Widerspruch oder Zustimmung zur Organspende? Beide Gesetzesvorlagen sind keine Lösung für das eigentliche Problem!

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Erwin Kress

Vorstandssprecher des Bundesverbandes

Beitragsbild: Luv | Public Domain Mark 1.0

Am morgigen Donnerstag debattiert der Bundestag abschließend über zwei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Organspende. Nach Ansicht des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) können jedoch weder die sogenannte Widerspruchslösung noch die Zustimmungslösung maßgeblich dazu beitragen, die Zahl der Transplantationen zu erhöhen. Hierzu muss vielmehr die Erfassung von als Spender*innen infrage kommenden Hirntoten in deutschen Kliniken drastisch erhöht, verloren gegangenes Vertrauen der Bevölkerung wiedergewonnen und vor allem Aufklärungsarbeit geleistet werden. Als ideales Förderinstrument empfiehlt der HVD eine ergebnisoffene, auch auf Vorbehalte und letztendliche Unsicherheiten eingehende Beratung im Rahmen einer Patientenverfügung mit Gesundheitsvollmacht.

Am morgigen Donnerstag, 16. Januar 2020, wird der Bundestag über eine Neuregelung zur Organspende abstimmen. Beide alternativ abzustimmenden Gesetzesvorlagen, die sogenannte Widerspruchs- sowie die sogenannte Zustimmungslösung, werden nach Ansicht des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) jedoch zu Recht kritisiert. „Beide Vorschläge sind mit demselben falschen Versprechen verbunden, die Zahl der Transplantationen merklich in die Höhe treiben zu können“, urteilt HVD-Vorstandssprecher Erwin Kress. Aus einer geringfügig zunehmenden Zahl möglicher Spender*innen resultiere nicht automatisch, dass mehr Menschen ein Spenderorgan erhalten würden.

Das Problem liegt an anderer Stelle: Im Vergleich mit anderen Ländern gibt es bei uns eine zu geringe Bereitschaft von Krankenhäusern, infrage kommende Intensivpatient*innen auf den eigenen Stationen zu melden. Ob die im letzten Jahr beschlossene Änderung des Transplantationsgesetzes mit Änderungen im Klinikalltag erfolgreich sein wird, bleibt noch abzuwarten. Damit sollen die Prozesse in den Entnahmekliniken effizienter und transparenter gestaltet, dabei die Rolle von Transplantationsbeauftragten weiter gestärkt, und alles auch angemessen vergütet werden.

Weitere Probleme, die von den beiden Gesetzesvorlagen nicht gelöst werden, sind die fehlende offene Aufklärung über das Prinzip der Hirntodfeststellung und die intensivmedizinischen Maßnahmen vor der Organentnahme sowie die Wiederherstellung des Vertrauens in der Bevölkerung. In der Vergangenheit war die Zustimmung in der Bevölkerung zur Organspende hoch, durch Transplantationsskandale ist die Bereitschaft jedoch zwischenzeitlich etwas gesunken. „In einer Scheinauseinandersetzung soll nun ein unnötiges Gesetz verabschiedet werden, welches das eigentliche Problem nicht löst – dafür jedoch neue schaffen könnte“, beurteilt Erwin Kress, Vorstandssprecher des HVD Bundesverbandes, die Abstimmung im Bundestag. Beide Vorschläge sollten daher von den Abgeordneten abgelehnt werden.

Das schlüssigste Argument gegen die „Widerspruchslösung“ besteht im Folgenden: Wer aus welchen Gründen auch immer nicht spenden möchte, müsste seinen Widerspruch in einem elektronischen Register einlegen. Dieser formelle Akt ist für viele Menschen vielleicht nur etwas aufwändig und nervig – für viele Alte, psychisch und körperlich Kranke oder auch Demente hingegen schlicht nicht machbar. Sollten bei ihnen allen dennoch automatisch Organe entnommen werden dürfen? Hinzu kommt, dass in Deutschland die notwendige Widerspruchserteilung auch als Zwangsmaßnahme empfunden werden und somit für die vorrangig nötige Vertrauensbildung kontraproduktiv sein könnte.

Der „Zustimmungslösung“ wird zu Recht vorgeworfen, dass sie an der bestehenden Regelung beinahe nichts ändert. Zusätzlich zur Entscheidungsfindung pro oder contra Organspende ist dort nur die Idee enthalten, dass bei jeder oder jedem, die oder der den Personalausweis erneuern lässt, in der entsprechenden Behörde ihre oder seine Einstellung zur Organspende erfragt werden soll. Schon jetzt senden die Krankenkassen alle zwei Jahre entsprechendes Informationsmaterial an alle Versicherten, und an vielen Stellen liegen Organspendeausweise aus. Es ist daher sehr fraglich, ob die Unterlagen auf den Einwohnermeldeämtern dann intensiver gelesen oder die geplanten Computerterminals zur direkten Eingabe der Entscheidung dort genutzt werden.

Zwei Vorschläge, dasselbe Problem

Gemein ist beiden Gesetzesvorlagen, dass eine zentrale elektronische Registrierung der Entscheidung für oder gegen eine Organspende vorgesehen ist. Der Zugriff darauf soll aber erst nach der Hirntodfeststellung erfolgen – diese aufwändige Untersuchung soll also ohne Zustimmung vorgenommen werden dürfen. „Beide Gesetzesvorschläge lassen die konkrete Situation auf den Intensivstationen bei erst möglichen Organspendern damit unberücksichtigt und missachten elementare Grundsätze der Patientenautonomie“, kritisiert Gita Neumann, Expertin im HVD für Patientenverfügungen und den Bereich humanes Sterben. Denn der Patientenwille müsse schon vorher ermittelt werden, nämlich dann, wenn keine Aussicht mehr auf Heilung eines Patienten besteht und der irreversible Hirnfunktionsausfall vermutet wird oder unmittelbar bevorsteht. Denn zu diesem Zeitpunkt muss entschieden werden, ob eine Weiterführung intensivmedizinischer Maßnahmen bis zur Feststellung des Todes durch den Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls vom Patientenwillen gedeckt ist. Darauf haben auch Mediziner*innen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin eindrücklich hingewiesen.

Zudem bestehen beide Gesetzesvorlagen auf der überkommenden Ansicht, dass nahe Angehörige, an erster Stelle Ehegatten, dann Kinder, bei unsicherer Entscheidungssituation nach dem mutmaßlichen Willen befragt werden sollen, – Angehörige, die ja eben erst vom voraussichtlichen (Hirn-)Tod eines geliebten Menschen erfahren haben. „Es müssen für eine Entscheidung über Organentnahmen auch vom Betroffenen als geeignet gesehene Personen im Rahmen einer erweiterten Gesundheitsvollmacht benannt werden können, die nicht Angehörige sind und es müssen bestimmte Angehörige auch ausgeschlossen werden können, wie das ja im Betreuungsrecht längst geregelt ist“, fordert Gita Neumann.

Kein bloßer Ausgleich von Wissensdefiziten

Das Thema Organspende ist überaus facettenreich. Es berührt nicht nur medizinische Aspekte, sondern wirft grundlegende, weltanschaulich beeinflusste und nicht eindeutig beantwortbare Fragen nach dem Verhältnis von Vergänglichkeit und Bleibendem, von Leiblichkeit und Geist, von Individuum und Gemeinschaft auf. Mit den hohen Zustimmungsraten zur Organspende einerseits korrespondieren große Unklarheiten mit Blick auf deren konkrete Durchführung andererseits. Beispielhaft genannt seien die Bedeutung des Hirntodes und die Bedingungen auf der Intensivstation vor und bei der Hirntodfeststellung. Angesichts der hier wie andernorts nach wie vor – auch international gesehen – bestehenden medizinischen wie normativen Streitpunkte liegt dabei kein bloßes Wissensdefizit vor, das durch herkömmliche Informationsbroschüren auszugleichen wäre.

Es ist so, dass die Bevölkerung in Deutschland im Grundsatz Organspenden mehrheitlich positiv gegenübersteht. Das Problem ist aber der Transfer von der abstrakten Befürwortung hin zur bewussten Auseinandersetzung mit den konkreten Auswirkungen zum humanen Sterben. Dabei muss auch darüber aufgeklärt werden, was eigentlich die Bedingungen auf der Intensivstation vor und bei der Hirntodfeststellung sind. Eine echte, nicht-paternalistische Aufklärung muss daher über reine Informationsbeschaffung hinausgehen. Sie muss auf bestehende Uneindeutigkeiten hinweisen und ein nachvollziehbares Maß an Unentschlossenheit tolerieren. Sehr gut umsetzbar wäre dies innerhalb einer ergebnisoffenen Beratung im Rahmen einer Patientenverfügung mit Gesundheitsvollmacht.

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