
Kim In-Sun und Dr. Dharma Bhusal
„Interkulturelle Hospizarbeit verbindet auch im Leben“
Was bedeutet es, Menschen am Lebensende ein Stück Heimat zu geben? Dong Ban Ja zeigt, wie interkulturelle Hospizarbeit seit 20 Jahren Brücken schlägt: zwischen Sprachen, Kulturen und Lebenswelten. Ein Gespräch mit Gründerin Kim In-Sun und Leiter Dharma Bhusal.
Frau Kim, was hat Sie 2005 dazu bewogen, mit Dong Heng einen interkulturellen Hospizdienst ins Leben zu rufen?
Kim In-Sun: In den 70er-Jahren kamen viele asiatische Frauen als Pflegekräfte nach Deutschland. Als sie Jahrzehnte später alt und krank wurden, ging mir ihr Schicksal besonders nahe. Denn auch ich war damals aus Südkorea nach West-Berlin gekommen, auch ich hatte viele Jahre als Krankenschwester gearbeitet. Dabei habe ich viele dieser Frauen in ihren letzten Tagen begleitet. Ich spürte ihr Verlangen nach Heimat: Oft wollten sie noch einmal in ihrer Muttersprache sprechen oder noch einmal ein vertrautes Gericht aus der Kindheit essen.
Während meines Theologie-Studiums machte ich ein Praktikum in einem Hospiz. Dort wurde mir endgültig klar: Ich will Menschen am Lebensende ein Stück Heimat geben. 2005 gründete ich deshalb Dong Heng. Auf Koreanisch heißt das: „Mitgehen“.
„Ich will Menschen am Lebensende ein Stück Heimat geben. 2005 gründete ich deshalb Dong Heng. Auf Koreanisch heißt das: ,Mitgehen'.“
Wie und warum wurde aus Dong Heng schließlich Dong Ban Ja?
Kim In-Sun: Unsere Arbeit war von Anfang an vielfältig: Wir begleiteten ostasiatische Migrant*innen nicht nur am Lebensende, sondern standen ihnen auch im Alltag zur Seite – bei sozialen, bürokratischen und pflegerischen Fragen. 2009 kam der Bruch: Ohne neue Finanzierung wären wir am Ende gewesen, und zugleich wurde ich schwer krank. Wir standen kurz vor dem Aus. In dieser Not reichte uns der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg (HVD BB) die Hand.
Seine Weltoffenheit passte ideal zu unserer Haltung: Für den HVD BB zählt der Mensch, nicht die Religion oder Weltanschauung. Dadurch konnten wir unsere kultursensible Sterbebegleitung unabhängig von Herkunft und Glauben fortsetzen. Für mich war das wie ein Neuanfang. Besonders Andrea Käthner-Isemeyer, der damaligen Leitung der Abteilung Gesundheit und Soziales im HVD BB, sind Dharma und ich bis heute zutiefst dankbar. Sie gab uns Sicherheit für die Zukunft und mir die Ruhe, meine Krankheit zu überstehen. Unter dem Dach des HVD BB entstand so zwischen 2009 und 2011 Dong Ban Ja – Koreanisch für „Menschen begleiten“.
„Für den Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg zählt der Mensch, nicht die Religion oder Weltanschauung.“
Herr Bhusal, Sie waren erst bei Dong Heng und seit 2009 bei Dong Ban Ja ehrenamtlich engagiert, später waren Sie Koordinator, seit elf Jahren leiten Sie den Dienst. Wie hat sich die interkulturelle Hospizarbeit in all den Jahren verändert?
Dharma Bhusal: Mein Traum war es schon immer, für Menschen aus allen Kulturkreisen da sein zu können. Mit der Trägerschaft des HVD BB hatten wir plötzlich Sicherheit und die Freiheit, diesen Traum zu verwirklichen. Anfangs begleiteten wir vor allem Menschen aus Ostasien, bald schon aus ganz Asien, seit 2018 auch aus dem arabischen Raum. Dank einer Förderung des Europäischen Sozialfonds in den Jahren 2020 bis 2022 konnten wir dieses Angebot weiter ausbauen und noch mehr Brücken schlagen.
Heute haben wir rund 150 Ehrenamtliche aus über 50 Nationen. Für mich ist das ein Geschenk: Wenn eine Anfrage für eine Begleitung kommt, muss ich nie nein sagen. Denn ich weiß, wir haben jemanden, der die Sprache spricht, die Kultur versteht und dem Sterbenden – egal woher er oder sie kommt – ein Stück Heimat geben kann.
„Wenn eine Anfrage für eine Begleitung kommt, muss ich nie nein sagen.“
Was heißt „Menschen am Lebensende ein Stück Heimat geben“ ganz konkret?
Dharma Bhusal: Ich erinnere mich an einen alten, sterbenden Mann aus Sri Lanka. Er war am Ende seiner Kräfte, verschlossen und wie hinter einer unsichtbaren Mauer. Selbst seine Familie erreichte ihn kaum noch, viele von ihnen sprachen kein Singhalesisch mehr. Dann kam einer unserer Ehrenamtlichen aus Sri Lanka, der seine Muttersprache sprach. Das brach das Eis: Der Mann blühte auf, erzählte Geschichten aus seiner Kindheit, Dinge, die er selbst seiner Familie nie anvertraut hatte. Er konnte alles sagen, was in ihm war – und endlich loslassen. Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Kim In-Sun: Wenn jemand in seiner Muttersprache sprechen kann, öffnet sich eine andere Welt. Aber manchmal reicht schon etwas Kleines: das Aussehen, die Haltung oder eine Geste. Heimat hat viele Ebenen. In meiner Zeit als Krankenschwester kam ich einmal ins Zimmer eines sterbenden chinesischen Mannes, umringt von Pflegekräften. Er wirkte verzweifelt, niemand verstand ihn. Dann schrieb er mir auf Chinesisch, was er wollte: ein Glas heißes Wasser. Als ich es brachte, strahlte er. Vermutlich weniger wegen des Wassers, sondern weil er sich endlich verstanden und gesehen fühlte.
„Manchmal reicht schon etwas Kleines: das Aussehen, die Haltung oder eine Geste. Heimat hat viele Ebenen.“
Wie erleben Sie Dong Ban Ja als Brückenbauer – über die hospizliche Begleitung hinaus?
Kim In-Sun: Von Anfang an waren wir mehr als ein Hospizdienst. Wir haben Angehörige auch in der Trauer begleitet, ihnen geholfen, passende Bestattungsrituale zu finden oder die Urne in die Heimat zurückzubringen. Zugleich war unser Team immer eine Gemeinschaft. Wir haben zusammen gekocht, musiziert, genäht oder Sport gemacht, und dabei ganz selbstverständlich voneinander gelernt.
Dharma Bhusal: Für mich ist Essen ein besonderer Brückenbauer. Nicht nur bei Sterbenden weckt es Erinnerungen an die Heimat. Bei den Kochkursen unserer Ehrenamtlichen zeigt sich: Wer teilt, wie er isst, teilt auch ein Stück seiner Lebensweise. Wir unternehmen viel zusammen und feiern einmal jährlich mit Musik und Tanz aus vielen verschiedenen Kulturen unsere Vielfalt. Interkulturelle Hospizarbeit verbindet nicht nur am Lebensende, sondern auch im Leben.
„Interkulturelle Hospizarbeit verbindet nicht nur am Lebensende, sondern auch im Leben.“
Liebe Frau Kim, lieber Herr Bhusal, herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jan Cacek, Referent für Öffentlichkeitsarbeit.
Ihre Ansprechpersonen
Sie haben Fragen zu dieser Meldung? Dann wenden Sie sich bitte an:
Interkultureller Hospizdienst Dong Ban Ja
Adresse
Wallstraße 61-65
10179 Berlin
Kontakt
- Telefon:030 61 39 04 640
- Fax:030 61 39 04 36
- E-Mail:info@dongbanja.de
- Gehe zur Website:dongbanja.de