"Wie können wir unsere Schule gewaltfreier machen? Warum dauert es so lang, bis der Bezirk mehr Bäume pflanzt? Warum werden mehr Strassen gebaut, als den ÖPNV auszubauen und günstiger zu gestalten? Warum wird es uns so schwer gemacht, einen Platz für unsere öffentlichen (Jugend-)Kulturveranstaltungen zu finden? Warum geben Sie mehr Geld für eine Schule, als für unsere Jugendfreizeiteinrichtung aus?"
Am 13.November, genau eine Woche vor dem 30. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention organisierte das Kinder-und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn-Hellersdorf die inzwischen traditionelle bezirkliche, im mindestens zweijährlichen Turnus stattfindende "Kinderversammlung": Junge Menschen haben dort die Gelegenheit, ihre Fragen und Anliegen den lokalpolitischen Vertreter_innen vorzutragen. Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (LINKE) und die vier Stadträt_innen Gordon Lemm (SPD), Thomas Braun (AfD), Juliane Witt (LINKE) und Nadja Zivkovic (CDU) nahmen die Einladung gern an und stellten sich den Kindern und Jugendlichen.
Den künstlerischen Rahmen und Auftakt der Veranstaltung bildete die aktuelle Kinderrechte-Ausstellung "Hingucker>". Schüler_innen der Gretel-Bergmann-Schule, der Grundschule an der Wuhle und der Paavo-Nurmi-Grundschule hatten sich mit ihren Kinderrechten beschäftigt und untersucht, welche Rechte für sie besonders wichtig sind. Sie schauten sich hierzu Fotos des Berliner Fotografen Willy Römer an, der zwischen 1914 und 1933 Kinder auf den Strassen Berlins fotografierte. Per Fotomontage klinkten sie sich in die Alltagsszenen ein und schlugen so den Bogen von Kinderrechten früher und heute. Die jungen Künstler_innen stellten ihre Werke dem Publikum vor und beschrieben, warum sie sich für bestimmte Artikel der Konvention entschieden hatten. "Ich finde es wichtig, dass Kinder ihre Meinung sagen dürfen. Erwachsene müssen ihnen manchmal dabei helfen.", kommentierte zum Beispiel Lea ihr Bild zu Artikel 12 KRK, das eine Kinderdemo aus den 1920er Jahren zeigt.
Im zweiten Block der Versammlung waren die eingeladenen Politiker_innen im Fokus der Aufmerksamkeit. Die beiden 18-jährigen Moderator_innen Angelina Vetter und Leon Kaya prüften deren Ansichten zu verschieden jugendpolitischen Fragestellungen. Unter anderem sollten die Erwachsenen darstellen, wie sie zu der Sorge vieler junger Menschen in Bezug auf den Klimawandel stehen. Dass der Klimawandel menschengemacht ist, wurde nicht von allen Partei-Vertreter_innen geteilt. Die Mehrheit der anwesenden Podiums-Gäste sah dies aber als wissenschaftlich erwiesene Tatsache an und erkannte ihre Verantwortung. Nadja Zivkovic verfolgte einen konsumkritischen Ansatz, Dagmar Pohle verwies auf die Möglichkeiten der Einzelnen, einen Beitrag zur Umweltgerechtigkeit leisten. Juliane Witt und Gordon Lemm nahmen Bezug darauf, dass der Klimawandel ein globales Thema sei, das uns alle angeht, mit sozialen Problemlagen (im globalen Süden) einhergeht und Lösungen global und solidarisch gedacht werden müssen. Eine Publikumsabfrage mit roten und grünen Karten, die zu den verschiedenen Themen durchgeführt wurde, ließ Parlamentsstimmung aufkommen.
Im letzten Block ging es um die konkreten Anliegen der anwesenden Kinder und Jugendlichen. Fünf Gruppen aus Marzahn-Hellersdorf trugen ihre Fragen und Forderungen vor:
- Schüler_innen der Mahlsdorfer Grundschule stellten ihre selbstentworfenen Modelle der Jugendfreizeiteinrichtung vor, die in Mahlsdorf neu gebaut werden soll. Gut informiert konfrontierten sie die Politik mit der Frage, warum der Bau um weitere 3 Jahre verschoben werden soll. Sichtlich unbehaglich musste Stadtradt Lemm den Kindern erklären, dass das eingeplante Geld nun zuerst für den Bau einer Schule verwendet wird. "Es tut mit leid", versicherte er den Kindern, die sich damit allerdings nur schwer abfinden konnten. Bürgermeisterin Pohle versuchte es mit einem kindgerechten Vergleich und erklärte den jungen Planer_innen, dass das Taschengeld eben auch nicht immer dafür ausreiche, alle Wünsche sofort zu erfüllen.
- Mittelstufen-Schülerinnen der Gretel-Bergmann-Schule stellten die Frage, wie Schule gewaltfreier gestaltet werden kann. Auch hier war Jugend- und Schulstadtrat Lemm gefragt, der das Thema ernst nahm und auf einen Sternmarsch hinwies.
- Jugendliche, die seit Jahren die Kulturveranstaltungen "DiverCity" im Bezirk durchführen, beschwerten sich, dass ihnen in diesem Jahr kaum Plätze zur Verfügung gestellt wurden. Das sei um so bedauerlicher, als dass die Veranstaltungen eine positive Ausstrahlung über die Bezirksgrenzen hinweg habe. Stadträtin Zivkovic (Strassen- und Grünflächenamt) reagierte hemdsärmelig und versprach den Engagierten ihre persönliche Unterstützung.
- Vertreter_innen des Bezirksschüler_innenausschusses traten mit dem Thema "Schüler*innenhaushalt" vor das Plenum. Dieser Gewinnervorschlag des Bürgerhaushalt 2020/21 soll nun mit weniger Mitteln als erhofft umgesetzt werden. Zumindest konnte ihnen versichert werden, dass nun auch Mittel für das Jahr 2021 eingestellt seien und überlegt werde, die Anzahl der Schulen zu erhöhen. Auch die geringe Unterstützung der bezirklichen Bildungsgremien wurde kritisiert. Hier gab es keine zufriedenstellende Antwort.
- Aktivist*innen der Fridays for Future Ortsgruppe forderten u.a. einen besseren Ausbau von Radwegen, das Pflanzen von mehr Bäumen und eine flächendeckende Dachbegrünung im Bezirk. Ausserdem kritisierten sie die Langsamkeit, mit der wirkungsvolle Massnahmen getroffen werden und die geringe Reichweite von Beschlüssen. Zivkoviv erklärte, dass aufgrund der Hitze und Trockenheit der vergangenen Jahre das Pflanzen von Bäumen immer in Zusammenhang mit einer funktionierenden Bewässerung gedacht werden müsse. Stadträtin Witt verwies auf das veraltete bezirkliche Umweltschutzkonzept, das dringend überarbeitet werden müsse.
Die Fragen und Antworten der Politik wurden in einem Protokoll festgehalten, dass die Grundlage bildet für ein Nachhaken in dennächsten Wochen und Monaten. Denn Jugendbeteiligungist nur dann wirkungsvoll, wenn sie ernst genommen wird.
Abschluss bildete die Möglichkeit zum informellen Austausch bei Brötchenbuffet und Getränken. Wir denken, das Format der Kinderversammlung ist sehr geeignet, die Beteiligung und das Politikinteresse von jungen Menschen zu fördern. Dabei darf es aber nicht allein bleiben. Kinder-und Jugendinteressen müssen stärker strukturell in den verschiedenen Ressorts verankert werden.