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Statement zur geplanten Einrichtung einer Registerstelle bei der Berliner Innenverwaltung

Im März 2020 stellte Innensenator Herr Andreas Geisel nach den Ereignissen in Hanau ein umfangreiches Maßnahmenpaket zum Schutz von Muslimen vor. Dies beinhaltet auch eine Registerstelle, bei der sich Opfer von Rassismus melden sollen, um das Ausmaß des Problems besser erfassen zu können. Dies soll nach Pressemeldungen eine Registerstelle für "antimuslimischen Rassismus" sein.[1]

So sehr wir die Einrichtung von Registerstellen zur Erfassung von Hassverbrechen und Rassismus begrüßen, so sehr wir Rassismus und Diskriminierung ablehnen, so haben wir jedoch Bedenken, dass das Konzept und der damit verbundene Begriff des "antimuslimischen Rassismus" Unterstützung und Anerkennung durch die Verwaltungen und Ministerien erhält.

Mit der Verwendung von Begriffen sind jeweils unterschiedliche wissenschaftliche und politische Konzepte verbunden, die sich oft nur bei einer genaueren Betrachtung erschließen. So auch beim "antimuslimischen Rassismus" und beim von uns favorisierten Begriff der "Muslimenfeindlichkeit".

Unter Rassismus verstehen wir Ungleichheitsideologien, die sich zur Kategorisierung von Menschen auf die Biologie berufen. Sie gehen erstens von der Existenz klar identifizierbarer Menschengruppen als "Rassen" aus, und zweitens begründet Rassismus die Diskriminierung der Betroffenen mit ihrer Zuordnung zu einer "Rasse". "Bedeutsam ist, dass eine biologische Kategorie als grundlegend gilt und es in dieser Hinsicht keine Veränderbarkeit gibt." (nach Armin Pfahl-Traughber, 2019 und 2020)[2]. Der Islam ist eine Religion und keine "Rasse". Der Begriff "antimuslimischer Rassismus" verwischt die Klarheit des Begriffs "Rassismus" mit weitreichenden Folgen: Wenn alle möglichen diskriminierenden Erscheinungsformen als "rassistisch" gelten, dann wird das spezifische Gefahrenpotential des Rassismus nicht beachtet und relativiert. Darüber hinaus ist die Einteilung der Menschheit in "Rassen" nach dem Muster der überkommenen "Rassenlehren" wissenschaftlich unhaltbar. Religionen und Kulturen können und müssen hingegen am Maßstab von Demokratie und Menschenrechten gemessen und kritisiert werden können. Wenn Kulturen und Religion mit "Rasse" gleichgesetzt werden, gerät jedoch auch menschenrechtlich und demokratisch motivierte Kritik an der Ideologisierung von Kultur und Religion in Gefahr, als "rassistisch" abgekanzelt zu werden.

Die Kritik an Vorstellungen von – religiöser und kultureller – Identität, die den einzelnen Menschen weniger als Individuum mit individuellen Menschenrechten, sondern vorrangig als Angehörigen des Kollektivs betrachten muss aber grundsätzlich möglich bleiben. Insbesondere, wenn solche Identitätsvorstellungen die Menschenrechte als Rechte jedes einzelnen Menschen bedenklich relativieren. Dafür bedarf es einer Differenzierung zwischen der irrationalen Unterscheidung und Bewertung von Menschen nach der Kategorie "Rasse" (Rassismus) und der Diskriminierung aufgrund der Pauschalisierung und Überbewertung kultureller und religiöser Unterschiede.

Wir schlagen daher vor, in der öffentlichen Debatte und für die öffentlichen Verwaltungen und Ministerien anstelle des Begriffs "antimuslimischer Rassismus" weiterhin den Begriff "Muslimenfeindlichkeit" zu verwenden. Angelehnt an die anerkannten Leipziger Mitte-Studien, die diesen Begriff nutzten, können so die gemeinten Phänomene eindeutiger erfasst werden: Es geht um die Feindschaft gegen Muslime als Muslime und darum, dass Menschen aufgrund Ihres Muslimseins diskriminiert werden. Anderseits lässt der Begriff "Muslimenfeindlichkeit" die notwendige demokratische und menschenrechtliche Kritik zu (vgl. Armin Pfahl-Traughber, 2019 und 2020).

Wir appellieren an den Berliner Innensenator Herrn Andreas Geisel und die Innenverwaltung die Namensgebung für die geplante Registerstelle zu überprüfen und hierfür den Begriff der "Muslimenfeindlichkeit" zu verwenden. Auch andere Verwaltungen wie die Berliner Landesantidiskriminierungsstelle bitten wir, Ihre Begriffsverwendungen zu überprüfen, um nicht irrtümlich demokratie- und menschenrechtlich motivierte Haltungen zu diskreditieren und zu erschweren. Dies ist aus unserer Sicht notwendig, um die Diskussion über den Zusammenhalt, die Demokratie und die Menschenrechte in Berlin voran zu bringen und zu fördern.

AG SPDqueer Neukölln (Vorstand) (Ramin Rachel, Svenja-Michell Felgentreu, Christian Riemer, Henri Vogel, Bettina Oehlert)

Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg (Präsidium)

Antonio Leonhardt (DIE LINKE, BVV-Lichtenberg)

Carl Chung (Fachleiter Politische Bildung & Projekte "Jehi Or" Jüdisches Bildungswerk für Demokratie – gegen Antisemitismus)

Detlef Wagner (Bezirksstadtrat für Soziales und Gesundheit, BA Charlottenburg-Wilmersdorf)

Dr. Fritz Felgentreu (SPD, Mitglied des Deutschen Bundestages)

Dr. Elio Adler (Vorsitzender d. WerteInitiative - jüdisch-deutsche Positionen e.V.)

Herbert Nebel (Sprecher Landesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne Berlin)

Jan Buschbom (Pädagoge)

Lala Süsskind (geschäftsführende Gesellschafterin "Jehi Or" Jüdisches Bildungswerk für Demokratie – gegen Antisemitismus)

Markus Wollina (DIE LINKE, Berlin-Mitte)

Michael Hammerbacher (Leiter DEVI e.V, Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung)

Naila Chikhi (unabhängige Referentin für Integration und Frauenpolitik, Autorin)

Roman Veressov (DIE LINKE, Bezirksverordneter Lichtenberg)

Seyran Ates (RA, Ibn Rushd Goethe Moschee)

Walter Otte (Sprecher Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne)

Kontakt und Nachfragen an:

Michael Hammerbacher | Tel.: 0177 799 35 39 | Mail: michael.hammerbacher@berlin.de

 

[1] Tagesspiegel, So will Berlin seine Muslime besser schützen, 6.3.2020

[2] https://hpd.de/artikel/antimuslimischer-rassismus-analytische-kategorie-oder-polemisches-schlagwort-16906, 14.6.2019; https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/180774/islamfeindlichkeit-islamophobie-islamkritik-ein-wegweiser-durch-den-begriffsdschungel, 17.6.2019

 

Michael Hammerbacher
c/o DEVI e.V.
Ramlerstr. 27
13355 Berlin