Sehr geehrter Herr Graf,
"Fragen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt gehören nicht in die Berliner Kindertagesstätten", sagen Sie und fordern, dass die Verbreitung und Nutzung der vom Senat veröffentlichen Broschüre "Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben" gestoppt wird. Offen gestanden: Ihre Bewertung dieses Arbeitsmaterials für Kindertagesstätten irritiert mich.
Kinder werden in der Broschüre nicht mit Fragestellungen zur sexuellen Identität konfrontiert. Sie ist ja kein Kinderbuch, sondern eine Handreichung für die Arbeit des pädagogischen Personals.
Die humanistische Lebenshaltung vertraut darauf, dass Menschen fähig sind, ihr Leben selbstbestimmt und sozial verantwortlich zu gestalten. Sie sieht in dem Recht und in der Pflicht zum selbstbestimmten und solidarischen Handeln eine tragfähige Voraussetzung für ein förderliches Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft. Wann sollten wir damit beginnen, wenn nicht schon im Vorschulalter? Mit dem ersten Tag in der Kindertagesstätte und in der Familie?
Kinder erfahren in unseren Einrichtungen, dass ihr eigenes Wohlbefinden eng mit dem der anderen zusammenhängt. Sie lernen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, Interessen auszuhandeln, sich durchzusetzen und nachzugeben.
Die Rechte der Kinder lassen sich nur in vertrauensvollen und authentischen Beziehungen verwirklichen, die ihnen emotionale Balance und Sicherheit bieten. Daher ist kinderrechtsorientierte Arbeit in unseren Kitas auch beziehungsorientierte Bildungsarbeit. Angesichts der Unterschiedlichkeit in Bezug auf die soziale oder kulturelle Herkunft, familiäre Bedingungen, des Geschlechts oder körperlicher Besonderheiten der Kinder tragen wir Sorge für die Chancengleichheit aller Kinder in Bezug auf ihren Zugang zu Bildung.
Dazu gehört es auch, auf Fragen und Themen, die die Kinder beschäftigen, Antworten geben zu können und mit den vielfältigen Lebensformen in unserer Gesellschaft offen und tolerant umzugehen. Kinder können nur zu selbstbestimmten Persönlichkeiten heranwachsen, wenn sie frühzeitig mit ihren Anliegen ernst genommen werden.
In unseren Kitas möchten Jungs auch gerne mal Prinzessin sein, Kinder haben zwei Mütter oder Väter und sogar zwei Väter und eine Mutter und es gibt auch schon Kinder, die feststellen, dass sie vielleicht doch lieber ein Junge oder ein Mädchen wären.
In unseren Häusern hängen Regenbogenfahnen, genauso wie ein "Willkommen" in den verschiedenen Sprachen der Kinder, die bei uns spielen und lernen.
Die (sexuelle) Vielfalt in unserer Stadt begegnet den Kindern jeden Tag.
Damit Sie sich überzeugen können, wie pädagogische Arbeit in Kindertagesstätten aussieht und wie mit Kindern Bildungsarbeit umgesetzt wird, möchte ich Sie gerne in unsere Kita Rappelkiste einladen. Begleiten Sie die pädagogischen Mitarbeiter_innen für einen Tag.
Ich würde mich über einen Tag mit Ihnen in unserer humanistischen Kita freuen!
Mit freundlichen Grüßen,
Britta Licht
Abteilungsleiterin Humanistische Kindertagesstätten
im HVD Berlin-Brandenburg