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  • "Wir sind gezwungen, noch mehr ­Drittmittelanträge zu stellen, noch mehr Sponsoring­vertragspartner zu ­finden, noch kreativer zu werden."
    Foto: Konstantin Börner"Wir sind gezwungen, noch mehr ­Drittmittelanträge zu stellen, noch mehr Sponsoring­vertragspartner zu ­finden, noch kreativer zu werden."

Jugend(verbands)arbeit ist vielleicht nicht sexy, aber wichtig

Vermieter_innen, die ihre Räume lieber an Bürogemeinschaften als an Jugendverbände vermieten, und eine Finanzierung, die keine großen Spielräume zulässt: Die Suche nach neuen Räumen war für die Jungen Humanist_innen (JuHu) Berlin eine große Herausforderung. Inzwischen haben sie in Weißensee ein neues Domizil gefunden. Bereichsleiterin Juliane Kremberg und Vorstandsmitglied Omeima Baddou sprechen im Interview über ein anstrengendes Jahr und den Stellenwert von Jugend(verbands)arbeit.

Ende Januar 2017 musstet ihr recht kurzfristig aus eurem Domizil in der Danziger Straße ausziehen, weil euer Vermieter Eigenbedarf angemeldet hatte. Seid ihr in Panik geraten, als Euch die Kündigung ins Haus geflattert ist?

Juliane Kremberg: Wir sind richtig in Panik geraten. In der Danziger Straße haben wir quasi nur Nebenkosten gezahlt. Das waren natürlich sehr gute Bedingungen für uns – auch von der Anbindung her. JuHu war da schon eine ganze Weile. Es gab noch erfolglose Gesprächsversuche. Dann ging die Suche los. Und alle waren erstmal ganz schön überfordert.

Wie haben die Jugendlichen reagiert?

Juliane Kremberg (an Omeima Baddou): Ihr habt doch damals ein Video für Facebook gemacht. Ihr hattet dazu aufgerufen, uns bei der Suche zu unterstützen. Und erzählt, was JuHu für euch bedeutet.

Omeima Baddou: Genau. Und was wir uns von der neuen Unterkunft wünschen.

Juliane Kremberg: Stimmt! Wir hatten versucht, gemeinsam mit dem Vorstand und den Aktiven Kriterien zu entwickeln. Zusammen zu überlegen: Was brauchen wir?

Was kam dabei heraus?

Omeima Baddou: Vielen war vor allem die Anbindung wichtig, die Danziger Straße war einfach gut zu erreichen.

Juliane Kremberg: Dann war wichtig, dass es überhaupt einen Jugendraum gibt. Dass wir nicht in ein reines Bürogebäude ziehen. Und barrierefrei sollten die Räume unbedingt sein. Es gibt bei uns ein paar Stamm-JuHus, die seit Jahren die Inklusionsreisen begleiten und die im Verbandsleben sehr aktiv sind. Es war uns wichtig, die nicht zu verlieren.

Eigentlich wolltet ihr innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings umziehen. Wie wichtig ist eine zentrale Lage für eure Arbeit?

Omeima Baddou: Naja, die neuen Räume in Weißensee sind schon ziemlich weit draußen. Für mich würde es sich jetzt nicht mehr lohnen, spontan vorbeizufahren, weil die Wahrscheinlichkeit besteht, dass vielleicht auch mal niemand da ist. Ich wohne im Stadtzentrum und fahre jeweils eine Stunde hin und zurück. Diejenigen, die auf der anderen Seite von Berlin wohnen, haben es echt wahnsinnig weit.

Juliane Kremberg: Es geht vor allem auch um unsere ehrenamtlichen Teamer_innen. Bei uns ist es gängige Praxis, dass wir immer eine offene Tür haben und ein bisschen wie ein Jugendklub funktionieren. In der Danziger Straße sind die Leute häufiger für Teamsitzungen vorbeigekommen, um Camps vor- und nachzubereiten, Projekte zu machen oder auch einfach zum Tischtennisspielen oder Kochen. Das hat abgenommen.

Wie lief denn eure Suche?

Juliane Kremberg: Wir haben das Video unserer Jugendlichen verschickt und sind über den Landesjugend­ring und verschiedene jugendpolitische Akteure gegangen. Die Antwort war immer: "Wir suchen selbst gerade bezahlbare Räumlichkeiten, wir kennen das Problem." Wir haben sogar Fahrradtouren durch Berlin gemacht, um zu gucken, wo Häuser leer sind. Aus den anderen Abteilungen im Verband kamen regelmäßig E-Mails mit Hinweisen, wo gerade etwas freisteht. Das war wirklich toll.

Wir haben auch überlegt, mit Jugendfreizeiteinrichtung­en in die Kooperation zu gehen und uns zum Beispiel etwas in Marzahn angeguckt. Aber in solchen Bezirken macht man sofort eine ganz sozialraumorientierte Arbeit – was total wichtig ist, aber nicht unserem Selbstverständnis und Auftrag als berlinweiter Jugendverband entspricht. Deshalb haben wir zunächst vor allem innerhalb des S-Bahn-Rings gesucht.

Omeima Baddou (rechts) mit Freundin Karo bei den Jungen Humanist_innen in Weißensee
Foto: Konstantin Börner Omeima Baddou (rechts) mit Freundin Karo bei den Jungen Humanist_innen in Weißensee

Woran ist es gescheitert?

Juliane Kremberg: Bei unserer Suche im Netz haben wir oft Bürohäuser gefunden. Da hieß es meist: "Geschäftsstelle für einen Jugendverband? Ja, kommen Sie mal vorbei." Und sobald wir gesagt haben, naja, wir haben schon auch Jugendliche, stand dann das Angebot nicht mehr. Die Erfahrung mussten wir ein paar Mal machen. Wir hatten bestimmt 15 bis 20 Besichtigungstermine und haben oft die Jugendlichen mitgenommen. Ständig Absagen zu bekommen war ziemlich frustrierend. Schließlich haben wir uns an den Erwachsenenverband gewandt und um Asyl gebeten. Mit unseren offenen Angeboten sind wir in den humanistischen Jugendfreizeiteinrichtungen untergekommen. (an Omeima Baddou): Das war für euch auch krass, oder?

Omeima Baddou: Ja, das Material-Packen für die Camps war richtig stressig. Alles war an verschiedenen ­Orten in ganz Berlin untergebracht. Das Zusammensuchen hat viel Zeit gekostet, die wir eigentlich nicht hatten.

Juliane Kremberg: Unsere Teamleitungen waren natürlich nicht sonderlich begeistert, wenn wir gesagt haben: Die Schlauchboote könnten entweder in der Kita in Rosenthal oder in der Kinderfreizeiteinrichtung Rakäthe in Prenzlauer Berg sein.

Konntet ihr in dieser Zeit überhaupt richtig arbeiten?

Juliane Kremberg: Während wir Hauptamtlichen näher an unsere Abteilung heranrücken konnten, war diese Zwischenzeit für die Organisation unserer Kinder- und Jugendreisen sehr schwierig. Die Teamer_innen-Infotermine, die für die Akquise von neuen Ehrenamtlichen immer sehr wichtig sind, haben wir jedes Mal in einer anderen Jugendfreizeiteinrichtung gemacht. Gerade die Camps und die offenen Angebote haben ganz schön gelitten in dieser Zeit. Das muss man jetzt erstmal wieder aufbauen.

Omeima Baddou: Man konnte in der Übergangszeit halt nicht wirklich neue Menschen dazuholen. Und die, die schon länger dabei sind, werden älter – demnächst werden viele von uns 18. Nachwuchsarbeit und neue Aktive zu gewinnen braucht eben Zeit und Raum.

Jetzt seid ihr in Weißensee. Haben die Jugendlichen mitbestimmt, ob ihr den Pachtvertrag unterschreibt?

Omeima Baddou: Der Vorstand hat mitentschieden.

Juliane Kremberg: Wir hatten hier bereits Lagerräume. Und allein in diesem Gebäude haben wir drei Runden mit dem Vermieter gedreht, bis wir den Raum gefunden haben, in dem wir jetzt sitzen. Es war halt auch eine knappe Kiste im Sinne von: Was können wir uns leisten? Und wir hatten auch Druck, aus der Wallstraße rauszukommen – besonders happy waren unsere Ehrenamtlichen dort nicht.

Omeima Baddou: Es war eben ein Bürogebäude. Und ein Bürogebäude und Jugendliche – das passt halt nicht.

Die Tram fährt jetzt nicht ganz bis vor die Tür, immerhin hält ein Bus gegenüber. Habt ihr Jugendliche verloren, denen der Weg hierher zu weit ist?

Omeima Baddou: Zum Jugendtreff ist plötzlich keiner mehr gekommen.

Juliane Kremberg: Es ist eine Herausforderung für uns als pädagogische Begleitung, dass – was ich gut verstehen kann – die Jugendlichen ihre Teamtreffen jetzt zum Teil einfach woanders machen. Dadurch haben wir weniger Nähe und kriegen weniger mit. Das macht es manchmal ein bisschen schwieriger.

Hat es auch Vorteile, weiter draußen zu sein?

Omeima Baddou: Ich finde, wir haben schöne große Räume bekommen. Und ein tolles Außengelände. Hier kann man schon mehr machen als in der Danziger Straße.

Juliane Kremberg: Die FSJ‘ler-Abschiedsparty im Sommer war richtig schön. Wir konnten draußen an dem kleinen Strand, den es hier gibt, grillen und Lagerfeuer machen – das ist natürlich JuHu-Spirit pur!

Omeima Baddou: Und bei unserer Zukunftswerkstatt konnten wir gut in Kleingruppen arbeiten. Früher hatten wir dafür zu wenig Platz.

Juliane Kremberg: Hier hatten wir übrigens noch nie Stress mit den Nachbarn, weil sich jemand über Lärm beschwert hätte. Das ist hier auch von den Menschen her ein spannendes Gelände. Es gibt viele Künstler_innen, eine Holzwerkstatt, ein Tonstudio, nebenan einen Ausstellungsraum – da bieten sich vielleicht auch Möglichkeiten für Kooperationen. Dafür haben wir Hauptamtlichen mittags dann auch mal Schwierigkeiten, zu arbeiten, weil die Band gerade anfängt zu proben. (lacht)

  Politisch mitmischen – bei JuHu selbstverständlich.
Foto: Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Politisch mitmischen – bei JuHu selbstverständlich.

Wie wichtig ist Kontinuität für Jugendliche?

Omeima Baddou: Ich glaube, wir sind schon ziemlich flexibel und müssen das auch sein. Aber es ist auch wichtig, dass man einen Ort hat, den man kennt und wo man weiß: Da kann ich hingehen.

Juliane Kremberg: Der Vorteil an so einem festen Ort ist ja auch, dass die Jugendlichen irgendwann selbst wissen, wo was ist, und dann auch viel selbstbestimmter und selbstorganisierter ihre Sachen machen können. Darum geht es ja letztlich auch: junge Leute dazu zu befähigen, selbst Projekte zu wuppen.

Wer in Berlin eine Wohnung sucht, weiß: Etwas Bezahlbares zu finden, ist mittlerweile überall in der Stadt schwierig. Wie habt ihr die Finanzierungsfrage gelöst?

Juliane Kremberg: Wir konnten zum Glück allen Entscheidungsträger_innen klarmachen, dass sich die Bedingungen für uns einfach unwahrscheinlich verschlechtert haben – und dass das nicht an uns liegt. Die neue Situation führt tatsächlich zu einem Defizit im Haushalt. Und da können wir nur dankbar sein, dass die Entscheidungsträger_innen dann auch gesagt haben: Naja, das muss es uns dann wert sein. Wir haben eine Grundfinanzierung über den Senat, die reicht aber momentan gerade dafür, unser hauptamtliches Personal und die Miete zu bezahlen. Damit haben wir noch nicht ein Projekt gemacht. Sprich: Wir sind gemeinsam mit dem Erwachsenenverband gezwungen, noch mehr Drittmittelanträge zu stellen, noch mehr Sponsoringvertragspartner zu finden, noch kreativer zu werden. Beim Umzug haben wir entsprechend fast alles selbst gemacht, zusammen mit den Jugendlichen. Eine teure Umzugsfirma konnten wir uns nicht leisten.

Hat Jugend(verbands)arbeit politisch und gesellschaftlich den Stellenwert, den sie verdient?

Juliane Kremberg: Natürlich nicht. Die Finanzierung der Jugend(verbands)arbeit ist ein riesiges Thema. Jetzt wurschteln die Politiker_innen schon seit einer Weile an einem neuen Jugendförderungsgesetz, bei dem gerade alle sehr nervös sind, ob es tatsächlich eine Verbesserung mit sich bringen wird. Wir hoffen sehr, dass mit dem neuen Gesetz tatsächlich eine bessere Finanzierung und Ausstattung der Jugend(verbands)arbeit einhergeht. Zur Zeit sind wir vorsichtig optimistisch. Zumindest wurde versucht, auch seitens der Politik die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit in die Entwicklung des Gesetzes einzubeziehen. Was ich beobachte, ist: Solange nicht die Außenbezirke brennen wie in Paris oder es nicht an der Rütli-Schule kracht, stellt niemand den Wert von Jugend(verbands)arbeit überhaupt fest. Denn die ist schwer messbar. Nonformale Bildung, Präventionsarbeit, Demokratiearbeit – das ist alles nicht sexy. Damit kann sich kein_e Politiker_in eine Blume verdienen. Wenn Schulen und Kitas gebaut werden, sind die Eltern ganz stark dabei.

Omeima Baddou: Das sind ja auch diejenigen, die wählen.

Juliane Kremberg: Genau. Auch deshalb setzen wir uns zum Beispiel für U18-Wahlen ein. Lobbyarbeit für Jugendliche ist einfach extrem schwierig und herausfordernd insofern, als dass man es eben mit Leuten zu tun hat, die – natürlich auch durch die Pubertät bedingt – Systemfragen stellen, die unangenehm sein können.

Was brauchen denn Jugendliche in Berlin?

Omeima Baddou: Wichtig ist, dass wir Anerkennung bekommen für das, was wir machen. Zeit, auch für ehrenamtliche Aktivitäten. Wir sitzen zum Teil von 8 bis 17 Uhr in der Schule, für diesen Zeitraum bekommen Erwachsene viel Geld im Monat. Es ist auch wichtig, Praxis­erfahrung zu sammeln! Und wir brauchen einen Raum, wo wir uns austauschen können. Wo man sich gegenseitig unterstützt. So wie hier. Und wir wollen ernst genommen werden mit unseren Themen, Fragen und unserer Sicht der Dinge.

Dieses Interview ist im Geschäftsbericht 2017 des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg erschienen.

Kontakt

Sabrina Köhler
Jugendbildungsreferentin