Eine Reportage von TOBIAS EẞER
Durch die Coronapandemie ist es bedeutend schwieriger geworden, Menschen mit praktischen humanistischen Angeboten wie etwa der Lebensbegleitung und Beratungen zu erreichen. Einrichtungen mussten zeitweise schließen, manche Teile des Lebens verlagerten sich ins Internet.
Umso wichtiger ist es, dass sich engagierte Mitarbeiter_innen im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg nicht von den Widrigkeiten der Pandemie unterkriegen lassen und neue, praxisorientierte Projekte angehen. Eine dieser Mitarbeiter_innen ist LUISE SCHIRMER. Die studierte Politikwissenschaftlerin arbeitet seit 2019 im Verband und wurde mit dem Auftrag angestellt, ein Mitgliederbüro aufzubauen und zu entwickeln. Mit dem Haus des HUMANISMUS, das in einem ehemals besetzten Haus im Norden Schönebergs entsteht, soll dieses Projekt in die Tat umgesetzt werden.
Luise Schirmer erzählt von den Anfängen des Projekts: "Wir haben das Objekt im August 2019 das erste Mal angesehen und im Oktober 2019 den Mietvertrag unterschrieben." Nachdem im Verband der Bereich Engagement und Kultur gebildet wurde, sei STEFANIE KRENTZ zum Projekt hinzugestoßen und habe das Konzept des Hauses weiterentwickelt.
Die Idee eines Humanistischen Treffpunkts ist schon älter
Die Idee zu einem Ort, an dem sich Mitglieder des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg treffen können, gibt es schon länger. Schirmer erklärt: "Eltern von Lebenskundeschüler_innen haben immer wieder gefragt, ob es nicht ein Haus oder einen Laden gibt, in dem man sich über Humanismus informieren kann. Und das hatten wir halt nicht."
Das Haus des HUMANISMUS soll dabei mehr sein als nur ein schnödes Büro für Mitglieder des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg. "Einerseits", erklärt Luise Schirmer, "soll es ein Begegnungs- und Kulturraum für alle unsere Freund_innen sein. Aber es soll natürlich auch ein Ort sein, um sich mit humanistischen Ideen auseinanderzusetzen."
Das schätzt auch ALEXANDER BISCHKOPF an dem neuen Projekt. Der promovierte Historiker ist seit 2017 Referent für Weltanschauung im Verband. Eine Einrichtung wie das Haus des HUMANISMUS gebe es bisher noch nicht, erklärt er. "Es ist eine offene Einrichtung, man kann dort ohne bestimmtes Ziel hingehen. Ich will jetzt das Wort 'Gemeindezentrum' nicht in den Mund nehmen, aber im Prinzip erfüllt das Haus des HUMANISMUS eine ähnliche Funktion", sagt der Historiker und hat dabei ein verschmitztes Grinsen im Gesicht. "Dort kann ich Gleichgesinnte treffen und der Verband kann dort alle möglichen Veranstaltungen abhalten."
Seit 2019 entsteht das Haus des HUMANISMUS
Damit die Idee vom offenen Treffpunkt bald Realität werden kann, wurde seit 2019 viel am Haus des HUMANISMUS gearbeitet. 2020 wurde klar, dass die Umbauarbeiten noch eine ganze Weile dauern würden. Gemeinsam mit dem Designkollektiv Hellograph entstand die Idee, die Fassade zu gestalten, um auf die kommende Nutzung und die Inhalte in der Nachbarschaft hinzuweisen. Kurzum wurde das Objekt von außen mit den Themen aus dem Freund_innen-Magazin beklebt und das unfertige Haus als "Urban Magazine" genutzt. So wollten die Mitarbeitenden die Zeit während der Pandemie nutzen, um vorbeilaufende Passant_innen anzusprechen und für humanistische Themen zu sensibilisieren. Vor der Eröffnung des Haus des HUMANISMUS im Jahr 2022 ändert sich das Fassadenkonzept allerdings noch einmal. Dann soll das klassische Blau des Verbandes zusammen mit weiteren Farben der Abteilungen die Fassade prägen. "Durch die Farbgebung wollen wir zeigen, wie vielfältig der Verband und seine Freund_innen sind", erzählt Stefanie Krentz.
Zum Ende des Jahres konnte in der Leipziger Straße ein weiteres Objekt, ein Ladengeschäft, günstig angemietet werden. Mit der Ausrichtung als Anlauf- und Beratungsangebot zum Thema Humanistische Lebensbegleitung entsteht dort ein zweites Haus des HUMANISMUS in Berlin-Mitte. "Unter dem Motto ‚Es ist mein Leben‘ werden hier zukünftig alle Angebote der Lebensbegleitung unter einem Dach gebündelt", so Stefanie Krentz.
Humanismus muss Orte der Begegnung schaffen lernen
Orte wie das Haus des HUMANISMUS sind für den Verband und den modernen Humanismus elementar, sagt auch Alexander Bischkopf. Denn dem Humanismus hänge ein elitärer Touch an. "Wenn man sagt 'Wir sind für die Menschen da', losgelöst von sozialen Beratungs- und Dienstleistungseinrichtungen aber keine Anlaufstellen und Orte der Begegnung anbietet, fehlt offensichtlich etwas." Der Humanismus müsse vor allem in Berlin und Brandenburg weiter Erfahrung sammeln, um Orte für die Gemeinschaft und für die Begegnung mit Gleichgesinnten zu schaffen.
Hier spiele die Vergangenheit des Landesverbandes eine Rolle, erklärt Alexander Bischkopf. "Anders als andere Landesverbände kommen wir nicht aus einer freireligiösen Tradition, die die Organisation um eine Gemeinde herum kennen. Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg ist aus dem Deutschen Freidenkerverband hervorgegangen", sagt der Historiker. Die soziale Anbindung der damaligen Mitglieder war stark mit der Sozialdemokratie verzahnt. "Man war SPD-Mitglied, in einer Gewerkschaft und Freidenker", erklärt Bischkopf. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe der Verband lernen müssen, neue Orte der Begegnung zu schaffen. "Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Orte wie das Haus des HUMANISMUS entstehen", freut sich Alexander Bischkopf.
Früher war das Haus noch besetzt
Die Vergangenheit spielt auch bei der Gestaltung des Haus des HUMANISMUS eine wichtige Rolle – in den 1980er-Jahren war es noch besetzt. "Es war einer der Ankerpunkte der linksalternativen Szene", erklärt Schirmer. "Ein Teil des Bermudadreiecks, bestehend aus zwei Kneipen und einem Schallplattenladen." Außerdem gebe es Verbindungen von Menschen, die den Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg mit aufgebaut haben – "die kennen das Haus noch aus der Zeit, in der es noch Straßenschlachten gab", erinnert sich Luise Schirmer. Diese Vergangenheit haben die Mitarbeiter_innen während des Umbaus des alten Hauses entsprechend gewürdigt.
An den Wänden hängen Bilder aus der Zeit der Besetzung – und auch die mögliche Nutzung des Hauses als Vorbereitungsort für Demonstrationen dürfte den Idealen der alten Besetzer_innen entsprechen. Nach der Einweihung im Jahr 2022 wird das Team im Haus des HUMANISMUS endlich die praktische Arbeit aufnehmen können. Für den Verband ist das Haus eine gute Möglichkeit, um im Kiez sichtbarer zu werden. "Aus einer weltanschaulichen Perspektive ist das Haus des HUMANISMUS unglaublich wichtig", erzählt Alexander Bischkopf. "Frieder Otto Wolf hat mal den Satz 'Humanismus erweist sich in der Praxis' gesagt", fügt der Historiker hinzu. Und das stimme auch. Denn "ein reiner Debattierclub verändert die Welt nicht", fügt er hinzu.
Einen Ort des Humanismus gibt es jetzt auch in Bernau
Nicht nur in der Metropole Berlin ist der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg sichtbarer und seine Arbeit praxisorientierter geworden. Auch in der Peripherie, genauer gesagt in Bernau, gibt es einen neuen Ort, an dem der Humanismus zuhause ist. Bereits im Jahr 2020 eröffnete der Regionalverband Nordbrandenburg eine Geschäftsstelle in der Berliner Straße. Die Lage ist nahezu perfekt – mitten in einer belebten Einkaufsstraße.
Trotzdem war die Unternehmung des Regionalverbandes nicht ohne Risiko. "Wir haben quasi mitten in der Pandemie eine Geschäftsstelle eröffnet", erzählt CHRIS GREUNKE. Er ist Geschäftsführer des Humanistischen Verbandes Nordbrandenburg. "Durch die Lage in der Berliner Straße können wir endlich in die Gesellschaft hineinwirken", führt er aus. Lange habe der Regionalverband nach einer Immobilie in der 42.000-Einwohner_innen-Stadt Bernau gesucht.
In der Berliner Straße sei man dann fündig geworden. In dem kleinen Ladenlokal habe vorher eine Niederlassung der Deutschen Vermögensberatung gesessen, erzählt Greunke. Jetzt gebe es zwei Büroräume und eine kleine Teeküche für die Mitarbeiter_innen – und drei große Schaufensterflächen. "Die eignen sich perfekt, um in Bernau sichtbar zu werden", sagt der Geschäftsführer des Regionalverbandes. "Wir konnten direkt auf die Scheibe schreiben, wer wir überhaupt sind, was wir machen und was wir wollen. Das hat sehr gut funktioniert. Viele Leute sind davor stehengeblieben und haben geguckt." Auch "Laufkundschaft" werde von den Schaufensterflächen angezogen, sagt Greunke. Und fügt hinzu: "Besonders wenn wir dienstags und donnerstags Markt in Bernau haben."
Bernau: Beratungen zur Patientenverfügung in der Geschäftsstelle
Relativ schnell wurde den Mitarbeiter_innen in Bernau allerdings klar, dass auch praktische Verbandsarbeit in der Geschäftsstelle ihren Platz haben müsse. "Wir haben dann angefangen, zusammen mit dem Landesverband Beratungen zum Thema Patientenverfügung umzusetzen. Wir haben nämlich gemerkt, dass ein Bedarf daran besteht und dass wir an unserem Standort in der Berliner Straße die Möglichkeiten haben, diese Beratungen umzusetzen", berichtet Chris Greunke. In der Geschäftsstelle gibt es einen separaten Beratungsraum, an dem Gespräche ungestört durchgeführt werden können. Anfangs seien die Beratungen noch von einer_m Mitarbeiter_in geleitet worden. Im Jahr 2021 habe der Regionalverband allerdings das Beratungskonzept komplett umgestellt, erzählt Greunke stolz. "Eine Kollegin aus dem Landesverband kam dann einmal im Monat aus Berlin nach Bernau und hat Beratungstermine angeboten."
Bei der Bewerbung dieser Termine griffen die Mitarbeiter_ innen auf einen absoluten Klassiker des Öffentlichkeitsmarketings zurück: "Wir haben einfach einen Passantenstopper auf dem Gehweg aufgestellt und das Teil komplett amateurhaft beklebt. Das war eher eine große Collage und kein richtiges Plakat", erinnert sich Greunke lachend. "Darauf haben wir dann die Beratungstermine gepackt – die waren dann auch immer ausgebucht." Das Angebot habe sich vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitet. "Wir waren immer zwei bis drei Monate im Voraus ausgebucht, weshalb die Kollegin vom Landesverband ihre Arbeitszeit verlängert hat und immer ein paar Stunden länger bei uns geblieben ist."
"In der Kleinstadt findet die Arbeit auf einer persönlicheren Ebene statt"
Greunke erzählt von den Unterschieden der humanistischen Arbeit in Berlin und Bernau. "In der Kleinstadt ist es so, dass die ganze Arbeit auf einer persönlichen Ebene stattfinden muss. Im Gegensatz zu Berlin gibt es hier einfach nicht so viele Eindrücke, die man verarbeiten muss. Hier ist es so, dass man einfach in ein Geschäft reinlaufen kann, wenn es einen interessiert", fügt der Geschäftsführer hinzu.
Aktuell spricht das Beratungsangebot zur Patientenverfügung vor allem ältere Menschen an. Das soll sich in Zukunft ändern, erklärt Greunke: "Im Prinzip sollte jeder Mensch über 18 Jahren eine Patientenverfügung haben. Man weiß ja nie, was passieren kann." Jüngere Zielgruppen mit diesem Thema zu erreichen, sei allerdings nicht so einfach. Deshalb versuche man aktuell, jüngere Menschen mit einem anderen Thema anzusprechen. "Kürzlich haben wir vor der Geschäftsstelle eine neue Parkbank aufgestellt. Das ist eine normale Bank mit zwei Sitzplätzen, aber drei Rückenlehnen. Auf der überzähligen Rückenlehne steht 'Kein Platz für Rassismus!'". Dort hielten auch jüngere Menschen an und sprächen über die Bank. "Daneben haben wir einen Flyerständer aufgestellt, an dem sich Menschen über Humanismus und antirassistische Arbeit informieren können."
"Humanismus hat keinen Swag"
Sonst spricht der Regionalverband Jugendliche eher über Jugendklubs an. Dort gibt es zum einen offene Jugendarbeit – Jugendliche können also einfach in die Einrichtungen gehen und ihre Zeit dort verbringen. Zum anderen gibt es Projektangebote: "Ein Projekt ist der Garten, wo wir Kräuter und Gemüse anbauen", sagt Greunke. Die Ernte aus dem Garten werde dann in diversen Koch-AGs verarbeitet. Außerdem gebe es noch die Tanzschule, über die auch der Geschäftsführer zum Verband gefunden hat. Die funktioniere anders als kommerzielle Tanzschulen und ähnele eher klassischer Vereinsarbeit, sagt Greunke: "Man lernt Freund_innen kennen, bleibt länger und trifft sich auch mal am Wochenende mit den Leuten."
Im nächsten Schritt will der Regionalverband die Jugendarbeit weiter ausbauen. "Das ist natürlich schwierig, weil Humanismus keinen Swag hat und nicht klassisch cool ist", lacht Greunke. "Versuch mal, Jugendlichen etwas über die sechs humanistischen Postulate, über Weltlichkeit und Naturverbundenheit zu erzählen." Deshalb soll in Zukunft der Humanismus auch weltanschaulich an Jugendliche herangetragen werden.
Es zeigt sich: Der Humanismus muss sichtbar sein, um Menschen zu erreichen und sie für die eigenen Ideale zu begeistern. Projekte wie das Haus des HUMANISMUS und die Geschäftsstelle in Bernau zeigen das deutlich.
Und sie sind erst der Anfang: Überall in Berlin und Brandenburg baut der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg seine Sichtbarkeit weiter aus. Nur so kann der selbst gestellte Auftrag, Begegnung zu fördern, erreicht werden.