Mehr als 40 Jugendliche tummelten sich am 9. Juni im Berliner Haus des Humanismus. Die Evangelische Akademie zu Berlin und die Humanistische Akademie Berlin-Brandenburg hatten gemeinsam eingeladen zum Aktionstag „Wer bewegt die Stadt? Jugend und Protest in Berlin“. Erstaunlich war nicht nur die Vielfalt der Themen, sondern auch die Vielfalt der Jugendlichen selbst: Das Spektrum reichte von der Antifa über Fridays for Future bis hin zu Mitgliedern der Jungen Liberalen.
Zum Auftakt berichteten Flo, Ruya, Gert und Olchi von der Wuhlheide-Besetzung im Mai 2023: „Bambule in der Wuhle“. Standesgemäß kreativ vermummt, ohne Klarnamen aber mit Pronomen: Die politischen Aktivist*innen hatten fünf Tage lang in Baumhäusern, Hängematten, Zelten und auf Plattformen für die Verhinderung der A 100 und der Tangentialverbindung Ost (TVO) protestiert. Ihr Engagement gegen Rodung und Flächenversieglung sei Teil ihres größeren Kampfes für eine von Unterdrückung und Ausbeutung befreite Gesellschaft. Ihr Beitrag traf im Publikum auf breit geteilte Wertschätzung ihres Engagements und zugleich kritische Rückfragen: „Sprecht ihr denn auch mit den Politikern, die entscheiden?“, wollte eine Aktive des Kinder- und Jugendparlamentes wissen. Lilia Usik, jugendpolitische Sprecherin der CDU, machte ein freundliches Gesprächsangebot und verwies auf Interessen der Anwohner*innen, mit denen sie im Gespräch sei. In Nebengesprächen wurde später deutlich, dass viele Jugendliche sehr skeptisch sind gegenüber Politiker*innen: „Ich glaube denen einfach nicht mehr.“
In vier Workshops diskutierten die Jugendlichen dann über eine breite Themenpalette:
- Ziviler Ungehorsam und Klimagerechtigkeit: Wie weit kann, darf, soll Klimaaktivismus gehen?
- Argumentationstraining: Schlagfertig gegen Diskriminierung
- Diversität in Kinder und Jugendgremien
- Onlineaktivismus: Werde zum Social-Media-Profi!
Die Klebeaktionen der Last Generation wurden sehr differenziert beurteilt. So gab es zum einen viel Zustimmung für deren Ziele und zum zivilen Widerstand als legitimer Protestform: Der Klimawandel erfordere Proteste, die „auch mal den Alltag unterbrechen“. Zum anderen aber wurde es sehr kritisch gesehen, dass die „Kriminalisierung“ des Protests aktuell mehr Aufmerksamkeit bekomme als das Thema selbst. Befürchtet wurde auch ein Verlust an Zustimmung zu den Klimazielen in der Bevölkerung.
Die Debatten waren geprägt von eindrucksvollem Respekt untereinander. Es wurden eine ganze Reihe von Handzeichen für achtsame Diskussionen vereinbart, es gab Vorstellungsrunden, jede/r sollte zu Wort kommen. Unterschieden wurde sorgfältig zwischen Auseinandersetzung in der Sache und Wertschätzung von Person und Engagement. Man stelle sich vor, es sitzen Erwachsene zusammen: evangelische, humanistische, Grüne, Sozialdemokraten, Linke, Liberale, gremienaffine und außerparlamentarisch Aktive. Es bleibt zu hoffen, dass auch dort eine ähnliche Gesprächskultur der vielen Verschiedenen möglich ist.
Beim Markt der Möglichkeiten gaben Mitglieder verschiedener Gruppen Einblicke in ihre ehrenamtliche Arbeit und berichteten von konkreten Protestaktionen: Darunter soziale Bewegungen und Initiativen wie Fridays for Future, Deutsche Wohnen & Co enteignen, BUNDjugend, Jugendverbände wie die Jungen Humanist_innen, die Werkstatt der Evangelischen Akademie TROTZDEM!, Parteijugendorganisationen wie die Jusos und Linksjugend [‘solid] sowie Mitglieder von Kinder- und Jugendparlamenten verschiedener Berliner Bezirke. Schön zu beobachten war, dass nicht nur Gespräche mit interessierten Besucher*innen geführt wurden, sondern dass es auch zu einem regen Austausch zwischen den verschiedenen Initiativen kam.
Ponyo & Viola vom jup!Berlin, dem Informations- und Beteiligungsportal für Jugendliche und von Jugendlichen, sammelten Wünsche und Forderungen von Teilnehmenden an die Politik und veröffentlichten sie auf ihrem Instagram-Kanal, um diesen politischen Stimmen Gehör zu verschaffen und so zu intensiveren Auseinandersetzungen, Diskussionen und politischer Teilnahme einzuladen.
Darüber hinaus gab es Disco & Funk von DJ angelbutterfly, ein internationales Buffet, kreativen Taschen-Druck (um die Message weiter zu tragen) und Ausschnitte aus dem Film „Aufschrei der Jugend! Fridays for Future Inside“ in Anwesenheit der Regisseurin Kathrin Pitterling.
Die Veranstaltung wurde gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung. Veranstalter und Gäste gingen in der Hoffnung auseinander, dass es in Zukunft weitere Aktionstage dieser Art gibt, die vormachen: Weltanschaulich-religiöse, politische und soziale Differenzen können produktiv und lösungsorientiert sein.