Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Michael Müller,
sehr geehrter Herr Innensenator Andreas Geisel,
sehr geehrte Vorsitzende der Fraktionen von SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP im Berliner Abgeordnetenhaus,
47 unbegleitete minderjährige Geflüchtete zwischen 11 und 15 Jahren aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln Samos, Lesbos und Chios sind am Samstag in Deutschland angekommen. Ca. 39.000 Geflüchtete leben dort weiterhin, darunter 13.000 Kinder und Jugendliche, unter menschenunwürdigen Bedingungen und extremem Infektionsrisiko (COVID-19) – die dramatischen Bilder und Berichte sind uns allen längst bekannt.1 Viele der Geflüchteten sind bereits gesundheitlich geschwächt und psychisch traumatisiert.
Zumindest ein Anfang ist gemacht – das zeigt uns, dass es geht – aber umgehend fortgeführt werden muss. Nach dem Königsteiner Schlüssel entfallen auf Berlin 5%, d.h. zwei oder drei der 47 Kinder.
Berlin hat sich bereits im Dezember 2019 bereit erklärt, 70 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen, und sich offen gezeigt für die Aufnahme weiterer besonders schutzbedürftiger Gruppen wie alleinerziehende Mütter, Familien mit Kindern, chronisch Kranke, traumatisierte und alte Menschen. Sozialsenatorin Elke Breitenbach hat öffentlich erklärt, umgehend 400 Geflüchtete aufnehmen, unterbringen und versorgen zu können, mit mehr Vorbereitung sogar bis zu 2000.
Zuletzt haben Sie, Herr Geisel, am 14.04.2020 erneut die Aufnahmebereitschaft mit einem Brief an den Bundesinnenminister (BMI) bekräftigt. Hierin fragen Sie nach der Zustim- mung des BMI zu einem Landesaufnahmeprogramm Berlins gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG für die Aufnahme von mindestens 70 Kindern von den griechischen Inseln. Sie weisen darauf hin, dass auch weitere Bundesländer zusätzliche Geflüchtete aus Griechenland auf- nehmen möchten.
Das Berliner Landesaufnahmeprogramm muss jetzt schnell umgesetzt werden!
- Berlin muss mit Nachdruck die umgehende Zustimmung des BMI einfordern.
- Bei einer Zustimmung des BMI muss Berlin vorbereitet sein, um die Aufnahme sofort zu beginnen.
- Bei einer Ablehnung muss Berlin rechtliche Schritte gegen das BMI prüfen.
Der Bundesinnenminister hat bisher einem Landesaufnahmeprogramm die Zustimmung noch nie versagt. Auf die allgemeinen Angebote der Länder für eine Aufnahme aus Griechenland hat er in den letzten Wochen geschwiegen. Auf die Bitte des Innensenators von Berlin, die Zustimmung für eine Berliner Landesaufnahme gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG von 70 Kindern aus griechischen Lagern aufgrund der humanitären Umstände dort zu erteilen, muss das BMI jetzt umgehend reagieren.
Die humanitäre Aufnahme ist allerdings eine souveräne Entscheidung des Bundeslandes Berlin. Sie soll allein aufgrund der unwürdigen Zustände in den griechischen Lagern und der besonderen Schutzbedürftigkeit der aufgenommen Menschen erfolgen. Ein mögliches Asylverfahren, das die Lage in den Herkunftsländern der Geflüchteten prüft, ist hiervon unabhängig.
Die Rechtsgutachten von Redeker, Sellner und Dahs sowie von Heuser kommen zu dem Ergebnis, dass die Länder aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Eigenstaatlichkeit einen großen politischen Entscheidungsspielraum für die humanitäre Landesaufnahme haben.
Falls das BMI die Zustimmung versagt, muss das Land Berlin daher rechtliche Schritte gegen den Bund wegen Verletzung seiner Eigenstaatlichkeit einleiten!6
Das Programm auf Landesebene muss umgehend konkretisiert und operationalisiert werden. Dies beinhaltet die Vorbereitung einer Aufnahmeanordnung des Landes Berlin nach § 23 AufenthG. Notwendig ist auch eine zügige Abstimmung mit den vor Ort aktiven Institutionen und den griechischen Behörden, um eine Auswahl in den Lagern zu ermöglichen.
Landesaufnahmeprogramme sind dafür da, um flexibel und schnell auf humanitäre Notlage zu reagieren. Herr Müller und Herr Geisel, handeln Sie schnell, stellen Sie die Weichen für das Landesaufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Geflüchtete aus Griechenland und holen Sie die Menschen aus dieser Hölle!
Als Zivilgesellschaft sind wir bereit, die Aufnahme zu unterstützen sowohl mit unseren Kontakten zu vor Ort aktiven griechischen zivilgesellschaftlichen Organisationen als auch mit Initiativen in Berlin, um die Integration der Geflüchteten zu begleiten.
In Erwartung einer zeitnahen Antwort verbleiben wir mit verbindlichen Grüßen
für die unterzeichnenden Organisationen:gez. Dr. Sabine Speiser
Willkommen im Westend
gez. Herbert Nebel
Respekt für Griechenland e.V.
gez. Georg Classen
Flüchtlingsrat Berlin e.V.