Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind in gleicher Weise vom Staat zu behandeln, so sieht es das Grundgesetz (Artikel 137, Absatz 7 der Weimarer Reichsverfassung i.V.m. Artikel 140) vor. Die politische Wirklichkeit hinkt dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe jedoch weit hinterher.
"Die Diskriminierung von Weltanschauungen beziehungsweise die Privilegierung der Kirchen wird bis heute geleugnet", sagt Dr. Thomas Heinrichs, Rechtsanwalt und stellvertretender Präsident im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg KdöR.
Ursächlich dafür ist die historisch entstandene enge Verknüpfung von Kirche und Staat sowie die Überrepräsentanz der Kirchen in staatlichen Kontrollgremien, wie er am Mittwochabend im Roten Rathaus erklärte. Um den Gleichbehandlungsvorsatz endlich umzusetzen, stellte er bei der vom Runden Tisch der Weltanschauungsgemeinschaften im Land Berlin organisierten Dialogveranstaltung "Religion first" sechs zentrale Forderungen an das Land Berlin:
Der Kirchensteuereinzug durch den Staat ist zu beenden. Dieser Verwaltungsakt bevorzugt die Kirchen entgegen den Vorgaben des Grundgesetzes.
Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften sind in gleicher Weise vom Land zu fördern. Das Land Berlin muss daher die sogenannten "Staatsverträge" mit der Evangelischen Kirche, dem Erzbistum zu Berlin und der Jüdischen Gemeinde kündigen und mit allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Verwaltungsverträge auf gleicher Basis schließen. Die staatliche Förderung hat sich lediglich an der Zahl der Angehörigen zu orientieren.
Die kirchenförmige Zählung der Angehörigen ist zu beenden, wie vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 23. Februar 2005 (Az. 6 C 2.04) vorgesehen. Statt formaler Mitgliedschaften sind die Angehörigenkriterien der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu berücksichtigen. Für den Islam wird dies auch so praktiziert, weil es dort kein Mitgliedschaftsprinzip gibt. Weltanschauungsgemeinschaften wie dem Humanistischen Verband wird diese Praxis nicht gewährt. Würde man diese jedoch anerkennen, läge die Zahl der Angehörigen des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg KdöR allein in Berlin bei 500.000.
Die Zahl der Angehörigen ist auch der akademischen Ausbildung zugrunde zu legen. Demnach müssten für die Humanisten mit 500.000 Angehörigen mindestens acht Humanistik-Lehrstühle an der Humboldt-Universität eingerichtet werden. Denn aktuell werden für die katholische Kirche mit ihren rund 300.000 Mitgliedern fünf Theologielehrstühle eingerichtet, die evangelische Kirche verfügt bei 600.000 Mitgliedern über elf Lehrstühle. Für die Muslime mit bis zu 300.000 Angehörigen soll es fünf Lehrstühle geben.
Die Religionsfreien müssen einen Sitz im rbb-Rundfunkrat sowie analog zu den Kirchen Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten. Der Rundfunkrat soll die Zivilgesellschaft adäquat repräsentieren. Katholiken und Protestanten machen nur noch knapp 25 Prozent der Bevölkerung in Berlin und Brandenburg aus, die restlichen 75 Prozent sind weltanschaulich anders orientiert. Sie müssen selbstverständlich im Rundfunkrat repräsentiert werden und entsprechende Sendezeiten erhalten.
Offizielle staatliche Veranstaltungen wie Staatsakte oder Gedenkstunden sind grundsätzlich religiös-weltanschaulich neutral durchzuführen. Derzeit werden solche Veranstaltungen in der Regel mit christlichen Gottesdiensten begangen. Entweder sind diese religiös geprägten Feiern gänzlich abzuschaffen oder aber alle relevanten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden angemessen berücksichtigt. Das würde bedeuten, dass etwa auch humanistisch-weltliche oder islamische Rituale zu integrieren sind.
Dr. Thomas Heinrichs ist Rechtsanwalt und Experte im Religions- und Weltanschauungsrecht. Für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat er die Studie "Weltanschauung als Diskriminierungsgrund – Begriffsdimensionen und Diskriminierungsrisiken" verfasst. Dr. Thomas Heinrichs steht für Interviews zur Verfügung. Ihre Gesprächsanfragen vermitteln wir gern und freuen uns auf Ihre Berichterstattung.