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  • Die Entscheidung fiel schnell, in unserem H+ Hotel 4Youth an der Bernauer Straße die ersten geflüchteten Ukrainer*innen aufzunehmen und das Haus auf ihre Bedürfnisse hin auszustatten.
    Foto: Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg KdöRDie Entscheidung fiel schnell, in unserem H+ Hotel 4Youth an der Bernauer Straße die ersten geflüchteten Ukrainer*innen aufzunehmen und das Haus auf ihre Bedürfnisse hin auszustatten.

Das Haus der ZUFLUCHT: Spontane Hilfe für Geflüchtete

Eine Reportage von TOBIAS EẞER 

Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel, änderte sich das Leben vieler Menschen des angegriffenen Landes auf einen Schlag. Gingen sie am Tag zuvor noch ihrer Arbeit nach, lernten in der Schule oder rackerten sich in ihrem Sportverein ab, wurden die Städte und Dörfer am Tag des russischen Angriffs mit Bomben, Raketen und Artillerie überzogen. Millionen Menschen verloren ihre Heimat und wurden zu Geflüchteten. Wer die Ukraine schnell genug verlassen konnte, suchte Schutz im angrenzenden Polen – und oft auch in Deutschland.

In Berlin leben im Juli 2023 laut Schätzungen des Senats 110.000 Menschen aus der Ukraine. Gerade in den ersten Tagen nach Ausbruch des Krieges stellte man sich in der Hauptstadt die Frage, wo man die vielen Flüchtenden unterbringen solle. Bei der Beantwortung dieser Frage zeigte der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg jede Menge Einsatz: Bereits am Montag nach dem Kriegsausbruch berief der Vorstand eine Sondersitzung des Präsidiums ein. Ebenfalls anwesend war die Geschäftsführerin des humanistischen H+ Hotel 4Youth – einem Hotel in der Bernauer Straße, für das der Landesverband als Betreibergesellschaft fungiert.

Das Hotel wird zur Erstaufnahmeeinrichtung 

Auf dieser Sitzung des Präsidiums habe man schnell die Entscheidung gefasst, das Hotel Geflüchteten aus der Ukraine als Unterkunft zur Verfügung zu stellen, erzählt ANNATHEA BRAẞ, die im Verband die Abteilung Zentrale Dienste leitet. „Natürlich gab es einige Fragen, die wir zunächst klären mussten: Was, wenn wir keine Finanzierung vom Berliner Senat bekommen? Welches Konzept wollen wir überhaupt verfolgen?“ 

Schnell war klar: Die Hälfte der Zimmer können Menschen aus der Ukraine kostenfrei bewohnen. "Das hieß allerdings auch, dass wir vielen Gästen absagen mussten", erzählt Braß. "Gäste, die schon vor Ort waren, mussten teilweise abreisen – nicht alle konnten ihren Aufenthalt noch beenden." Annathea Braß übernahm während der Sitzung spontan das organisatorische Heft und machte sich an die Arbeit, um das Projekt "Haus der ZUFLUCHT" zusammen mit einem kleinen Team ins Leben zu rufen.

Mit der Bereitstellung der Zimmer war die Organisation jedoch keinesfalls erledigt. "Wir haben die Standards hochgesetzt, entlang der besonderen Bedarfe dieser vulnerablen Gruppen, die wir untergebracht haben: Neben Essen sollte es auch Kleidung, eine psychologische Begleitung für die Eltern sowie eine spielerische Betreuung für Kinder geben", erinnert sich Braß. "Denn als humanistischer Verband sahen wir uns in der Pflicht, mehr anzubieten als ‚nur‘ ein Dach über dem Kopf." Ziel sei es damals gewesen, "einen sicheren Zufluchtsort" zu schaffen. 

Die Arbeit startete noch am selben Tag, an dem auch die Präsidiumssitzung stattgefunden hatte. "Zusammen mit der Hoteldirektorin habe ich direkt die Lobby um- geplant", erinnert sich Annathea Braß lachend. "Es ging ohne Umschweife los. Das war aber auch nur möglich, weil ich zu jeder Zeit die hundertprozentige Rückendeckung des Vorstands hatte und mein großartiges Team mir viele Aufgaben in meiner eigentlichen Position abgenommen hat." 

Annathea Braß (links) und Yanina Schustermann, die später die Projektleitung übernahm, konnten sich bei den großen Herausforderungen auf ein engagiertes Team verlassen.
Foto: Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg KdöR Annathea Braß (links) und Yanina Schustermann, die später die Projektleitung übernahm, konnten sich bei den großen Herausforderungen auf ein engagiertes Team verlassen.

Hilfe war dringend notwendig 

Noch in der gleichen Woche kamen die ersten Gäste im kurzfristig umfunktionierten Hotel an der Bernauer Straße an. Dass es so schnell ging, lag dabei auch an einer zufälligen Begegnung, von der Braß erzählt: Kurz nach Beginn des Krieges habe sich der Rastplatz Avus an der Berliner Stadtautobahn in einen riesigen Treffpunkt für jene Menschen verwandelt, die der ukrainischen Zivilbevölkerung helfen wollten. „Auf diesem Rastplatz habe ich einen Spediteur kennengelernt, Maxim, der mit drei Lastwagen zwischen Berlin und der Ukraine hin- und hergefahren ist, um Hilfsgüter dorthin zu bringen.“ 

Als Braß Maxim vom Haus der ZUFLUCHT erzählte, ging es ganz schnell. „Hier stehen fünf Familien und drei schwangere Frauen“, habe der Spediteur ihr erzählt. „Kann ich die zu dir schicken?“ Drei Tage später konnten die ersten Geflüchteten im H+ Hotel 4Youth einziehen. Nur dank der Mitarbeiter*innen des Hotels war die schnelle Aufnahme der Menschen aus der Ukraine möglich.

Einer von ihnen ist BORIS ROUSSON. Vor seiner Zeit im H+ Hotel 4Youth war der Kanadier Eishockeyprofi und galt als einer der besten Torhüter in Deutschlands höchster Liga. Nach seiner aktiven Karriere suchte er eine neue Herausforderung, erzählt Boris. „Ich habe mir überlegt, was ich mit meinen Sprachkenntnissen in Deutsch, Eng- lisch und Französisch machen kann. Der Weg hat mich dann hier ins Hotel geführt, wo es mir sehr gut gefällt“, sagt er lächelnd.

Als geflüchtete Ukrainer*innen im Hotel aufgenommen werden sollten, freute sich Boris darüber. „Nach der Pandemie war das Haus so leer, die Tourist*innen kamen erst langsam zurück“, berichtet der Rezeptionist. Eigentlich hatten sich er und das Team im Hotel vorgenommen, die Menschen aus der Ukraine so zu behandeln wie alle anderen Gäste auch, sagt Boris. „Aber natürlich kamen da Menschen aus einem Kriegsgebiet, die zum Teil auch traumatisiert waren. Wir mussten erkennen, dass man anders mit ihnen umgehen musste als mit Tourist*innen, die hier einfach nur ihren Urlaub verbringen wollten“, berichtet der ehemalige Eishockeytorwart.

Anderen Geflüchteten ergeht es schlechter 

Auch die praktische Arbeit im Hotel habe sich durch die Ankunft der Ukrainer*innen verändert, Dokumente wie die Hausordnung habe man übersetzen müssen. Außerdem hätte statt eines simplen Check-ins eine ausführliche Passkontrolle stattfinden müssen, erklärt Boris Rousson. Mit Langzeitgästen hätten noch weitere Herausforderungen angegangen werden müssen. Eines der Hauptprobleme: Wo sollen die Menschen aus der Ukraine ihre Wäsche waschen? Dazu kooperierte das Hotel mit einem Waschsalon in der Nähe des Gebäudes. "Gera- de am Anfang mussten wir unglaublich viele neue Dinge koordinieren", sagt Boris Rousson.

Durch die Arbeit der Mitarbeitenden im Hotel, vieler ehrenamtlicher Helfer*innen und die Mithilfe des Verbandes konnten zahlreiche Menschen aus der Ukraine in kurzer Zeit aufgenommen werden. Für Annathea Braß bleibt allerdings ein kleiner Beigeschmack: "Warum gehen so viele Dinge erst jetzt?", fragt sich die Abteilungsleiterin. Auch vorher schon habe es Fluchtbewegungen nach Deutschland gegeben. Gerade als Menschen aus Syrien, dem Irak oder aus Afghanistan gekommen seien, habe es diese schnelle und unkomplizierte Form der Soforthilfe nicht gegeben. 

"In gewisser Weise ist das sicher eine Form des positiven Rassismus", sagt Braß. Dieser ziehe sich weniger durch die Arbeit des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, sondern durch die gesamte Gesellschaft. "Die Identifikation mit den Menschen aus der Ukraine ist für einen großen Teil der Mehrheitsgesellschaft sicher einfacher als mit Geflüchteten aus dem Nahen Osten", sagt sie. "Aber für uns darf es keine Rolle spielen, woher Menschen kommen. Wir als Humanist*innen müssen und wollen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Hautfarbe helfen." Diese Lektion könne man für die Zukunft noch mehr in den Fokus holen, mahnt Braß.

Die Aufnahme der Menschen an sich funktionierte auch in der Kürze der Zeit sehr gut. Probleme gab es allerdings mit der Finanzierung des spontan eingerichteten Wohnortes für Geflüchtete. "Eigentlich wurde uns wie auch vielen anderen seitens der Politik signalisiert, es werde eine Lösung für die entstehenden Kosten gefunden. Als das Projekt allerdings kurz vor seinem Ende stand, war uns allen klar, dass es nichts geben würde", erklärt Braß. Ein herber Rückschlag – denn in der Zeit, in der das Hotel als Unterkunft für Geflüchtete diente, konnte es keine zahlenden Gäste beherbergen.

Viele Kontakte bestehen bis heute 

Trotzdem überwiegen die positiven Erfahrungen, die Annathea Braß und Boris Rousson in der Zeit gemacht haben, in der das H+ Hotel 4Youth als Geflüchtetenunterkunft diente. "Woran ich mich immer erinnern werde, ist das Lächeln der ankommenden Menschen", sagt Rousson. Während der Hochphase der Coronapandemie trugen die Gäste des Hotels natürlich Schutzmasken – das änderte sich dann mit der Ankunft der ukrainischen Ge- flüchteten. "Sie lächelten viel und manche hatten Tränen in den Augen", erzählt der ehemalige Profisportler.

Die letzten Geflüchteten verließen das Hotel im September 2022. Sie wurden in anderen Einrichtungen und eigene Wohnungen vermittelt. Seitdem läuft das Hotel wie- der im Regelbetrieb, Tourist*innen übernachten in den Zimmern. Einzelne Beziehungen zu Ukrainer*innen, die hier ihren Start in Deutschland gefunden haben, blieben aber bis heute bestehen. "Einige Frauen sind heute noch in der Küche des Hotels angestellt", erzählt Boris. Manche Familien seien außerdem in Berlin geblieben. "Sie sind Freund*innen geworden." Und auch heute noch kämen von Zeit zu Zeit ehemalige Gäste des Hotels aus der Ukraine in Berlin vorbei, um Hallo zu sagen. "Es war die richtige Entscheidung", sagt Rousson. "Wir wissen, dass wir unfassbar vielen Menschen helfen konnten."

Dem pflichtet Annathea Braß bei. Auch sie hat heute noch Kontakt zu einigen Familien, die in Berlin ankamen. "Wir wissen, wie ihre Geschichten weitergegangen sind." Sie macht es stolz, dass der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg den Menschen beim Ankommen auf solch besondere Weise helfen konnte. "Wir haben einen durchdachten und sicheren Ort schaffen können", sagt Braß. "So wie es war, war es gut. Auch in Zukunft sollten wir grundsätzlich offen für solche Ad-hoc-Projekte sein." 

Kontakt

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Annathea Braß
Leitung der Abteilung Zentrale Dienste
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Yanina Schustermann
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