Aktuell auf humanistisch.de

So erlebten Humanist_innen den Katholikentag in Leipzig

Zum 100. Katholikentag, der am Sonntag, den 29. März nach fünf Tagen zu Ende ging, hatte sich die Katholische Kirche mit Leipzig einen schwierigen Standort ausgesucht: In der Universitätsstadt sind nur 20 Prozent aller Einwohner_innen Christ_innen. Das mag ein Grund gewesen sein, warum zahlreiche Veranstaltungen nicht gut besucht waren. Angesichts einer Förderung von einer Millionen Euro durch die überschuldete Stadt Leipzig, muss man aber auch kritisch fragen, ob der Katholikentag nicht im kleineren Rahmen angemessener gewesen wäre. Zu den zahlreichen Veranstaltungen waren auch drei Mitglieder des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg eingeladen worden. Hier geben sie ihre unterschiedlichen Eindrücke wieder.

"Es herrschte Konsens, dass Solidarität und Toleranz die entscheidenden Werte einer guten Gesellschaft sind."

Jan Gabriel, Präsident des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg nahm an der Podiumsdiskussion "...was die Welt im Innersten zusammenhält. Beiträge zur Gestaltung einer guten Gesellschaft" teil. Neben ihm diskutierte u.a. Bischöfin Rosemarie Wenner und Linken-Abgeordnete Susanna Karawanskij.

"Die Podiumsdiskussion an der ich teilgenommen habe, war eine offene, angenehme Runde, in der ich meine Sichtweisen und Gedanken relativ unwidersprochen äußern konnte. Es herrschte Konsens, dass Solidarität und Toleranz die entscheidenden Werte für eine gute Gesellschaft sind, aber es auch eine Grenze für die Toleranz von Intoleranz gibt. Meinen Standpunkt, dass eine Gleichstellung von Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber den Kirchen unumgänglich ist, um der multikulturellen Vielfalt unserer Gesellschaft gerecht zu werden, konnte ich deutlich machen. An den vielen Ständen und Bühnen in der Leipziger Innenstadt fielen mir einige wenige fragwürdige religiöse Plakate auf, aber auch Beiträge, die sich kritisch mit bestimmten Themen auseinandersetzten, etwa "Keine Seelsorge für das Militär". Als Eindruck bleibt ein lebendiger, in Bezug auf Ökumene und Atheismus sehr offener katholischer Kirchentag in Leipzig."

"Hohl, konfliktscheu und harmoniesüchtig"

Gita Neumann, Leiterin der Patientenverfügung und Referentin Lebenshilfe im Verband, nahm den Leipziger Katholikentag kritischer wahr. Zwar lobte sie die sehr offene und angenehme Atmosphäre, doch vermisste sie vor allem den Mut, Differenzen und Konflikte zu benennen und die Lust, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. Ihre Podiumsdiskussion zum Thema "Sterbehilfe oder Sterbebegleitung" erlebte sie folgendermaßen:

"Als eine Art Alibi-Humanistin war ich auf einem sich nur scheinbar streitbar anhörenden Podium zum Thema "Sterbehilfe oder Sterbebegleitung?" eingeladen worden, zusammen mit einer Hospizleiterin, einer Krankenhausseelsorgerin, einem jesuitischen Philosophen und einem Pfarrer. Im Impulsvortrag wurde das würdevolle Sterben im Hospiz vorgestellt, dazu Zitate von Bewohner_innnen, die allesamt den Sterbeprozess als ein friedvolles, schmerzfreies Ereignis darstellten. Aus meinen über 20 Jahren Praxiserfahrung weiß ich aber, dass einer Vielzahl von Menschen leider ein würdevolles Sterben verwehrt bleibt: Nur 20.000 Menschen sterben pro Jahr im Hospiz, ca. 350 000 aber in Pflegeheimen, in denen kaum fachärztliche Versorgung gibt, geschweige denn palliativ- und schmerzmedizinische. Daher hatte ich in den Vorgesprächen angeboten, über einen besonders drastischen Fall eines Schlaganfallpatienten nach Oberschenkenhalsbruch zu berichten. Doch auf dem Katholikentag will davon niemand hören. Ich solle das doch lieber nicht bringen, heißt es – das sei ein Extremfall. Man soll das Publikum nicht "in Panik" versetzen, sondern tröstlich wirken. Also Kuschelkurs: Ja es bleibe auch im Pflegeheim hospizlich noch viel zu tun, hieß es dann im Abschlussstatement. Auf meine Kritik an der Position und Lobbyarbeit der katholischen Kirche, der die strikte Ablehnung von Sterbeverkürzung und damit Leidverkürzung geschuldet ist, gab es sowohl auf dem Podium wie im Publikum Null Reaktion. Es wird so hingenommen - eine Auseinandersetzung findet nicht ansatzweise statt. Mein Fazit: Verständnis aller Orten, Gemeinsamkeiten statt das Trennende bei allen Menschen guten Willens wurden betont - bloß um Himmelswillen keine Konflikte oder Strukturprobleme ansprechen oder sich darüber gar streitbar auseinandersetzen."

(Den ausführlichen Bericht über die Erfahrungen der Angehörigen des Schlaganfallpatienten können sie hier lesen.)

"Interesse am Humanismus"

Ralf Schöppner, Direktor der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg, hat an der Podiumsdiskussion "Religion - m(M)acht – Verfassung. Glauben und gesellschaftlicher Wertekonsens im Spannungsfeld" teilgenommen und erlebte er eine kontroverse und fruchtbare Debatte. Im Zentrum der Diskussion habe die Rolle des Islams gestanden und hier habe es wohlwollende bis sehr kritische Beiträge aus dem Publikum wie auf dem Podium geben. Doch das Publikum sei auch am praktischen Humanismus und an den Positionen des HVDs zum Kirchenrecht interessiert gewesen.

"Religionspolitik und Religionsrecht sind in Deutschland stark auf die beiden großen christlichen Kirchen zugeschnitten. Die Kirchen werden immer noch privilegiert. Mir war wichtig, die humanistische Position deutlich zu machen. Das jetzige Körperschaftsrecht müsste angepasst werden." Für diese Meinung erntete Schöppner Widerspruch aber auch Zustimmung, etwa durch Dr. Katarina Barley, Generalsekretärin der SPD und ebenfalls Podiumsteilnehmerin.

Bei den Veranstaltungen, die Ralf Schöppner erlebte, dominierten aus seiner Sicht beim Katholikentag progressive Meinungen, etwa beim Umgang mit Sexualität, Frauen im Priesteramt usw.