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Humanistische Erwartungen für die Zukunft Berlins

Zu den Koalitionsverhandlungen haben wir die aus unserer Sicht zehn wichtigsten Punkte formuliert, die in einer Koalitionsvereinbarung Berücksichtigung finden sollten. Wir haben sie den verhandelnden Parteien zukommen lassen und unsere Unterstützung bei der Umsetzung zugesagt.

Unsere zehn Erwartungen betreffen den Weltanschauungsbereich sowie dringend erforderliche Verbesserungen der Rahmenbedingungen für freie und gemeinnützige Träger. Sie finden sie im Einzelnen nachstehend:

1. Gleichbehandlung aller anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften

Hierzu gehören:

  • die Anerkennung des HVD Berlin-Brandenburg als Körperschaft des öffentlichen Rechts sowie der Abschluss eines Staatsvertrages,
  • die finanzielle Gleichstellung im Berliner Landeshaushalt von Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften,
  • die Mitwirkung von weltlich-humanistischen Repräsentant_innen bei Staatsakten,
  • die Einbeziehung der Weltanschauungsgemeinschaften in einen gemeinsamen Dialog mit den Religionsgemeinschaften anstelle des bisher getrennt organisierten Dialoges,
  • die Anerkennung des Welthumanistentages als gesetzlichen Feiertag.

2. Ablösung historischer Staatsleistungen an die Kirchen,

Berlin sollte eine Kommission einberufen, die sich über die Grundsätze zur Beendigung der nicht mehr zeitgemäßen Zahlungen verständigt. Die auf das 19. Jahrhundert zurückgehenden Entschädigungsleistungen an die beiden großen christlichen Kirchen haben ihren historischen Kontext verloren. Bereits 1919 wurde in der Weimarer Reichsverfassung die Ablösung der Zahlungen festgelegt. Artikel 140 des Grundgesetzes schrieb diesen Auftrag fort. Bisher wurde dieser Verfassungsauftrag stets missachtet. Die Berliner Regierung könnte hier eine Vorbildfunktion einnehmen, die auch bundesweite Diskussionen ermöglichen dürfte.

3. Sitz im Rundfunkrat des RBB für weltlich-humanistische Organisation

Die Zusammensetzung des RBB-Rundfunkrates wird der Pluralität in der Berliner Bevölkerung nicht gerecht. Über 60 Prozent der Berliner_innen sind konfessionsfrei, finden aber keine ihrer Weltanschauung entsprechende Vertretung im RBB. Während religiöse und kirchliche Organisationen mehrere Vertreter_innen stellen, bleiben humanistische und säkulare Kräfte bei der Programmgestaltung in Rundfunk und Fernsehen unberücksichtigt. Während die christlichen Kirchen Sendeplätze für die Verkündigung ihres Glaubens innehaben, fehlt anderen Weltanschauungen diese Möglichkeit. Die Öffnung des Kontrollgremiums für muslimische Vertreter_innen sollte wie in Nordrhein-Westfalen und Bremen genutzt werden, um eine paritätische Mitgestaltungsmöglichkeit aller Bürger_innen zu gewährleisten.

4. Einführung eines Lehrstuhls für Geschichte und Theorie des weltanschaulichen Humanismus

Der Berliner Senat unterstützt die Einrichtung eines Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität im Jahre 2017 mit 500.000 Euro. Das begrüßen auch die Gremien des HVD. Wir halten es entsprechend der Bevölkerungsstruktur in Berlin aber für überfällig, auch die Einrichtung eines Instituts für Humanistik zu fördern. Denn über 60.000 Teilnehmende am Humanistischen Lebenskundeunterricht belegen das große Interesse von Eltern und ihren Kindern, mehr über humanistische Werte zu erfahren. Ein Lehrstuhl für eine wissenschaftliche Humanismus-Forschung würde die qualitativ hochwertige Ausbildung von humanistischen Lehrkräften, Sozialarbeiter_innen und Erzieher_innen unterstützen und sinnvoll ergänzen.

5. Berücksichtigung des TVL bei allen Leistungs- und Zuwendungsverträgen mit Freien Trägern

Der Unterschied der Personalkostenfinanzierung im öffentlichen Dienst und bei freien Trägern ist immer größer geworden. Der HVD ist einer der wenigen größeren gemeinnützigen Dienstleistungsunternehmen, die seit Jahren auf Basis eines Tarifvertrages arbeiten. Aufgrund der nicht analog dem TVL gewährten Zuwendungen oder der knappen Entgelte für Leistungsverträge seitens der Verwaltungen des Landes Berlin ist die Gewinnung und Bindung von Mitarbeiter_innen sehr schwer geworden. Unbesetzte Stellen vor allem im Pflege- und Kitabereich sind die Folge. Wir möchten bei Verträgen mit dem Land Berlin nicht weiter von der allgemeinen tariflichen Entwicklung abgekoppelt werden.

6. Humanistische Beratung in Gefängnissen, Krankenhäusern und bei Katastrophen

Neben der religiösen Seelsorge bedarf es in allen Krankenhäusern, Gefängnissen und im Katastrophenfall des Einsatzes einer humanistischen Beratung (Seelsorge). Ausgebildete humanistische Berater_innen bieten Begleitung in existentiell wahrgenommenen Lebenssituationen an, so z.B. bei Verlusterfahrungen, schwerwiegenden Krankheiten, Sinnfragen und Einsamkeit. Grundsätzlich beraten sie alle Menschen, unabhängig von ethnischer Herkunft, Nationalität und Weltanschauung. Zum Aufbau eines mit den Religionsgemeinschaften vergleichbaren Angebots bedarf es der politischen und finanziellen Unterstützung.

7. Wirksame Strategien zur Beseitigung des Fachkräftemangels

Der Mangel an Fachkräften in unseren Arbeitsbereichen Pflege, Kita und Sozialarbeit hat sich in den letzten Jahren stets vergrößert. Neben der Förderung von Ausbildung und Quereinstieg bildet die berufliche Integration der nach Berlin geflüchteten Menschen eine wertvolle Ressource. Das Berufsfeld der Pflege ist nachhaltig zu stärken. Berlin braucht wirksame Aus- und Weiterbildungsinitiativen, aber auch praktikable Wechsel- und Anerkennungsmodelle für Menschen mit gleichwertigen oder ähnlichen Qualifikationen.

8. Abschaffung der Finanzierungsdiskriminierung beim Humanistischen Lebenskundeunterricht

Die Bedeutung des Humanistischen Lebenskundeunterrichts für den Bildungsauftrag der Berliner Schulen wurde durch eine neue Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Regierenden Bürgermeister und dem HVD im letzten Jahr untermauert. Der wertebildende und demokratiefördernde Unterricht bleibt allerdings weiterhin eine ungeheure finanzielle Herausforderung für den HVD, weil nur 90 Prozent der Personalkosten vom Land Berlin gefördert werden. Es besteht die absurde Situation, dass jede Neuanmeldung am freiwilligen Unterricht zusätzlich ein finanzielles Defizit produziert, das es durch den Träger aufzufangen gilt. Aufgrund der großen Nachfrage und gesellschaftspolitischen Bedeutung des werteorientierten Unterrichts halten wir eine 100 Prozent-Finanzierung für sachlich gerechtfertigt.

9. Erhöhung der Leitungs- und Betreuungsschlüssel in den Kitas

Der Leitungsschlüssel für das Kita-Personal ist deutlich weiter anzuheben. Vor allem im Kleinkindbereich bedarf es ebenfalls einer Erhöhung des Betreuungsschlüssels. Zugleich ist eine dringende Anpassung der Personalkosten an die bundesweite Tarifentwicklung nötig, damit mehr Fachkräfte angeworben werden können.

10. Verabschiedung eines Jugendförderungsgesetzes und Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre

Die Jugendarbeit ist den letzten 20 Jahren immer mehr politisch vernachlässigt worden. Wir brauchen endlich wieder eine adäquate Sicherstellung der Finanzierung der Berliner Jugendarbeit auf der Landesebene und in den Bezirken. Der HVD unterstützt ausdrücklich Initiativen, die zu gesetzlichen Regelungen von qualitativen und quantitativen Standards führen. Jugendförderpläne und verbindliche Ansätze im Berliner Landeshaushalt sind überfällig! Die Arbeit zum Thema Inklusion bedarf einer ausreichenden Finanzierung. Hier ist Berlin mittlerweile hinter andere Bundesländer zurückgefallen. Ferner sind wir weiterhin Befürworter der Absenkung des Wahlalters auch auf Landesebene auf 16 Jahre.