Protestbrief an Jens Spahn gegen Suizidhilfeverbot in einem neuen § 217 StGB

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Erwin Kress

Vorstandssprecher des Bundesverbandes

Jens Spahn auf dem CDU Bundesparteitag Dezember 2014 in Köln
Jens Spahn auf dem CDU Bundesparteitag Dezember 2014 in Köln

Beitragsbild: Olaf Kosinsky | CC BY-SA 3.0 Unported

Im Februar hatte das Bundesverfassungsgericht das Suizidhilfeverbot im § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Unter der Initiative von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wird nun an einem veränderten § 217 als Tötungsdelikt gearbeitet. Entgegen dem Karlsruher Urteilsspruch sollen – dies zeigen bereits vorliegende Entwürfe der von ihm eingeladenen Expert*innen – die Möglichkeiten zur Suizidhilfe erneut stark eingeschränkt werden. Der Humanistische Verband Deutschlands - Bundesverband protestiert dagegen in einem Offenen Brief an Spahn und kritisiert die einseitige Auswahl seiner Ratgeber*innen.

Nach dem „Kippen“ des Suizidhilfeverbotes (§ 217 StGB) durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nimmt Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) mit einem „legislativen Schutzkonzept“ einen neuen Anlauf: Für alle Menschen, die aus dem Leben scheiden wollen, sollen legale Hilfsmöglichkeiten zum Freitod, Alters- oder auch krankheitsbedingten Bilanzsuizid auf das Engste beschränkt werden. Die Forderung, dass der „Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt“, wie es im BVerfG-Urteil heißt, wird damit unterlaufen. Zur Mitwirkung an seinem Gesetzesvorhaben hat Spahn ausschließlich Verteidiger*innen des alten Verbotsgesetzes eingeladen, Befürworter*innen einer Strafrechtsregelung in einem neuen § 217 sowie einige Teilnehmer*innen, die zumindest der Suizidhilfe durch Vereine skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Die Liste liegt dem HVD vor.

Gegen „die skandalöse Einseitigkeit“ seiner einberufenen Ratgeber*innen protestiert der Humanistische Verband Deutschland – Bundesverband mit einem Offenen Brief an Spahn. Darin wird aufgeführt, welche prominenten Expert*innen aus diesem Kreis inzwischen Neuauflagen des gescheiterten § 217 StGB öffentlich vorgestellt haben. In der Reihe der von Spahn eingeladenen dreißig Einzelpersönlichkeiten und Organisationen fehlen mit Ausnahme von Matthias Thöns alle Kräfte, die in Karlsruhe erfolgreich gegen den § 217 geklagt bzw. Stellung genommen hatten. Der Bundesgesundheitsminister setzt vielmehr wieder auf den Zuspruch der Kirchen und schließt das humanistisch-säkulare Spektrum aus. Somit bleibt, wie es im Protestbrief des HVD Bundesverbandes heißt, „die Expertise ausgerechnet all jener ungenutzt, deren Grundauffassung sich ja als eindeutig verfassungskonform erwiesen hat“.

Erwin Kress, Vorstandssprecher des HVD Bundesverbandes, räumt ein: „Natürlich muss ein Politiker bei seiner Arbeit seine weltanschauliche Färbung nicht verstecken. Aber wenn er auf Ministeriumspapier eine Reihe von Institutionen und Persönlichkeiten ersucht, zu Konsequenzen aus dem Karlsruher Urteil zur Nichtigkeit von § 217 StGB Stellung zu beziehen, sollte man meinen, dass selbst bei extrem tendenziöser Auswahl darunter zumindest einige gegnerische Positionen zu finden sein sollten.“ Doch so konterkarieren die sich abzeichnenden Beratungsergebnisse das wesentliche Element des Karlsruher Richterspruchs, nämlich das Recht des Individuums, über sein Lebensende selbst zu bestimmen und dabei auch organisierte Hilfe zur Selbsttötung etwa von Vereinen und nicht-ärztlichen Freitodbegleiter*innen zu erhalten.

Der Humanistische Verband Deutschlands – Bundesverband hatte als erste Organisation aufgrund seiner Praxiserfahrung und im Sinne seiner zweifach (2016 und 2017) vom Bundesverfassungsgericht angefragten Stellungnahmen im Mai dieses Jahres einen vielbeachteten Entwurf für ein Sondergesetz „zur Bewältigung von Suizidhilfe- und Suizidkonflikten“ (Suizidhilfekonfliktgesetz) vorgelegt.

„Praxisbezogene gesetzliche Regularien sind unausweichlich, damit der Karlsruher Richterspruch nicht nur Theorie bleibt“, stellt Erwin Kress fest. „Dass über drei Viertel der Bevölkerung eine Bevormundung nicht mitmachen und im Ernstfall das Recht haben wollen, ihr Leben selbstbestimmt auch mit entsprechender kompetenter Hilfe zu beenden, muss von der Politik jetzt umgesetzt werden.“

Gita Neumann, HVD-Bundesbeauftragte für Medizinethik und Patientenautonomie, zeigt sich zuversichtlich: „Wir setzen uns nach unseren Möglichkeiten dafür ein, dass diesmal individual-ethische Positionen, die vom Willen, dem Recht und der Würde des Einzelnen ausgehen, eine Mehrheit im Parlament finden. Nach der aufsehenerregenden Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht darf jedenfalls kein neuer § 217 als Tötungsdelikt ins Strafrecht gelangen.“

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