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  • Manfred Isemeyer sprach über Jugendfeiern zwischen Tradition und Moderne
    Manfred Isemeyer sprach über Jugendfeiern zwischen Tradition und Moderne

Tagunsgbericht | Glück und Elend des Erwachsenwerdens

Glück und Elend des Erwachsenwerdens – Eine Tagung zu 170 Jahre JugendFEIER und Jugendweihe

Humanistische Akademie und Humanistischer Verband hatten am 2. und 3. September 2022 gemeinsam ins Haus des Humanismus eingeladen. 25 Gäste diskutierten mit 10 Referent*innen aus Wissenschaft und Praxis über ein Ritual, das nicht nur aktuell viel weiter verbreitet, sondern geschichtlich auch viel älter ist, als allgemein angenommen. In lebhaften Diskussionen ging es vor allem um das werthaltige Fundament der JugendFEIER wie um ihre aktuelle Relevanz für die Jugendlichen und die Gesellschaft.

"Gute Protestanten, die nicht an Gott glauben"

Manfred Isemeyer von der Humanismus Stiftung Berlin erinnerte im Eröffnungsvortrag am Freitagabend an die wechselvolle Geschichte der Jugendweihe/JugendFEIER, die im öffentlichen Bewusstsein allzu oft auf ihre staatsnahe Gestalt in der DDR reduziert wird. Schon in Kaiserreich und Weimarer Republik gab es Jugendweihen als christlichen Ersatzritus und Jugendfeiern als nichtreligiöses Ritual. Begangen wurde der Übergang in die Erwachsenenwelt nicht nur als reine private Familienfeier, sondern zumeist mit einer Dimension gesellschaftspolitischer Verantwortungsübernahme durch die neuen Erwachsenen. Isemeyer plädierte für den Ausbau eines solchen wertevermittelnden Angebotes heute, sonst würden das "Eventim und die Rolling Stones übernehmen". 

Im Gespräch mit Olaf Schlunke, dem Archivar des Kulturhistorischen Archivs des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, teilten Nina Hentschel und Andrea Käthner-Isemeyer ihre positiven Erinnerungen an die eigene Jugendfeier 1999 in Hannover bzw. Jugendweihe 1972 in Ostberlin. Es sei schön und wichtig gewesen, diesen Übergang bewusst zu feiern, der Vorbereitungsunterricht sei sehr abwechslungsreich gewesen, auf den Wochenendfahrten hätte man das Miteinander als selbstständige Erwachsene eingeübt. Wertevermittlung, so Hentschel, sei das eher implizit und unbewusst gewesen und deren Bedeutung werde erst in der Erinnerung richtig deutlich.

Steffen Weusten, evangelischer Pfarrer und Dozent für die Arbeit mit Konfirmand*innen, erheiterte das Publikum mit seinem Eindruck, dies sei hier anscheinend "eine Versammlung von guten Protestanten, die nicht an Gott glauben". Er hob für seine Arbeit den 1 ½ Jahre dauernden Konfirmandenunterricht gegenüber dem eigentlichen Ritual hervor: Man lerne sich gut kennen und er könne konstant ein offenes Ohr für die Bedürfnisse und Interessen der Jugendlichen haben. Er schloss mit der Idee einer pluralistischen, religions- und weltanschauungsübergreifenden gemeinsamen Vorbereitungszeit, auf die dann die jeweilige Entscheidung der einzelnen Jugendlichen für dieses oder jenes Bekenntnis folgen könne. So würde man Vielfalt und Dialog nicht nur beschwören, sondern leben.

Aus der anschließenden Podiumsdiskussion entwickelte sich sehr schnell eine rege Publikumsdiskussion. In deren Zentrum stand die kritische Frage nach Sinn und Inhalt solch jugendlicher Übergangsrituale: Wollen Jugendliche das heute überhaupt oder suchen sie etwas Anderes? Aus dem Publikum meldeten sich viele Praktiker*innen zu Wort, die selbst in verschiedenen Bundesländern entsprechende Feiern veranstalten. Einig war man sich weitgehend bei der doppelten Funktion, die die Feiern inklusive Vorbereitungsprogramme haben sollen: wertvolle persönliche Erfahrungen für die Einzelnen und kollektive Einübungen in werthaltige Prozesse sozialen Miteinanders und gesellschaftlicher Integration. Zum Ausdruck kam ein Konsens in Bezug auf deren demokratiebildende Funktion, implizit so etwas wie ein pluralisierter Böckenförde, der dies 1964 in seinem berühmt-berüchtigten Diktum ja mit eingeschränktem Blick nur auf die christlichen Kirchen, insbesondere die katholische, formuliert hatte.

Weniger einig waren sich die Redner*innen bei der Bewertung bestehender Angebote. Für die einen entbehrten Kurse im Vorbereitungsprogramm wie "Taekwondo" oder "Jazzdance" jeder wertebildenden, gesellschaftspolitischen Relevanz; andere verwiesen auf die darüber hinaus gehende Vielfalt des Angebots und betonten, Werte wie Selbstbestimmung und Verantwortung könne man implizit sowieso in jedem Kurs üben, wo Menschen es miteinander zu tun bekommen. Hier wäre es für die Diskussion sicherlich fruchtbar gewesen, wenn sich mehr Jugendliche und Eltern beteiligt und ihre Standpunkte zur Sprache gebracht hätten. Sehr wahrscheinlich hätte sich so mancher Jugendlicher dabei auch an der Selbstverständlichkeit gestoßen, mit der die älteren Generationen davon auszugehen scheinen, sie hätten die "richtigen Werte" zur Weitergabe an die Jüngeren parat. Seit Fridays for Future und anderen Jugendinitiativen gibt es ja durchaus auch einen Strang in den öffentlichen Generationendebatten bis hin zur Kritik am "Adultismus", der vielleicht genauso eine "Altenweihe" nahelegen würde.  

Zwischen Selbstbestimmung und Impulsen von anderen

Den zweiten Tag eröffnete die Ritualforscherin Julia Prescher, die Jugendweihen in Sachsen-Anhalt ethnografisch begleitet hat. Besonders eindrücklich war für die Zuhörer*innen ihre mikrologische Schilderung des vorabendlichen Rundgangrituals. Die Jugendlichen erleben dort ganz konkret neue Freiheiten und Verantwortung: Sie sollen den Ort des Rundgangs gemeinsam selbst bestimmen; er findet ohne Erwachsene statt, die den Ort nicht kennen dürfen; sie dürfen so lange wegbleiben, wie sie wollen, inklusive Alkoholgenuss; sie müssten miteinander klarkommen und verantwortungsvoll darauf achten, dass sie zur Feier am nächsten Tag wieder fit seien. Prescher fragte, ob nicht die Jugendweihe ein Ort des produktiven Streits sein könne, auch zwischen den Generationen: Die Jugendlichen wollen neue Freiheiten, die Älteren wollen sie zu neuen Verantwortlichkeiten bewegen. So sei z.B. auch das Einladen der Gäste eine herausfordernde Aufgabe für die Jugendlichen, bei der sie normative Familienvorstellungen mit eigenen Wünschen vermitteln müssen. Gleiches gelte für die Auseinandersetzungen um angemessene Kleidung: Die einen wollen, dass das Erwachsenwerden sichtbar wird, die anderen möchten sich eigentlich gerne in ihren normalen Sneakers oder gar der Jogginghose zeigen.

Christian Lisker, Theologe, Therapeut und beim Humanistischen Verband zuständig für die Feierkultur, warf neben vielem anderen auch einen bezeichnenden Blick auf das Elend des Erwachsenwerdens: Empirisch sei gesichert, Kinder finden durchschnittlich bis zu 400 Anlässe zum Lachen oder Kichern an einem Tag, Erwachsene ganze 15. Der kulturgeschichtlichen Abwertung des Lachens, nicht zuletzt in den Religionen, stellte er eine Kunst der Heiterkeit als humanistische Grundhaltung entgegen. So würden auch Eltern beim Erwachsenwerden ihrer Kinder mit Humor sehr gut fahren: Gemeinsames Lachen schafft Nähe, kann konfliktbegrenzende Wirkung entfalten und sogar Sorgen lindern. Dazu gehöre auch die Kompetenz, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Lisker erinnerte an die Inschrift einer alten babylonischen Tontafel, auf der bereits eine harte Kritik der Älteren an der Jugend formuliert wurde: Das ist also eine alte und nicht sehr originelle Klage. Allerdings sei die wahre Heiterkeit durchaus eine ernste Sache (Seneca), bedeute sie doch keineswegs ein Weglächeln der Sorgen und Leiden menschlichen Lebens.

Hatte es am Vorabend auch kritische Stimmen in Bezug auf ein womöglich mangelndes gesellschaftspolitisches Profil mancher gegenwärtiger Jugendfeiern gegeben, so berichtete die Referentin von JugendFEIER Berlin, Anne-Kathrin Griese, von der ihr durchaus entgegenschlagenden Kritik, die Feiern seien zu sehr politisch aufgeladen. Sie betonte vor allem die Notwendigkeit eines Wandels der Jugendfeiern: Es ginge nicht darum, dass den Jugendlichen etwas weiterzugeben sei, sondern darum, ihnen Raum für ihre eigene Entfaltung zu geben. Griese sprach anscheinend auch ganz bewusst nicht von "Wertevermittlung", die ja begrifflich eine hierarchische Asymmetrie suggeriert, sondern von "Wertefindung", die eher einen offenen gemeinsamen Prozess akzentuiert.   Dass viele Jugendliche und Eltern Jugendfeiern haben wollen, sei ihr 2020 nochmals besonders deutlich geworden, als die coronabedingten Absagen für zahlreiche Beschwerden und eine außerordentlich engagierte Suche sogar nach digitalen Ersatzformaten sorgten. 

Bei der die Tagung abschließenden Podiums- und Publikumsdiskussion war mit Bennett Fischer ein Jugendlicher zu Gast, der erst 2017 seine Jugendfeier absolviert hat. Er benannte ein entscheidendes Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung einerseits und Impulsen von anderen andererseits. Jugendliche wollen nicht zur irgendetwas überredet werden oder dass ihnen gar irgendwelche Werte von den Älteren "aufgequatscht" werden. Gleichzeitig gestand er freimütig, wie er zur ersten Jugendfreizeit im Rahmen des Vorbereitungsprogramms durchaus "hingeschickt" wurde, erst zu den nächsten sei er dann gerne und freiwillig gegangen. Neben Fischer bereicherte auch die stellvertretende Vorsitzende des Landeselternausschusses Berlin die Abschlussdebatten. Dörthe Engelhardt berichtete, Eltern hätten besonderes Interesse auch an den Themen der Vorbereitungsprogramme aber häufig nicht das Wissen, wo man die entsprechenden Informationen dazu bekommt. Auch würden Eltern zumeist die weltanschaulichen Hintergründe von Adoleszenz-Ritualen gar nicht kennen. Wünschenswert sei aus Ihrer Sicht, diese im Schulunterricht zu behandeln. In Bernau bei Berlin nehmen jährlich 80% der Achtklässler – ca. 1000 Jugendliche – an der JugendFEIER des Humanistischen Verbandes teil, so Chris Greunke aus dem Vorstand der Jungen Humanist*innen. Mit seiner Bemerkung, dass die JugendFEIER nicht nur der eine Tag, sondern das gesamte Programm sei, schloss sich ein Kreis zur Diskussion am Freitagabend.

Die weitere Diskussion war weitgehend geprägt von einer Vertiefung der an beiden Tagen aufgekommenen Fragen und Themen. Eine Vielzahl der Gäste beteiligte sich, dies mit zum Teil sehr unterschiedlichen Zugängen und Perspektiven und bis weit über die von den Veranstaltern angesetzte Zeit hinaus. Deutlich wurde insgesamt ein doppelter Bedarf. Zum einen wollen ganz offensichtlich die vielen anwesenden Praktiker*innen, die JugendFEIERN in Berlin, Brandenburg oder z.B. auch Köln durchführen, ihre Intentionen, Konzepte und Herausforderungen öfter und intensiver miteinander diskutieren, d.h. hier müsste es in Zukunft und am besten regelmäßig spezifischer zugeschnittene Folgeangebote für Praktiker*innen geben. Zum anderen aber sind sicherlich auch die Anschlüsse zu den intergenerationalen Debatten der Gegenwart auf zukünftigen wissenschaftlichen Tagungen zu vertiefen, unter weiterem Einbezug von Sozial-, Ritual- und interdisziplinärer Jugendforschung. 

 

Ralf Schöppner