Karlsruhe urteilt – was kommt danach?

Broschüre "Am Ende des Weges" des HVD
Am 26. Februar entscheidet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe darüber, ob und wie weit die Hilfe zur Selbsttötung, entsprechend dem Zustand vor dem Verbotsgesetz von 2015, wieder erlaubt werden soll. Die öffentlichen und interne Reflexionen über die Bedeutung des Urteils und was danach kommt, sind in vollem Gange. Ein Beitrag von Gita Neumann.

Der vor gut vier Jahren eingeführte Paragraph 217 StGB sieht für eine organisierte, geschäftsmäßige oder wiederholte „Förderung der Gelegenheit zur Selbsttötung“ eine Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren vor. Ob es eigentlich auch Absicht des Gesetzgebers war, dass damit nicht nur Sterbehilfevereine, sondern auch Ärzt*innen getroffen werden, bestreiten die Bundestagsabgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD). Ihr gemeinsamer Gesetzentwurf hatte Ende 2015 im Bundestag eine Mehrheit gefunden.

Hinter vorgehaltener Hand äußern die fundamentalen Gegner der Möglichkeit zum Suizid und der Hilfe dazu eine klammheimliche Freude, dass über das Damoklesschwert der bloßen Förderung alle Ärzt*innen hinreichend eingeschüchtert werden. Fakt ist, dass soweit öffentlich bekannt, dies auch gelungen ist. Aber dadurch wird ja gerade nicht verhindert, dass Menschen, die keine qualifizierte Hilfe bekommen, sich stattdessen vor die S-Bahn werfen, vergiften oder von der Brücke stürzen.

Gesellschaftlicher Bedarf wird wachsen

Die gesellschaftliche Anspruchshaltung, neben vielem anderen auch das eigene Lebensende selbstbestimmen und auch planen zu können, wird jedenfalls zunehmen. Der Humanistische Verband Deutschlands versucht sich darauf einzustellen, dass damit auch ein wachsender Bedarf an Beratung, Hilfe und auch humanistischer Seelsorge im Kontext von assistiertem und begleitetem Sterben durch Selbsttötung verbunden sein wird. Der Verband hat bereits seit vielen Jahren Konzepte zu einer ergebnisoffenen Suizidhilfe-Konfliktberatung gefordert, konzipiert und bis Dezember 2015 im sehr kleinen Rahmen für seine Mitglieder und engagierte Ärzt*innen auch bereits angeboten. An diesen Erfahrungen versucht er jetzt anzuknüpfen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und der Politik als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Dazu gehören auch alternative Entwürfe zu gesetzlichen Regelungen der Suizidhilfe für freiverantwortliche kranke und/oder hochbetagte Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen.

Herausforderung des Gesetzgebers zur Neuregelung und HVD-Eckpunkte

Der Bundestag wird sich über kurz oder lang damit neu beschäftigen müssen, wenn der erste Schock überwunden ist, ein Gesetz mit nicht verfassungskonformen Eingriffen in Persönlichkeitsrechte der Bürger*innen verabschiedet zu haben. Denn mit einem solchen höchstwahrscheinlichen Urteil wird am 26. Februar gerechnet. Zumindest scheint sicher, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem 100-Seiten-Urteil deutliche Kritik am Gesetz üben wird.

Abzuwarten bleibt natürlich die Variante des Urteils: ob Karlsruhe tatsächlich das Gesetz als Ganzes kippt, vom Gesetzgeber Nachbesserungen zur Liberalisierung mit entsprechenden Sorgfaltskriterien oder Ausnahmeregelungen für Ärzt*innen einfordert oder selbst eine verfassungskonforme Interpretation des Gesetzes – insbesondere zur Frage, was eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung darstellt – vorlegt.

Am Nachmittag der Urteilsverkündung wird das Ergebnis so schnell wie möglich auf der Seite des HVD Bundesverbandes und der Seite der Patientenverfügung zu finden sein – wahrscheinlich sogar schon mit Link auf das Gesamturteil.

Unabhängig davon hat eine Arbeitsgruppe im Humanistischen Verband Deutschlands dessen Positionierung und Zielbestimmung für Gesetzesvorschläge schon einmal wie folgt formuliert:

Allgemeine Ziele des Gesetzes sind:

  1. Das Selbstbestimmungsrecht zum eigenen Tod zu respektieren und zu gewährleisten
  2. Voraussetzungen und Regeln für die Hilfe zur Selbsttötung zu bestimmen
  3. Betroffene vor einsamen sowie brutalen Selbsttötungen zu schützen
  4. Unüberlegte, spontane und voreilige Suizidversuche zu verhindern
  5. Rechtliche Unsicherheiten für alle, die humane Hilfe zur Selbsttötung leisten, auszuräumen
  6. Für Ärzt*innen klarzustellen, dass und wie sie Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, und entsprechende Sorgfaltskriterien zu formulieren
  7. Gesellschaftlichen Forderungen, welche die Zulassung der ärztlichen Tötung auf Verlangen anstreben, entgegenzuwirken

Veranstaltungen und Hinweise

9. März, 18 – 20 Uhr in Berlin: Podiumsveranstaltung: „Karlsruhe hat zum Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe geurteilt – Was nun?“

  • Mit Vertreter*innen aus Rechtswissenschaft (Prof. Dr. R. Merkel, Prof. Dr. St. Augsberg), Verbänden (Humanistischer Verband Deutschlands, Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben), Medizin und Politik. Moderation: Prof. Dr. Rosemarie Will, Humboldt-Universität, stellv. Vorsitzende der Humanistischen Union
  • Dazu laden die Humanistische Union und Friedrich-Naumann-Stiftung ein in die Humboldt-Universität zu Berlin, Hauptgebäude, Östlicher Lichthof, Unter den Linden 6, Berlin 10099. Der Eintritt ist frei.

26. Februar, um 10:45 und um 18:45 Uhr

  • Sendung Vis á Vis des rbb: „Konzepte des Humanistischen Verbandes zur Suizidhilfekonfliktberatung“  

26. Februar in Karlsruhe sowie 21. März in Oberwesel

  • Die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) hat einen Kreis von Einzelpersonen und Organisationsvertreter*innen aus dem säkular-humanistischen Spektrum zu gemeinsamen strategischen Überlegungen eingeladen.
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