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  • Unsere Schwangerschafts(konflikt)beratung unterstützt Frauen dabei, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.
    Foto: Konstantin BörnerUnsere Schwangerschafts(konflikt)beratung unterstützt Frauen dabei, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.

Ein Tabuthema Schwangerschaftsabbruch: „Keine Frau sucht sich diese Situation aus“

Ungeplant schwanger. Und nun? Die Schwangerschaft austragen? Oder nicht? Eine große Entscheidung, die das eigene Leben komplett verändern kann. Und eine Entscheidung, die Frauen in Deutschland – und ihre Partner – nicht in jedem Fall komplett allein treffen dürfen. Wollen Frauen die Schwangerschaft abbrechen, verpflichtet sie das Gesetz zum Besuch einer staatlich anerkannten Beratungsstelle – wie unserer Schwangerschafts(konflikt)beratung.

"Die meisten Frauen, die durch diese Tür kommen, haben bereits eine Entscheidung für sich getroffen", sagt die Diplom-Sozialpädagogin und Sexualpädagogin Chris Heike Lau, die seit 2001 in unserer Schwangerschafts(konflikt)beratungsstelle arbeitet. Zur Beratung müssen sie dennoch: Das Strafgesetzbuch schreibt es vor. Nur mit dem Beratungsschein ist es möglich, innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Empfängnis einen Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt eine Ärztin vorzunehmen. Die Beratung muss mindestens drei Tage vor dem Eingriff stattfinden.

An eine ihrer allerersten Pflichtberatungen kann sich Lau noch gut erinnern. Sogar an den Vornamen der Frau: Wiebke. "Wir bieten unseren Klient*innen immer das Du an", erklärt die 48-Jährige. Ihren vollen Namen muss bei der Pflichtberatung keine Frau preisgeben. Die Beratung ist – auch das steht im Gesetz – anonym möglich. Wiebke jedenfalls war "ganz klar in ihrer Entscheidung", erinnert sich die Beraterin. "Sie brauchte nur Informationen von mir: Worauf muss ich achten, wenn ich zum Abbruch gehe?"

Wie die Frauen sich nach der Beratung entscheiden, erfahren unsere Beraterinnen – zum Kernteam der Einrichtung, die es seit 1992 gibt, gehören noch eine Psychologin, eine weitere Sozialarbeiterin und eine Teamassistentin – in der Regel nicht. Von Wiebke weiß Chris Heike Lau jedoch, dass sie zum Abbruch gegangen ist. "Sie hat noch einmal angerufen und sich für die Beratung bedankt."

Knapp 500 solcher Pflichtberatungsgespräche haben Lau und ihre Kolleginnen im Jahr 2018 geführt. Die meisten mit Frauen zwischen 30 und 35 Jahren, noch ohne Kind und etwa in der siebten Woche ungewollt schwanger. "Manche kommen auch schon eher, andere erst in der zehnten oder elften Woche", erzählt Lau. "Manche wollen das ganze Thema lange gar nicht an sich heranlassen. Sie hoffen bis zum Schluss, dass die Schwangerschaft vielleicht von allein abgeht." Minderjährige Mädchen sind nur sehr selten dabei. Einige Frauen haben bereits Kinder. Einige wenige kommen zweimal zur Beratung, bevor sie eine Entscheidung treffen. Den Beratungsschein – und einer Liste der Ärzt*innen, die Abbrüche anbieten – erhalten sie beim ersten Termin.

Die konkreten Gründe für ihren Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch müssen die Frauen nicht angeben. "Oft sind es Probleme in der Partnerschaft", weiß Frau Lau. "Manche Frauen wollen die Schwangerschaft austragen und dann trennt sich ihr Partner von ihnen oder es gibt Stress und sie fangen noch einmal an, zu überlegen. Lösen eventuell selbst die Beziehung auf. Manchmal war es auch gar keine Beziehung, sondern vielleicht nur eine schöne Nacht und daraus ist eine Schwangerschaft entstanden. Einige Frauen sitzen hier und sagen: Ich weiß nicht, was ich tun soll." Auch wirtschaftliche Gründe und fehlender bezahlbarer Wohnraum spielen häufig eine Rolle.

Die Beratung, die im Durchschnitt etwa 30, manchmal aber auch nur zehn oder bis zu 90 Minuten dauert, ist für die Frauen kostenfrei. Der Abbruch ist es in der Regel nicht. Informationen zur Finanzierung sind daher ein wichtiger Aspekt der Beratung. "Die Kosten liegen zwischen 300 und 600 Euro", weiß Lau. Bis zum Ende der neunten Woche ist ein medikamentöser Abbruch möglich, danach ist die operative Methode alternativlos. In der Regel müssen die Frauen die Kosten selbst tragen. Es sei denn, ihr verfügbares Einkommen liegt aktuell unter 1.325 Euro (plus einem Freibetrag, wenn minderjährige Kinder mit im Haushalt leben oder die Wohnungsmiete einen bestimmten Betrag überschreitet).

"In meinem Beruf ist professionelle Neutralität wichtig", sagt Lau, selbst Mutter zweier erwachsener Töchter. "Sich selbst muss man da zurücknehmen. Wichtig ist, zu schauen, was die Frau möchte, sie in ihrer Entscheidungsfindung zu stärken. Ich finde, da gibt es kein Richtig und kein Falsch."

Auch ein Gespräch nach dem Abbruch gehört zum breiten Angebot unserer Beratungsstelle, die eigentlich häufiger von (werdenden) Eltern für eine sozial­rechtliche Beratung, etwa zu Elterngeld, angefragt wird als in Schwangerschaftskonflikten. "Die Möglichkeit zur Nachberatung nach einem Schwangerschaftsabbruch wird aber selten genutzt", sagt Frau Lau. Wenn, dann fehle es häufig an "Trauerarbeit". Dann gehe es um den Versuch, Mechanismen zu erarbeiten, dieser Entscheidung einen guten Platz zu geben. Auch traurig sein und weinen zu dürfen.

Mehr als zwei Drittel der Frauen kommen allein zur Pflichtberatung in die Paul-Robeson-Straße in Pankow, die anderen gemeinsam mit ihrem Partner, einer Freundin, ihrer Schwester oder Mutter. Hin und wieder bitten auch Männer um einen Termin für sich selbst. Weil sie Vater werden, ohne es zu wollen, ihre Partnerin sie nicht teilhaben lässt oder sie das Kind wollen und ihre Partnerin einen Schwangerschaftsabbruch möchte. "Ich denke, es ist auch Teil unserer Arbeit, die Männer aufzufangen. Ihnen dabei zu helfen, einen Umgang mit der Situation zu finden", sagt Lau. "Unser Fokus ist aber ganz klar bei den Frauen."

Nicht selten werden die Frauen direkt von ihrer Arztpraxis an unsere Beratungsstelle verwiesen, die vom Landesamt für Gesundheit und Soziales gefördert wird. "Sie kommen, weil sie kommen müssen. Und sie sind oft auch aufgeregt, weil sie nicht wissen, was sie hier erwartet", sagt die Beraterin. "Das sehe ich an der Art, wie sie sich ihre Jacke erst noch um den Körper schlingen. Je entspannter sie werden, desto mehr öffnet sich auch die Jacke oder wird ganz ausgezogen. Viele sagen dann im Nachgang, dass die Beratung und der Raum zum Reden hilfreich waren. Und dass sie das nicht erwartet hätten."

Ganz bewusst als Anlaufstelle für die Pflichtberatung ausgewählt wird die humanistische Beratungsstelle häufig deshalb, weil der Wunsch nach einer religionsfreien Beratung besteht. Durchaus auch bei Frauen, die eigentlich religiös sind – in dieser Situation aber nicht zu einer kirchlichen Beratungsstelle wollen.

Was Frau Lau und ihre Kolleginnen auch von Frauen hören: "Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mal hier sitze. Ich fand es immer verwerflich, wenn Frauen sich für einen Abbruch entscheiden, und konnte es nicht verstehen. Jetzt bin ich selbst in der Situation und kann es total nachempfinden. Weil es für meine individuelle Lebenssituation nicht geht. Es tut mir zutiefst leid, dass ich früher so gewertet habe." Das Thema Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor tabuisiert. Betroffene Frauen stehen häufig unter einem großen Druck. Auch sozial.

Lau betont: "An dieser Stelle muss gesagt werden, dass es zwar sichere und sehr sichere Verhütungsmittel, aber keine 100-prozentige Verhütung gibt. Und daher eine gelebte heterosexuelle Sexualität auch immer eine nicht geplante Schwangerschaft implizieren kann. Keine Frau sucht sich diese Situation bewusst freiwillig aus. Aber wenn sie betroffen ist, benötigt sie Stärkung und Unterstützung – so, wie sie es sich wünscht."

"Manchmal erreicht uns Post von Abtreibungsgegner*innen. Da werden wir dann als Mörder*innen bezeichnet oder es gibt Vergleiche mit der NS-Zeit", erzählt Lau. Beeinflussen lässt sich das Team durch so etwas nicht.

Dass Schwangerschaftsabbrüche noch immer grundsätzlich rechtswidrig sind (§ 218 StGB) und nur auf Grundlage der sogenannten Beratungsregelung unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben, ist vielen Frauen gar nicht bewusst. "Sie stellen das in dem Moment fest, in dem es sie betrifft – und sind dann völlig geschockt."

Den Frauen eine gute Unterstützung geben zu können und Hilfestellung dabei, über ihr Leben nachzudenken, mag Lau an ihrer Arbeit. "Aber ich kann das auch gut bei den Frauen lassen", sagt sie. Von der Politik wünscht sie sich niedrigschwellige Informationsangebote (auch online) für alle Frauen, die in die Situation einer ungeplanten beziehungsweise ungewollten Schwangerschaft kommen. Der Zugang zu Informationen ist nach wie vor durch das sogenannte "Werbeverbot" für Schwangerschaftsabbrüche (§ 219a StGB) eingeschränkt. "Frauen haben ein Recht auf Information", findet Lau. Die Pflicht zur Beratung befürwortet sie persönlich übrigens nicht: "Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Frauen auch freiwillig, wenn sie über die Möglichkeiten von Beratungen informiert sind, diese nutzen würden. Ein Stück weit ist der Mensch auch für sich verantwortlich. Und ich kann das nicht pauschal allen Frauen absprechen."

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Chris Heike Lau
Diplom Sozialpädagogin/ Sexualpädagogin/ Projektleitung