Eine Reportage von TOBIAS EẞER
Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, der gesellschaftliche Rechtsruck in Deutschland, wachsende Herausforderungen durch die Technisierung und Künstliche Intelligenz: 2024 und die nächsten Jahre werden vermutlich von den Debatten um die ganz großen Themen dominiert. Für diese Diskussionen gilt es, Kraft zu tanken – und sie mit einer anderen humanistischen Spezialität zu füllen: dem Feiern, das im Humanismus ebenfalls eine große Rolle spielt.
Die größte Party dieser Art findet in diesem Jahr zum Welthumanist*innentag am 21. Juni statt. Dann halten der Humanistische Verband Deutschlands, der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg und die Humanistische Akademie Berlin-Brandenburg den Zukunftskongress im Futurium in Berlin ab. Bis zu 1.200 Teilnehmer*innen werden erwartet, um bei verschiedensten Panels über die Themenschwerpunkte Bildung, Menschenrechte, Künstliche Intelligenz und Klima zu sprechen.
„Wir freuen uns sehr über die Größe unseres diesjährigen Welthumanist*innentages. Der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus auf die großen Themen der Zeit ist wichtig und wird uns alle über den Kongress hinaus prägen. Da sind wir uns ganz sicher. Deshalb wird der Verband auch allen seinen Mitarbeitenden ermöglichen, an Kongress und Abendveranstaltung teilzunehmen“, sagt MEIKE DRECKMANN-NIELEN, die das Großevent gemeinsam mit ANNATHEA BRAẞ und ihrer beider Teams organisiert.
„Aus Größe erwächst Verantwortung“
Das sieht die Vorstandsvorsitzende des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, KATRIN RACZYNSKI ganz ähnlich: „Aus Größe erwächst Verantwortung – und diese Verantwortung wollen wir wahrnehmen. Humanist*innen müssen sich diesen großen Herausforderungen und einer Welt voller Konfliktherde stellen. Veränderung geschieht nicht nur von ‚oben‘, sie geschieht tagtäglich und sie geschieht dadurch, dass viele Engagierte sich verbinden, sich austauschen und aktiv werden“, sagt die Vorstandsvorsitzende.
Beim Kongress selbst werden die inhaltlichen Schwerpunkte jeweils vor und nachmittags gesetzt, erzählt Meike Dreckmann-Nielen. Als Redner*innen hat der Verband dabei hochkarätige Gäste eingeladen: Kriminalbiologe Mark Benecke, Transformationsforscherin Maja Göpel und Philosoph Julian NidaRümelin werden auf dem Zukunftskongress sprechen. Mit dem US-amerikanischen Soziologen Phil Zuckerman ist sogar ein internationaler Gast auf dem Kongress vertreten.
Der lange Weg bis zur Veranstaltung
Dabei war es ein langer Weg, bis der Kongress endlich fertig organisiert war, erzählt Meike Dreckmann-Nielen. Für die Organisation arbeitete der Verband mit einer eigens eingestellten Eventmanagerin und einer externen Eventagentur zusammen. Weitere Unterstützung habe es durch den Verband, das Team des Futuriums und des Tipis am Kanzleramt, in dem die Party nach dem Kongress stattfinden wird, gegeben.
Für die internationalen Gäste seien am Tag vor dem Zukunftskongress noch weitere Programmpunkte geplant, verrät Annathea Braß. Am 20. Juni gäbe es ein kleines Vorprogramm, bei dem die Gäste zu einem Lunch zusammenkommen und anschließend gemeinsam Spuren von Berlins historischpolitischer Stadtkultur entdecken können, um sich so bereits inhaltlich auf den Kongress einzustimmen.
Die Relevanz internationaler Verbindungen
Vorstandsvorsitzende Raczynski betont, wie wichtig die internationale Vernetzung von Humanist*innen ist. „Schauen Sie sich um“, sagt sie. „Es gibt weltweite Bedrohungen der Demokratie, auch vor der eigenen Haustür. Auf europäischer Ebene gibt es zahlreiche Bestrebungen, die nationalen Interessen über die europäische Kooperation zu stellen. Damit einher geht oftmals eine Politik, die menschenfeindliche Vorurteile bestärkt, rechtsstaatliche Institutionen schwächt und den Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft verkleinert.“
Gerade deshalb sei es so ein wichtiges Signal, dass mit Andrew Copson von den Humanists International auch die internationale Perspektive auf humanistische Themen der Zeit berücksichtigt werden könne. Katrin Raczynski erklärt außerdem, die europäische Vernetzung von Humanist*innen habe in den vergangenen Jahren zugenommen. Das sei eine „große Chance und Bereicherung“. Sie führt weiter aus: „Aber das geht nicht abstrakt, sondern nur, wenn wir die Köpfe zusammenstecken und über den nationalen Tellerrand hinausdenken.“„Wir sitzen in einem Boot“
Im internationalen Austausch liege die Chance, „aus erster Hand und persönlich die humanistischen und politischen Kontexte der anderen Länder kennenzulernen.“ Die Vorstandsvorsitzende des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg erklärt, sie habe selten so viel über europäischen Humanismus gelernt und ihren eigenen Horizont so erweitern können wie durch internationale Meetings.
Fast noch wichtiger als die Sachebene sei allerdings die persönliche Begegnung mit Humanist*innen aus verschiedenen Ländern, sagt Raczynski. Diese schaffe eine emotionale Verbindung über nationale Grenzen hinweg und stifte Freundschaften. Die Vorstandsvorsitzende führt weiter aus: „Machen wir uns nichts vor: Es ist ein starker Motor, eine starke Motivation, wenn man spürt: Wir teilen so viel! Unsere Sorgen, unsere Ängste, unsere Hoffnungen. Wir sitzen in einem Boot.“
Die Bedrohung der Demokratie, Kriege und Konflikte sowie die Gefährdung durch den Klimawandel stellen die Weltgemeinschaft in Zukunft vor große Herausforderungen.
Persönlich interessiert sich Katrin Raczynski insbesondere für die Herausforderungen, die die Klimakrise mit sich bringt: „Ich merke hier selbst oft, dass ich an (m)einem Anspruch an ein gutes Handeln scheitere. Zugleich möchte ich nicht sehenden Auges in die Katastrophe laufen und der Nachwelt einen kaputten Planeten zurück lassen. Ich hoffe sehr, dass wir hier neue Ideen und Im pulse mitnehmen können, individuell und verbandlich gleichermaßen.“
Ein Gemeinschaftsprojekt
Dass Humanist*innen sich nicht die Gelegenheit nehmen lassen mitzugestalten, zeigte sich bereits zu Beginn der Organisation des Welthumanist*innentages, erzählt Meike Dreckmann-Nielen. „Ich bin inzwischen etwa ein Jahr Teil des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg und wirklich beeindruckt von der Leidenschaft, die Humanist*innen an den Tag legen. Viele Menschen aus unserem Verband wollten unbedingt mitgestalten und ihre kreativen Ideen einbringen“, berichtet die Organisatorin des Zukunftskongresses.
Um einen Querschnitt des facettenreichen Verbandes abzubilden, seien Arbeitsgruppen gebildet worden. „Die Idee war dabei, dass der Humanistische Verband die Grenzen seiner Fachabteilungen verlässt und gemeinsam in Form von Arbeitsgruppen in den Dialog geht, um die inhaltlichen Schwerpunkte zu gestalten“, erklärt Dreckmann-Nielen. Regelmäßige Treffen und ein reger Austausch führten so zu einem bunten Angebot für den Zukunftskongress. Sie sei besonders beeindruckt davon, mit wie viel Engagement ihre Kolleg*innen – neben ihren sonstigen Tätigkeiten – in die Planung der Kongressinhalte gegangen seien. „Ich habe noch nie erlebt, dass Menschen so begeistert zusätzliche Verantwortung über nehmen“, führt sie weiter aus.
Raczynski hofft auf inspirierenden Austausch
Vorstandsvorsitzende Katrin Raczynski hofft, auf dem Zukunftskongress Debatten über die großen Themen unserer Zeit führen zu können. „Dieser Kongress wird kein Elfenbeinturm sein, sondern ein humanistisches Begegnungsevent. Und wir werden alles dafür tun, die Impulse, die wir bekommen, zu übersetzen in konkretes Handeln“, erklärt sie.
Ihre verbandliche Position verpflichte Raczynski dazu, aus gemeinsamer Erkenntnis Veränderungen anzustoßen – „immer gemeinsam mit vielen tollen Kolleg*innen“, wie sie sagt. „Nach dem Diskutieren über die Fragen der Zukunft freuen wir uns schon auf eine schöne Feier: Wir hatten so viele Monate, man kann schon sagen Jahre, nicht mehr die Möglichkeit, in unserer großen humanistischen Community ausgelassen miteinander zu feiern.
Humanist*innen können sehr ernsthaft sein, sie können aber auch das Leben genießen. Und selbst wenn die Zeiten krisenhaft sind: Wir dürfen das Leben feiern. Woher sonst nehmen wir die Kraft für die großen Aufgaben, die vor uns liegen?“