Wir fragen oft nach dem Sinn des Lebens, so Günther Gödde auf unserer Tagung über Lebenskunst und Krisenbewältigung. Dabei käme es viel mehr darauf an, einen Sinn im Leben selbst zu finden: als soziale Wesen in Beziehung mit anderen; ein zutiefst humanistischer Gedanke, den der Psychotherapeut und Autor in seinem Eröffnungsvortrag über Lebenskunst in Philosophie, Psychologie und Therapie formulierte.
Mit dem Thema Lebenskunst und Krisenbewältigung trafen die Humanistische Akademie und ihre Kooperationspartner vom Dialog der Weltanschauungen offenbar den Nerv der Zeit. Gut 60 Gäste zwischen 20 und 80 Jahren verfolgten das aus Vorträgen, Workshops und Gesprächen bestehende Programm; einige waren eigens aus Brandenburg, Hannover oder der Schweiz angereist. Das habe damit zu tun, so ein Teilnehmer, dass das Thema zwar virulent sei, aber selten im Rahmen von Tagungen und Begegnungsformaten verhandelt werde. Auch wir hatten das Bedürfnis, einen Raum für kritische Reflexion und Austausch bieten. Die Tagung verband philosophisch, psychologisch, und humanistisch informierte Vorträge mit Praxisberichten und einem Workshop.
Jede Zeit bringt gesellschaftliche Krisen mit sich, jedes Leben ist von individuellen Erschütterungen geprägt. Wir stehen vor drängenden Problemen wie dem Klimawandel, den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, dem besorgniserregenden Rechtsruck sowie Anfeindungen gegen Demokratie und Menschenrechte. Auch soziale Ungleichheit und Inflation sind gegenwärtige Realitäten, mit denen wir leben müssen. Darüber hinaus müssen wir alle im Laufe unseres Lebens den einen oder anderen persönlichen Kampf ausfechten, wir sind nicht gefeit vor Widerfahrnissen wie Gewalt, Unfällen, Krankheiten oder Zuständen der Einsamkeit, Sinnlosigkeit oder Depression.
In Zeiten, da sich diese Krisen verdichten, stellt sich die Frage, wie wir es schaffen können, nicht in Mutlosigkeit und Verzweiflung zu versinken. Wie können wir trotz aller Widrigkeiten an die Möglichkeit eines erfüllten Lebens glauben und aktiv daran arbeiten? Ulrike Dausel erzählte von ihrem Arbeitsalltag als Humanistische Beraterin in Belgien. Hier stelle sich oft die Frage, wie Menschen existenzielle Krisen und Erschütterungen bewältigen können. Dausel legte dar, inwiefern humanistische Werte ein Potenzial bieten könnten, mit Krisen ‚umzugehen‘. Der Umgang mit Krisen sei zudem eine realistischere Erwartung als die, dass Krisen sich bewältigen ließen. Eine humanistische Weltanschauung biete außerdem die Chance, so Dausel weiter, mit den Gegensätzen, zwischen denen sich menschliche Existenz situiere, umzugehen.
Um (vermeintliche) Gegensätze ging es auch im Vortrag von Ralf Schöppner, Professor für Theorie und Geschichte des Humanismus an der Humanistischen Hochschule Berlin. Er sprach über die produktive Verbindung von Heiterkeit und Melancholie in einer dezidiert humanistischen Haltung. Dabei zeichnet sich bereits die Melancholie durch die Gleichzeitigkeit von (scheinbar) widerstrebenden Gefühlen, Trauer und Freude, aus. Es sei das „trotz allem“ im Leben, die Wertschätzung des Erreichten und Möglichen, das menschliche Zufriedenheit nähre.
Ebenfalls im Modus des Dialektischen entwarf der Theologe Ferenc Herzig eine metamoderne Gegenwart zwischen fröhlicher Hoffnungslosigkeit und illusionsloser Hoffnungsfülle und bezog sich dabei unter anderem auf den Theologen Miguel A. De La Torre, der Hoffnung aus sozialkritischer Perspektive vor allem als ein Privileg der europäischen Mittelklasse versteht. Herzigs Fokus auf die Möglichkeit von Hoffnung in Zeiten der Krise hob die religiöse Konnotation eines Begriffes hervor, der kulturgeschichtlich eng mit der Idee des Glaubens verwoben ist. Gerade in der Metamoderne aber zeige sich eine konstruktive Verwirrung: eine Haltung der Hoffnung gründe demnach immer schon auf dem Wissen um die Unmöglichkeit dieses Unterfangens.
Mit den konkreten Folgen existenzieller Anstrengungen befasst sich Ines Walter in ihrer psychotherapeutischen Praxis und als Aktivistin im Netzwerk Psy4f. In ihrem Vortrag über ein Leben in Widersprüchen wies sie nach, inwiefern die Klimakrise auch als psychologische Krise zu verstehen ist und belegte ihre These durch die psychischen Belastungen kriminalisierter Klimaaktivist*innen, mit denen sie bei ihrer Arbeit konfrontiert werde. Die Referent*innen selbst ebenso wie zahlreiche Gäste aus dem Publikum erinnerten immer wieder auch an die Grenzen menschlicher Zuversicht, Gelassenheit und Anpassungsfähigkeit.
Umso dankbarer reagierte das Publikum auf ein Angebot der Theaterpädagogin Susanne Schmitt. Sie sorgte mit einem Mini-Workshop für plötzliche Heiterkeit für Leichtigkeit und Bewegung. Auf diese Weise konnten sich die Teilnehmenden ganz praktisch davon überzeugen, wie wichtig soziale Interaktion und gemeinsam zu lachen für psychisches Wohlbefinden sind.
Astrid Hackel
Die Tagung fand am 11. Oktober 2024 im Nachbarschaftshaus Urbanstraße statt. Sie wurde von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert. Die Veröffentlichung eines Tagungsbandes ist für 2025 geplant. Nichts mehr verpassen? Abonnieren Sie unseren Newsletter.