, sagt DAVID DRIESE, Vorstand des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg. Für die rechtsextreme Partei gebe es eine immer größer werdende Akzeptanz in der Gesellschaft. Das liegt laut Driese auch daran, dass Menschen in immer mehr politischen Debatten abgehängt würden.
„Als Humanist*innen müssen wir unbedingt auf Diskurs setzen. Wir dürfen Menschen nicht abhängen und liegen lassen, sondern müssen mit ihnen sprechen“, sagt Driese. Dazu gehöre auch zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die nicht gendern wollen oder eine andere Idee von Zuwanderung vertreten. „Hier sind wir in der Anwendung unseres so wichtigen Toleranzgedankens etwas aus der Übung gekommen.“
Hinsichtlich der anstehenden Landtagswahlen besorgt Driese eine mögliche Wahl der AfD zur stärksten Partei in Brandenburg. Eine Umfrage von Institut Wahlkreisprognose aus dem April 2024 sieht die Rechtsextremen bei einem möglichen Wahlergebnis von 27 Prozent. Da mit könnte die Partei die SPD als bisherigen Spitzenreiter überholen. „Alle Werte, für die die AfD steht, sind diametral zu denen des Verbandes“, führt Driese aus. Deshalb müsse der Verband hart dafür arbeiten, die AfD zusammen mit der viel zitierten Brandmauer aus Kirchen, Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu stärken. „Nur in einer starken Demokratie kann es einen starken Humanistischen Verband geben“, erklärt Driese. „Das zeigen unsere leider derzeit schwachen humanistischen Partner in undemokratischen Staaten wie Ungarn und Polen unter der PiS-Regierung.“
Eine Möglichkeit, sich für eine starke Zivilgesellschaft zu engagieren, ist die Demonstration auf der Straße. Anfang 2024 prägten Demonstrationen gegen die vom Recherchekollektiv „Correctiv“ aufgedeckten Deportationspläne der AfD die Nachrichten. Millionen Menschen protestierten. Am 3. Februar rief auch der Verband zur Großdemonstration in Berlin auf, an der nach verschiedenen Schätzungen bis zu 350.000 Menschen teilnahmen.
Ein Preis für demokratisches Engagement
Doch damit ist es nicht getan. Der Verband lobt außer dem den Humanismus-Preis für Menschenrechte aus. Diese mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung bekommen Menschen verliehen, die sich auf besondere Weise für die Demokratie einsetzen. Im Jahr 2023 erhielt das Ehe paar Lohmeyer aus dem kleinen Ort Jamel in Mecklenburg-Vorpommern den Preis. Die Lohmeyers zogen 2004 aus Hamburg nach Jamel. Mittlerweile ist der Ort als das „Nazi-Dorf“ überregional bekannt. Seit 2007 tun die Lohmeyers etwas dagegen. Sie riefen das Festival „Jamel rockt den Förster“ ins Leben. „Die Rechten wollten, dass wir wegziehen“, sagt BIRGIT LOHMEYER. „Wir haben ihre kleine, heile Naziwelt zerstört.“ Sie nahmen Kontakt zur Landes- und Lokalpolitik auf und veranstalteten auf ihrem Hof das erste Festival gegen rechts in Jamel.
Seitdem hat sich bei den Lohmeyers viel geändert. „In unserer Region werden wir von den Menschen entweder geliebt oder gehasst“, sagt Birgit Lohmeyer. „Leider sind die Hassenden derzeit noch in der Überzahl.“ 2015 brannten diese Hassenden die Scheune auf dem Hof des Ehepaares nieder. Davon wollen sich die Lohmeyers jedoch nicht unterkriegen lassen.
Dabei helfen ihnen Auszeichnungen wie der Humanismus-Preis für Menschenrechte. „Das ist für uns ein wunderbarer Markstein – und zeigt mir außerdem, dass zumindest Teile der Gesellschaft unsere Arbeit schätzen“, sagt Birgit Lohmeyer. „Außerdem helfen uns solche Auszeichnungen dabei, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für unser Festival zu bekommen und es so am Laufen zu halten.“
Ob „Jamel rockt den Förster“ auch 2024 stattfinden kann, ist allerdings noch nicht klar. „Wir wissen noch nicht, ob wir einen Nutzungsvertrag für die Wiesen der Gemeinde bekommen“, berichtet Lohmeyer. Außerdem habe sich ein Gemeindevertreter dazu entschlossen, die Lohmeyers als Veranstalter*innen des Festivals wegen Umweltverschmutzung anzuzeigen. Aber die Lohmeyers werden weiter für ihr Festival und eine starke Stimme für Demokratie und gegen Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern kämpfen.
„Nie wieder Utøya?!“
Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg zeichnet nicht nur vielversprechende Projekte für eine starke Demokratie aus. Auch aus dem Verband selbst entwickeln sich Ideen und Initiativen, die laut gegen Rechtsextremismus sind. So erhielten die Jungen Humanist*innen Berlin im Jahr 2022 einen Preis für ihr Projekt „Nie wieder Utøya?!“, dass die JuHus sogar bis nach Norwegen führte. „Unser Projekt entstand als direkte Antwort auf die Herausforderungen und Erfahrungen, die wir im Jahr 2021 in unserem Jugendcamp in Schweden gemacht haben“, erklärt SARAH KÖHLER, damals noch im Vorstand der Jungen Humanist*innen. In Schweden habe es rechte Äußerungen gegeben. „Daraufhin wollten wir proaktiv Maßnahmen ergreifen, um solchen Einstellungen entgegenzuwirken.“
Ziel war dabei die Schaffung eines Raums, in dem Jugendliche unabhängig ihrer Religion, ihrer Herkunft oder sozialen Zugehörigkeit über Rechtsextremismus lernen können. Das erreichten die Initiator*innen des Projekts beim inklusiven Jugendcamp, das die Jungen Humanist*innen im Sommer 2022 in Norwegen organisierten. „Dieses Projekt hat sich als Modellvorhaben etabliert, das die Bedeutung und Wirksamkeit präventiver Maßnahmen sowie die Stärkung des Engagements gegen Rechtsextremismus und Rassismus verdeutlicht“, sagt Sarah Köhler.
Das Camp in Norwegen war ein voller Erfolg. „Während des Camps konnten wir beobachten, wie Vorurteile und Barrieren abgebaut wurden, indem die Teilnehmenden in Dialog traten und gemeinsam an diversen Workshops teilnahmen“, sagt sie. Auch persönlich hat Sarah Köhler als Initiatorin des Projekts einiges mitnehmen können: „Es hat mir die Notwendigkeit eines proaktiven Engagements gegen Rechtsextremismus stärker vor Augen geführt“, erklärt das ehemalige JuHu-Vorstandsmitglied.
„Es wird entscheidend sein, präventive Bildungsarbeit zu verstärken, um Menschen für die Gefahren des Rechtsextremismus zu sensibilisieren und sie zu ermächtigen, intolerantes Verhalten zu erkennen und aktiv dagegen vorzugehen“, sagt Sarah Köhler.
Diese Arbeit stehe auch im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg an: „Ein moderner humanistischer Verband sollte auf das Erstarken des Rechtsextremismus mit einer klaren Haltung und aktiver Bildungsarbeit reagieren. Das bedeutet, Räume für Dialog und Reflexion zu schaffen, junge Menschen zu stärken und in die Arbeit gegen rechts einzubeziehen“, so Sarah Köhler.
Rechtsextreme Bedrohung in Brandenburg
In Brandenburg ist der Kampf gegen rechtsextreme Um triebe ein großes Thema. Davon kann auch FABIAN STEFANIAK erzählen, der dem Vorstand der Jungen Humanist*innen in Brandenburg angehört. „Viele Leute denken, die viel zitierten Baseballschlägerjahre seien vorbei“, erklärt er. „Die fragen sich: ‚Woher kommt auf einmal die rechte Gewalt?‘ Es ist ganz einfach: Die Täter der Baseballschlägerjahre haben Kinder bekommen.“
Vor allem Strausberg bei Berlin sei in den 90erJahren für Gewalt durch Neonazis bekannt gewesen. Die Täter von damals seien nicht verschwunden: „Sie sind ruhiger geworden und haben Familien bekommen – und ihre Kinder sind mittlerweile in einem Alter, in dem sie ihren Eltern nacheifern“, führt Stefaniak weiter aus.
Konkret habe es einen Fall gegeben, an den er sich noch besonders intensiv erinnere. Jugendliche, die der Jugendorganisation der rechtsextremen Kleinstpartei Dritter Weg angehörten, versuchten im vergangenen Jahr, den Jugendclub Petershagen-Eggersdorf einzunehmen, erzählt Stefaniak. Dort finden regelmäßig aufklärerische Projekte wie die „S5 Action“ statt, deren Ausrichtung auch in die Verantwortung der Jungen Humanist*innen fällt.
Dieser Angriff auf eine demokratische Einrichtung sei allerdings nur ein kurzer Blick auf die Oberfläche. Darunter gebe es in Brandenburg ein tiefer liegendes Problem mit dem Rechtsextremismus, sagt Stefaniak. Deshalb äußert der Junge Humanist einen Wunsch: „Die Solidarität, die sich der Verband auf die Fahne geschrieben hat, muss praktisch bleiben.“