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"Waffen nieder oder Waffen liefern?". Ein Tagungsbericht

„Waffen nieder oder Waffen liefern? Pazifismus gestern und heute“ lautete der Titel der Tagung, die wir im Rahmen des diesjährigen Dialogs der Weltanschauungen am 13. Oktober im Nachbarschaftshaus Urbanstraße veranstaltet haben. Er nahm Bezug auf den berühmten Roman von Bertha von Suttner, deren 180. Geburtstag wir mit dieser Tagung würdigen wollten. Bezugnehmend auf den Krieg in der Ukraine sowie auf die gegenwärtige Eskalation im Nahen Osten haben wir kontrovers, jedoch respektvoll und differenziert über Krieg und Frieden diskutiert – mit geladenen Expert*innen aus Geschichte, Philosophie, Politik- und Kulturwissenschaft sowie mit Teilnehmer*innen aus dem Publikum.

Nach der Eröffnung durch Astrid Hackel und Ralf Schöppner von der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg stellte Johann Georg Lughofer, Autor des im Frühjahr 2024 erscheinenden Humanistischen Porträts „Bertha von Suttner – Pazifistin und Freidenkerin“, dem Publikum eine politisch vielseitige Friedensnobelpreisträgerin vor. Bertha von Suttner kämpfte nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen Klerikalismus, Nationalismus und Antisemitismus. Sie engagierte sich für die Gleichberechtigung von Frauen und als Tierrechtlerin. In einer Zeit des Militarismus und der Verherrlichung männlichen Heldentums forderte Suttner, so Lughofer, den Abbau von Feindbildern, Friedenserziehung, die Vereinigung Europas, internationale Kooperationen und Schiedsgerichte. Lughofer sieht ihr Vermächtnis im heutigen Völkerrecht und der UNO, in Waffenverboten und interkultureller Kommunikation.

Der Historiker Heiner Thurm untersuchte Bertha von Suttners‘ Stellung in der Frauenbewegung ihrer Zeit und charakterisierte sie als ambivalent. Zum einen sei Bertha von Suttner von vielen Frauen bewundert und als Gleichgesinnte empfunden worden. Zum anderen aber passten ihr Widerstand gegen kirchliche Dogmen und ihre eher freizügigen Ehevorstellungen kaum zur bürgerlichen Frauenbewegung, so der Historiker aus Leipzig.

Daran knüpfte die Historikerin Henriett Kovács von der Andrássy Universität Budapest unmittelbar an, indem sie nachwies, dass die europäische Friedensbewegung bereits in ihren Anfängen widersprüchlich war. Kovács sprach über das erstaunliche Phänomen des „patriotischen Pazifismus“, das im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert das nationalistische Milieu in Österreich-Ungarn prägte. Suttners Kritik daran führte zu einer politisch-medialen Kampagne gegen sie, was wiederum illustriere, so Kovács weiter, wie ernst die nichtpatriotische Pazifistin von ihren Gegnern genommen wurde.

In der den Vormittag beschließenden Publikumsdiskussion hatte der Philosoph Wilfried Hinsch mit seiner Frage an die drei Historiker*innen schon zu den Themen des Nachmittags übergeleitet: „Hat Bertha von Suttner je darauf geantwortet, dass es in der realen Welt zu Situationen kommen kann, in denen man sich mit Waffen verteidigen muss?“ Mit Blick auf den ungarischen „patriotischen Pazifismus“ konnte das Thema des Nachmittags in provokanter Weise zugespitzt werden: „Friedensliebe und Humanismus stehen der opferbereiten Treue zur westlichen Wertegemeinschaft nicht entgegen.“

In einem so informierten wie leidenschaftlich vorgetragenen Friedensplädoyer machte der Politikwissenschaftler Hajo Funke im zweiten, auf aktuelle Konflikte Bezug nehmenden Teil der Tagung deutlich, dass der Weg zu einem nachhaltigen Frieden in der Ukraine – ebenso wie im Nahen Osten – nur über Verhandlungen führen könne. Mit Blick auf die Ukraine ging er auf die diplomatischen Bemühungen ein, die im März 2022 beinahe zu einem Ende des Krieges geführt hätten. Das Scheitern dieser Initiative sei kein Argument gegen die Priorisierung von Verhandlungen, sondern die Grundlage für eine umfassende, selbstkritische und die Perspektive der Gegenseite mitreflektierende Problemanalyse. Schon Bertha von Suttner habe über eine komplexe friedenspolitische Agenda verfügt. Ihr positives Menschenbild sei – wie im ersten Teil der Tagung zur Diskussion gestellt – keineswegs naiv, sondern vorbildlich und darin hochaktuell. Ihren Versuch, dem Wahnsinn des Krieges etwas entgegenzusetzen, würdigte Funke in aller Deutlichkeit und verlieh ihm vor dem Hintergrund gegenwärtiger Kriege Nachdruck. Was wir bräuchten, seien hochkarätige Emissär*innen in Moskau, Kiew, Peking, Johannesburg und weiteren politisch bedeutsamen Zentren.   

Wilfried Hinsch, bis zu seiner Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie an der Universität zu Köln, widersprach Hajo Funke mit seiner Auffassung, dass es nicht um Verhandlungsbereitschaft an sich gehe, sondern immer nur um die Frage des ‚richtigen‘ Zeitpunkts – und dieser sei mit Blick auf die Ukraine gegenwärtig nicht in Sicht. Pazifismus als radikale Haltung verortete er historisch im 19. und frühen 20. Jahrhundert, das nationalistisch und militaristisch geprägt sei. Spätestens mit den Erfahrungen des 1. (und 2.) Weltkrieges habe sich ein solcher Pazifismus überlebt; schließlich sei die Ablehnung des Krieges mittlerweile weitestgehend Konsens („common sense“). Zwar könne man nun von einem „moderaten Pazifismus“ sprechen, doch führe dies zu einer unnötigen Aufweichung eines mit Christentum und Gandhi assoziierten Auffassung eines absoluten Gewaltverbots. Hinsch formulierte drei Thesen: (1) Der Pazifismus sichere nicht den Frieden, sondern verhindere einen wirksamen Schutz grundlegender menschlicher Rechte. (2) Alle Staaten seien verpflichtet, nach besten Kräften weltweit zum Schutz der grundlegenden Rechte von Menschen beizutragen, und (3) militärische Gewalt zum Rechtsschutz & zur Friedenssicherung dürfe nur dann eingesetzt werden, wenn die Bedingung der Verhältnismäßigkeit des Gewalteinsatzes erfüllt sei. Hinsichtlich der Frage militärischer Mittel plädierte Hinsch auf Verhältnismäßigkeit und führte als Bedingungen an, dass die zu erwartenden Opfer eines militärischen Gewalteinsatz nicht größer sein dürften als der dadurch erzielte Zugewinn an Rechtsschutz und Friedenssicherung. Zudem stelle sich die Frage des Gewalteinsatzes erst, wenn unter den gegebenen Umständen ein erfolgreicher Schutz grundlegender Rechte praktisch unmöglich erscheine.

Dies stellte sich in der darauffolgenden Diskussion auch als Konsens heraus, insofern sich das Pazifismusverständnis von einem eher gesinnungsethischen zu einem eher verantwortungsethischen (pragmatischen) weiterentwickelt habe. Uneinigkeit herrschte jedoch weiterhin bezüglich der Frage, wann der (richtige) Zeitpunkt sei, mehr auf Verhandlungen zu setzten, um mehr Menschenleben zu retten, d.h. auch ihrem (Menschen-)Recht auf Leben gerecht zu werden.  

Die Ethnologin und Pädagogin Renate Haas war kurzfristig für die aus persönlichen Gründen ausgefallene Referentin Lena Luisa Leisten vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg eingesprungen und brachte eine völlig neue Perspektive in die Diskussion ein: Sie stellte 10 Thesen zum „Versagen der Diplomatie“ vor, um zu ergründen, warum es so schwierig sei, „unerbittliche Gewaltspiralen zum Stillstand zu bringen“. Sie stellte die psycho-historische „Kulturarbeit“ an den vergangenen Kriegs- und Gewalttraumata als eine weitere, sehr wichtige friedensstiftende Idee und Methode dar. Dieser Weg sei langwierig, weil er bei der Erziehung und Bildung nachfolgender Generationen einsetzt, aber auch der nachhaltigste, so Haas. Damit knüpfte sie an Suttners „Friedenserziehung“ an. Die Bereitschaft zur Arbeit am kulturellen Gedächtnis, hier verwies Haas auf die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel, sei die notwendige Voraussetzung nicht nur für die eigene Geschichtsbewältigung, sondern auch für ‚echte‘ Diplomatie. 

In der anschließenden Podiums- und Publikumsdiskussion wurde die sich durch die gesamte Tagung ziehende Frage nach dem bzw. den Menschenbildern in Bezug auf Krieg und Frieden wieder aufgegriffen und von den Diskutierenden weiter präzisiert. Hajo Funke bekräftigte seine Auffassung, dass das Festhalten an einem positiven Menschenbild keineswegs naiv sei, sondern die Voraussetzung für eine diskursive und aktive Friedensarbeit. Renate Haas entwarf den Menschen hingegen als ein ambivalentes Wesen, das an sich arbeiten müsse, um die eigenen Unzulänglichkeiten nicht auf andere zu projizieren und dort zu bekämpfen. Auch Wilfried Hinsch differenzierte, indem er auf individueller Ebene durchaus an einem positiven Menschenbild festhielt, bezogen auf größere Gebilde – Staaten und Kollektive – jedoch Skepsis äußerte.

Es entwickelte sich ein reger und inspirierender Austausch mit dem Publikum, wobei unter anderem gefragt wurde, was wir konkret tun können, um mehr Frieden zu schaffen und wie wir diese Aufgabe gemeinschaftlich angehen können. Als bemerkenswert erschien eine Initiative von Renate Haas, die Begegnungen zwischen ukrainischen und russischen Exilbürger*innen organisiert, um so konkret wie exemplarisch einen Dialog herbeizuführen und Perspektiven für die Zeit nach dem Krieg zu entwickeln.

Die Tagung schloss mit der Ausstrahlung der frühen Verfilmung von Bertha von Suttners berühmtem Antikriegsroman „Die Waffen nieder!“ aus dem Jahr 1914, die von den Musiker*innen Veronika und Aisha Otto live begleitet wurde.

 

Die Tagung im Rahmen des Berliner Dialogs der Weltanschauungen wurde gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Beteiligte Organisationen waren der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg KdöR, die Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg, die Gruppe Säkularer Humanismus an Berliner Hochschulen, die Säkulare Flüchtlingshilfe Berlin, der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten und die Humanistische Akademie Berlin-Brandenburg.