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  • Prof. Dr. Peter Dabrock · Vorsitzender des Deutschen Ethikrates | © Deutscher Ethikrat, Fotograf: Reiner Zensen
    Prof. Dr. Peter Dabrock · Vorsitzender des Deutschen Ethikrates | © Deutscher Ethikrat, Fotograf: Reiner Zensen

Ethikrat stellt sich gegen Urteil zur Selbstbestimmung

Anfang März hatte das Bundesverwaltungsgericht (Az.: BVerwG 3 C 19.15) entschieden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Suizidwilligen bei "unerträglichem Leidensdruck" den Erwerb tödlich wirkender Arznei nicht verwehren darf.

Das im Grundgesetz verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse "auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Daraus kann sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht." Konkret ging es in dem Fall um das Begehren einer infolge eines Unfalls vom Hals abwärts gelähmten Frau.

In der Urteilsbegründung der Leipziger Richter_innen vom 17. Mai heißt es:

"Die verfassungsrechtlich gebotene Achtung vor dem persönlichen Umgang des Einzelnen mit Krankheit und dem eigenen Sterben schließt auch die freiverantwortlich getroffene Entscheidung schwer kranker Menschen ein, ihr Leben vor Erreichen der Sterbephase oder losgelöst von einem tödlichen Krankheitsverlauf beenden zu wollen."

16 von 26 Mitgliedern des Deutschen Ethikrates – etwa der evangelische Theologe und Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Peter Dabrock, der den Vorsitz des Gremiums innehat – sind nun allerdings der Ansicht, "dass durch dieses Urteil ethische Grundwertungen unterlaufen werden: Es beschränkt sich nicht darauf, individuelle Selbsttötungsverlangen zu achten. Vielmehr zwingt es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte dazu, Suizidwünsche anhand bestimmter materieller Kriterien zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Umsetzung durch eine Erlaubnis zum Erwerb einer tödlich wirkenden Substanz zu unterstützen.

"Auf diese Weise werde eine staatliche Instanz zum Verpflichtungsadressaten der Selbsttötungsassistenz und diese von einer staatlichen Bewertung und Erlaubnis abhängig gemacht. In der am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung des Sachverständigen-Gremiums heißt es weiter: "Das widerspricht der zuletzt noch einmal in § 217 StGB zum Ausdruck gebrachten und dem gesamten System des (straf-)rechtlichen Lebensschutzes zugrunde liegenden ethischen Leitidee der staatlichen Neutralität gegenüber Lebenswertvorstellungen und stellt zugleich die höchstpersönliche Natur von Suizidwünschen infrage. Die Vorstellung, diese könnten staatlich bewertet und legitimiert werden, ist geeignet, diejenigen sozialen Normen und Überzeugungen zu schwächen, in denen sich der besondere Respekt vor jedem menschlichen Leben ausdrückt. Sie läuft damit auch der zentralen Forderung einer Stärkung suizidpräventiver Maßnahmen und Strukturen zuwider."

Hinter dem Ethikrats-Verdikt stehen jedoch nicht alle Mitglieder: Neun von ihnen halten das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts "für ethisch wohl erwogen und begrüßenswert". Ihnen zufolge steht es "im Einklang mit der dem Notstandsprinzip zugrunde liegenden Moralpflicht, vor allem in existenziellen Grenzfällen ein generell begründbares Verbot nicht zum Gebot der Unmenschlichkeit werden zu lassen." Was im Sinne einer klarstellenden und präzisierenden Regelung in das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen werden sollte. Ein Mitglied des Ethikrats enthielt sich des Votums.

Einig ist sich der Ethikrat in seiner Forderung, die Suizidvorbeugung ebenso wie die Hospiz- und Palliativversorgung zu stärken und die Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase zu verbessern.

Drei Monate nach dem Sterbehilfeurteil liegen dem Bundesinstitut bereits 26 Anträge auf Abgabe tödlich wirkender Medikamente vor. Entschieden ist darüber noch nicht.

Der Deutsche Ethikrat berät sowohl Bundestag als auch Bundesregierung. Er besteht aus 26 Mitgliedern, darunter Naturwissenschaftler_innen, Jurist_innen, Theolog_innen, Mediziner_innen, Ökonom_innen und Philosoph_innen. Im Ethikrat sollen unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum vertreten sein. Fünf der 26 Ethikratsmitglieder sind hauptberuflich in theologisch-kirchlichen Kontexten aktiv. 

Welche Ethikratsmitglieder sich für und welche gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen haben, können Sie hier nachlesen.

Foto: Prof. Dr. Peter Dabrock · Vorsitzender des Deutschen Ethikrates | © Deutscher Ethikrat, Fotograf: Reiner Zensen

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