100 Jahre Weltliche Schule

1920 wurde die erste sogenannte Weltliche Schule in Berlin gegründet. Aus dieser Bewegung entstand schließlich auch das Unterrichtsfach Humanistische Lebenskunde. Der folgende Rückblick wurde 2020 zum Jubiläumsjahr verfasst.

Blick auf eine bewegte Zeit

Für das Video zum 100-jährigen Jubiläum sprachen wir unter anderem mit dem Direktor des Ernst-Abbe-Gymnasiums in Berliner Stadtbezirk Neukölln über die Anfänge der Weltlichen Schule.

Mit Vorstand David Driese und Dr. Astrid Hackel von der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg redeten wir über den Humanistischen Lebenskundeunterricht damals und heute.

Außerdem blickten die Schüler*innen des Ernst-Abbe-Gymnasiums und der Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli auf die Geschichte ihrer Schulen zurück und auch unsere kleinsten Lebenskundeschüle*innen kamen zu Wort.

Des Weiteren gibt es ein Grußwort von Sandra Scheeres, Senatorin für Bildung Jugend und Familie und Karin Korte, Bezirksstadträtin des Bezirksamts Neukölln:

100 Jahre weltliche Schulreform: ein Blick auf eine bewegte Zeit.

Der folgende Text stammt von Johanna P. Riska:

Historischer Rückblick

Bis zum Schulfach Humanistische Lebenskunde, wie es heute über 66.000 Schüler*innen in der Berlin und Brandenburg besuchen, war es ein langer Weg. 1920 wurde es für Berliner Eltern erstmals möglich, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden. Schon seit geraumer Zeit wehrten sich viele engagierte Bürger*innen und Politiker*innen gegen das durch starken kirchlichen Einfluss geprägte autoritäre Schulsystem.

Am 15. Mai 1920 wurde dann in Berlin-Adlershof die erste „Weltliche Schule“ eröffnet, die heutige Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule. Es waren insgesamt sehr viele Eltern, auch aus dem Arbeitermilieu, welche diese neu eröffnete Möglichkeit nutzen wollten. Das wurde zu einer Herausforderung für die Organisatoren. Daraufhin entstanden schnell weitere, offiziell Sammelschulen genannten Angebote, für die von Religionsunterricht abgemeldeten Kinder und Jugendlichen.

Bis 1933 waren es in Berlin über 50. Neu war nicht nur ihre Säkularität, sie zeichneten sich auch durch vollkommen neue pädagogische Orientierungen aus. Die sogenannten Lebensgemeinschaftsschulen, offiziell anerkannte Versuchsschulen innerhalb der weltlichen Schulbewegung, waren vom Unterrichtsplan freigestellt. Dort konnten neue Unterrichtsformen und Methoden ausprobiert werden, mit denen man mehr auf die Interessen und Bedürfnisse der Kinder eingehen konnte, ihr Wohlergehen besser im Blick hatte. In den Unterrichtsräumen verzichtete man auf strenge Sitzreihen. Stattdessen wurden Gruppentische oder Stuhlkreise aufgestellt. Es gab Arbeitsgemeinschaften für die Kinder, zum Beispiel Orchester, Chor, Sprechchor, darstellendes Spiel, Zeichnen und Kunstschrift, Werkstattarbeit und Literatur. Im Unterricht standen nicht nur die Vermittlung des Stoffes im Vordergrund, Ziel war immer auch die Entwicklung schöpferischen Denkens wie auch kommunikativer und sozialer Fähigkeiten.

In diesen reformorientierten Schulgemeinschaften beteiligten sich nicht nur die Schüler*innen, sondern auch die Eltern auf unterschiedlichste Art an der Gestaltung des Schulalltags. Gleiche Mitbestimmungsrechte genoss das Kollegium, die Schulleitung wurde eher als Repräsentant und pädagogischer Koordinator, denn als bestimmender Vorgesetzter gesehen.

Auf einem Schwarz-Weiß-Foto sind mehr als zehn Kinder zu sehen, die aus einem Backsteingebäude herausgucken.

Die erste „Weltliche Schule“ gab es in Berlin-Adlershof.

Viele der pädagogischen Ideen erscheinen uns heute selbstverständlich, waren damals aber radikal und innovativ. Die Entstehung der Schulbewegung war ein Ergebnis langer, zum Teil heftiger kulturpolitischer Kämpfe, die aktiv vorangetrieben wurden von sozialdemokratischen Politikern wie Wilhelm Paulsen, Kurt Löwenstein, Konrad Haenisch, Jens Nydahl und von Pädagogen wie Fritz Karsen. Zwei der bekanntesten Lebensgemeinschaftsschulen, die Rütli-Schule und die Karl-Marx-Schule, das heutige Ernst-Abbe-Gymnasium, befanden sich in Neukölln, damals ein bedeutender Bezirk innerhalb dieser Bewegung. Ein Viertel der Neuköllner Kinder und Jugendlichen besuchten Weltliche Schulen.

Dieses für die deutsche Bildungsgeschichte besonders innovative Beispiel demokratischen Geistes währte nicht lange. Nach der Machtergreifung des NS-Regimes 1933 wurden alle Weltlichen Schulen geschlossen oder durch neue Schulleiter wieder aufgelöst. Die Mitwirkenden der Schulbewegung waren fortan durch nationalsozialistische Gewalt gefährdet und bedroht.

Auf dieses pädagogische Erbe, die Geschichte zur Entstehung des heutigen Faches Humanistische Lebenskunde, soll in einer Ausstellung, verbunden mit einer Wissenschaftlichen Tagung aufmerksam gemacht werden. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist diese vom Herbst 2020 auf das kommende Frühjahr verschoben. Die Vorbereitungen übernahmen der Schulsenat, das Schulamt von Neukölln, der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg, das August-Bebel-Institut und die Humanistische Akademie Berlin-Brandenburg gemeinsam.

Ein Festakt, zu dem Schüler*innen aus den heutigen Schulen geladen sind, soll dazu anregen, das Thema aus heutiger Sicht zu würdigen, zu reflektieren und zu diskutieren. Durch die Auseinandersetzung mit den historischen Erfolgen sowie Misserfolgen lassen sich Einsichten gewinnen, um heutige Bildungsstandard kritisch und produktiv zu hinterfragen.

An einem Tisch in einem Raum mit Regalen voller Aktenordner und Bücher sitzt eine Person. Ihr Gesicht wird durch eine historische Zeitschrift verdeckt, die die Person in ihren Händen hält.

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