Eine Reportage von TOBIAS EẞER
1.279 – so viele Ehrenamtliche gab es im Jahr 2022 im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg. Wenn JANA PIHAN, seit Januar 2023 Referentin für den Bereich Ehrenamt im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg, von ihrem Engagement erzählt, leuchten ihre Augen: "Was diese Menschen leisten, ist unglaublich. Die rackern sich während aller Krisen einen ab."
Krise ist dabei genau das richtige Stichwort. Denn seit 2020 befindet sich die Welt, befindet sich Deutschland, in der Dauerkrise: Erst kam die Pandemie, dann die Inflation, danach Krieg gegen die Ukraine, gefolgt von noch höherer Inflation. Durch all diese Herausforderungen hindurch konnte der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg die Angebote, die von ehrenamtlichen Helfer*innen getragen wurden, aufrechterhalten. Zu verdanken ist das dem unermüdlichen Einsatz der engagierten Menschen.
Krisen prägen das Ehrenamt
Trotzdem sind die Krisen nicht spurlos an den Projekten des Verbandes vorbeigezogen. "Die Pandemie wirkt noch nach", erzählt KATJA SCHRÖTHER. Sie leitet die Öffentlichkeitsarbeit der Hospizangebote im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg. Da die Helfer*innen im Hospizbereich nah an den Menschen sein müssen, litt ihre Arbeit während der Zugangsbeschränkungen in der Pandemie besonders stark. In der Zeit der Lockdowns seien auch deshalb etliche ehrenamtliche Helfer*innen weggebrochen, erzählt Katja Schröther. "Außerdem gab es viele ältere Ehrenamtliche, die ihre Tätigkeit dann körperlich nicht mehr ausüben konnten." Und im Bereich der Kinderhospize habe es ebenfalls Einschränkungen durch Lockdowns und Zugangsbeschränkungen gegeben. "Das hat den Kolleg*innen in den Einrichtungen die Arbeit ziemlich erschwert", berichtet Schröther.
Sie sei allerdings froh, dass die Vorgaben zum Tragen von Atemschutzmasken mittlerweile in nahezu jedem Bereich weggefallen sind: "Hospizarbeit hat einfach unglaublich viel mit Mimik und Gestik zu tun. Mittlerweile kann die Hospizarbeit im eigentlichen Sinne wieder stattfinden."
Ausbildungskurse sind gut gefüllt
"Im Jahr 2023 ist die Arbeit wieder kontinuierlicher geworden", sagt Schröther. "Unsere Ausbildungskurse für ehrenamtliche Mitarbeiter*innen, die zweimal im Jahr stattfinden, sind wieder gut gefüllt." Auffallend sei dabei vor allem, wie heterogen die Gruppe der auszubildenden Ehrenamtlichen geworden ist: "Es ist eine ganz bunte Mischung an Menschen. Das geht von jungen Student*innen bis hin zu Senior*innen", erzählt sie.
Dass die Ausbildungskurse überhaupt wieder gefüllt sind, sei ein Segen, erzählt Jana Pihan. "Die Menschen, die sich für ein Ehrenamt interessieren, wollen meistens auf einer persönlichen Ebene helfen", sagt sie. "Da merken wir schon, dass die Krise nachhallt. Unsere Projekte sind händeringend auf der Suche nach neuen Ehrenamtlichen."
Eine Feier fürs Ehrenamt
Um neue Ehrenamtliche für sich zu gewinnen, planen die unterschiedlichen Projekte überwiegend eigene Kampagnen. "Mal gibt es kleine Flyer, dann aber auch größere Feste für die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen", sagt Jana Pihan. "Und natürlich planen wir vom Humanistischen Verband auch in diesem Jahr eine besondere Feier – diesmal im Januar."
Einige Details zu dieser Feier könne sie sogar schon verraten, selbst wenn ein paar Programmpunkte noch geheim bleiben sollen – als Überraschung für die Helfer*innen.
"Was ich verraten kann: Wir haben den Festsaal Kreuzberg angemietet und werden dort eine richtig schöne Feier auf die Beine stellen, auf der junge und ältere Ehrenamtliche gemeinsam Spaß haben werden", erzählt Jana Pihan.
#EhrenamtTrotzKrise
Wertschätzung ist dem Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg enorm wichtig – insbesondere, wenn es um die zahlreichen Ehrenamtlichen in den Projekten des Verbandes geht. Deshalb rief der Verband im Jahr 2022 die Social-Media-Kampagne "#EhrenamtTrotzKrise" ins Leben. "Das Ziel war, den unermüdlich helfenden Menschen ein Gesicht zu geben“, berichtet PETRA WOHLFAHRT, die ehemalige Referentin im Bereich Ehrenamt.
Als Teil der Kampagne wurden Beiträge mit den Gesichtern der Helfer*innen erstellt, die die Menschen im Ehrenamt in die Öffentlichkeit holen sollen. Da ist zum Beispiel Rita, die sich beim interkulturellen Hospizdienst Dong Ban Ja engagiert und ältere Menschen aus dem asiatischen Kulturraum beim Übergang vom Leben in den Tod begleitet. Oder Janine, die sich der Kinder- und Jugendarbeit widmet. Sie ist bei den Jungen Humanist*innen aktiv und betreut und plant Workshops für junge Menschen. Auch Theres ist ehrenamtliche Helferin, sie unterstützt das Kinderhospiz Berliner Herz. Dort begleitet sie einmal in der Woche Familien für einige Stunden und entscheidet gemeinsam mit ihnen, was in den jeweiligen Momenten gebraucht wird. „Wenn mehr Menschen in Krisen hinschauen, anstatt wegzuschauen, kann sich die Welt schneller zum Positiven verändern“, steht neben dem Social-Media-Beitrag mit Theres' Gesicht.
Ein Ex-Fußballprofi engagiert sich fürs Ehrenamt
Am 5. Dezember 2022 trug der Verband die Anerkennung seiner Ehrenamtlichen dann von den Sozialen Medien in die „reale Welt“ – und richtete anlässlich des Tags des Ehrenamts das sogenannte Krisenfest in der Berliner Philharmonie aus. Dort war neben Mitgliedern des Verbandspräsidiums auch der ehemalige Fußballprofi Arne Friedrich zu Gast, dessen Stiftung Kinder und Jugendliche unterstützt. Auf der Veranstaltung richtete er sich mit einer Dankesbotschaft an die anwesenden Helfer*innen.
„Letztendlich ging es auch bei dieser Veranstaltung um die Anerkennung unseres Verbandes, dass diese Menschen uns ihre Freizeit und Energie zur Verfügung stellen“, sagt Petra Wohlfahrt. Dabei seien die Veranstaltungen allerdings nicht das Wichtigste: „Im Verband pflegen wir einen schätzenden und achtungsvollen Umgang miteinander. Die Ehrenamtlichen gehören zu unserem Arbeitsalltag und ohne sie könnten wir die Qualität unserer Arbeit nicht gewährleisten“, führt Petra Wohlfahrt weiter aus. Deshalb habe sich in den einzelnen Projekten eine eigene Anerkennungskultur etabliert. Dazu gehören unter anderem Geburtstagsgrüße und ein Lob zwischendurch, aber auch die Einbindung in (in-)formelle Entscheidungsprozesse. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen sollen sich dadurch eingebunden und wertgeschätzt fühlen, sagt Petra Wohlfahrt. Dazu zähle zudem die Berücksichtigung der Ehrenamtlichen im Jahresbericht sowie bei Mitgliederversammlungen.
"Das muss man wirklich wollen“
Trotz dieser Wertschätzung für ehrenamtliche Mitarbeiter*innen im Verband sei es in den zurückliegenden Jahren nicht unbedingt einfacher geworden, neue Menschen für die Arbeit in den Projekten zu gewinnen, berichtet Katja Schröther. "Ein Ehrenamt zu übernehmen, ist eine Lebensentscheidung", sagt sie. "Im Berufs- und Familienalltag benötigt es die Freiräume, sich ehrenamtlich zu engagieren."
In ihrem Bereich, den Hospizen des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, ist die Qualifizierung zum beziehungsweise zur Sterbegleiter*in fordernd. "Voraussetzung ist ein 100-stündiger Kurs, in dem sich Interessierte mit der eigenen Trauerbiografie und Themen wie Krankheit, Sterben und Trauer auseinandersetzen."
Krisen haben Einstellung zum Ehrenamt verbessert Allerdings hätte sich die Einstellung der Menschen zum Ehrenamt durch die Krisen in den vergangenen Jahren auch zum Positiven verändert, berichtet sie. "Ehrenamtliche Arbeit ist so sinnstiftend. Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen erzählen immer wieder von den Reaktionen, die sie auf ihre Arbeit bekommen. Das sei für sie so wertvoll und bereichernd, dass der enorme Zeitaufwand für sie nur eine untergeordnete Rolle einnimmt." Das sei es, was ein Ehrenamt für sie ausmache.
Diese Anerkennung nehme der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg sehr ernst. In den vorigen Jahren hätten sich die Strukturen verbessert – und vor allem das Wissen erweitert, wie wichtig diese Menschen im Großen und im Kleinen für den praktisch gelebten Humanismus sind, erzählt Katja Schröther.
Außerdem sei ihr noch einmal bewusst geworden, wie unglaublich vielseitig ehrenamtliche Arbeit sein kann. "Mit den Angeboten des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg haben wir wirklich unser Ziel erreicht, den Menschen von der Wiege bis zur Bahre zu begleiten", sagt sie. Das sei ein guter und wichtiger Service, der den Verband ausmache.